Rechenschaft beruht auf Pflichten

Politik und Gesellschaft müssen Unternehmen konsequent zur Verantwortung ziehen und ihnen verbindliche Regeln auferlegen. Flotte Managementslogans helfen nicht weiter – und der kleinkarierte Kampf um Begrifflichkeiten auch nicht. Ohne eine neue, entschlossenere Umwelt- und Entwicklungspolitik sieht es nicht nur für das Weltklima düster aus.

[ Von Peter Fuchs und Leonhard Plank ]

Jacob Fugger (1459 bis 1525) war einer der reichsten Männer seiner Zeit. Der gläubige Katholik baute mit Bankgeschäften, Bergbau und Handel ein bis dato unvorstellbares Imperium auf. Als Bankier der Mächtigen finanzierte er Kriege, Ablasshandel und internationale Erkundungsmissionen. Sein Reichtum ließ ihn über Aufstieg und Untergang von Regenten entscheiden. Die Bevölkerung litt freilich in Deutschland unter bitterem Elend und scharfer Ausbeutung. Bauern und Handwerker rebellierten. Der intelligente Machtmensch Fugger begründete daher in Augsburg ein eigenes Stadtviertel mit Sozialwohnungen, die Fuggerei. Wer hier Unterkunft fand, musste freilich nicht nur eine sehr günstige Jahresmiete entrichten, sondern war auch verpflichtet, regelmäßig für das Seelenheil von „Jacob dem Reichen“ zu beten.

Auch im Zeitalter der Globalisierung bemühen sich transnationale Konzerne (TNK) um gesellschaftliche Akzeptanz. Was als legitime oder gar verantwortungsvolle Unternehmensführung akzeptiert wird, bestimmen die Konzerne nicht selbst. Das ist und bleibt Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzung – und darum geht es in der Diskussion über die gesellschaftliche und soziale Verantwortung von Unternehmen.

Corporate Social Responsibility (CSR) ist ein unbestimmter Begriff. Es kursieren widersprüchliche Vorstellungen. Wie im Kampf um politische Terminologie üblich, versuchen interessierte Akteure, für sie Unbequemes gleich per definitionem auszuschließen. Interessanterweise bezeichnete etwa die EU-Kommission 2001 CSR als ein „Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Tätigkeit und in die Wechselbeziehung mit den Stakeholdern zu integrieren“. Die Betonung liegt offenbar auf Freiwilligkeit. Industrie-Kommissar Günter Verheugen trieb 2006 das Spiel noch weiter. In seinem „Europäischen Bündnis für soziale Verantwortung“ ließ er auch die Stakeholder außen vor und richtete sich nur an (Groß-)Unternehmen und ihre Verbände. Für breit angelegte Glaubwürdigkeit und Vertrauen sorgt das nicht. Verantwortung ohne klar umrissene Rechenschaftspflicht bleibt eben nur eine vage Sache.

Accountability versus Responsibility

Kritische Akteure der Zivilgesellschaft setzen dem CSR-Begriff die Forderung nach „Corporate Accountability“ entgegen. Unternehmen sollen demnach Pflichten erfüllen und verbindlich reguliert werden. Als gesellschaftlich verantwortlich können selbstverständlich nur Unternehmen gelten, die

– wirksam Klimaschutz betreiben,
– fundamentale Arbeitsrechte einhalten und die
Arbeitswelt demokratisieren,
– keine immanent schädlichen Produkte vermarkten,
– die Öffentlichkeit nicht durch Werbung für überflüssigen Konsum manipulieren,
– soziale und ökologische Kosten internalisieren,
– ihre Steuern vollständig zahlen und
– keine Lobbyarbeit gegen öffentliche Interessen machen (Corporate Watch 2006).

Die von international vernetzten NGOs kritisierten Verteilungs-, Umwelt-, Menschen- und Arbeitsrechtsprobleme in globalen Produktionsketten sind längst nicht mehr zu leugnen. Selbst die Mitverantwortung global tätiger Konzerne ist inzwischen weitgehend akzeptiert. Dennoch predigen mächtige entwicklungspolitische Akteure aus reichen Ländern (wie die GTZ oder das DfID), die Vereinten Nationen oder die Weltbank noch immer eine Win-Win-Philosophie, der zufolge CSR sowohl Konzernen aus den Industrieländern als auch den Bevölkerungen von Entwicklungsländern Vorteile bringt. Profitinteressen gehen demnach harmonisch mit Wirtschaftswachstum, Menschenrechten und Umweltschutz einher.

Indessen widersprechen die Ergebnisse prominenter internationaler CSR-Initiativen häufig eklatant den erklärten Wünschen ihrer Protagonisten. Die Erfahrungen mit der Implementierung von Verhaltenskodizes zeigen, dass die bisherige Herangehensweise zu kurz greift. Bislang gibt es zwar isolierte, temporäre Verbesserungen dank der Definition von Verhaltenskodizes, ihrer Überprüfung durch unabhängige Instanzen und der Ahndung von Verstößen. Eine systematische Verbesserung, die auf einer fundierten Ursachenanalyse beruhen müsste, ist so aber nicht möglich. Sie müsste die betroffenen Menschen und ihre Organisationen an den Standorten einbinden und die Geschäftspraktiken mächtiger Unternehmen auf Dauer verändern.

Zu diesem Fazit kommt unter anderem die bisher umfangreichste Studie über die Auswirkungen von Verhaltenskodizes auf Beschäftigte in Entwicklungsländern (Ethical Trade Initiative, 2006). Die britische Multistakeholder-Initiative beauftragte das Institute of Development Studies mit einer Untersuchung. Die Forscher identifizierten den Druck auf Zulieferer bei Preisen und Lieferzeiten als die Schlüsselfaktoren, die einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen entgegenstehen. Sie fordern nicht nur, dass Worten Taten folgen, sondern betonen vielmehr, dass Regierungen das Arbeitsrecht konsequent durchsetzen müssen. Sonst bestehe die Gefahr, dass Verhaltenskodizes gerade nicht als Instrumente zur Übernahme von Verantwortung, sondern zur Delegation von Verantwortung an ökonomisch vorgelagerte, schwächere Partner missbraucht werden.

Angesichts der mageren Ergebnisse selbst der Avantgarde der CSR-Initiativen zeichnet sich eine Wende in der internationalen Diskussion ab. Eine repolitisierte Perspektive löst zunehmend die technokratisch managementorientierte Sicht ab. Es geht um strukturelle Faktoren und die institutionellen Bedingungen internationalen Geschäftsgebarens. Gefragt wird nicht mehr nur: „Wie kann ein Verhaltenskodex wirksam kontrolliert werden?“ Wichtig ist vielmehr:

– „Wie lassen sich die Arbeits- und Lebensbedingungen unter Einbeziehung der Betroffenen verbessern?“
– „Warum ist das häufig selbst in wohlklingenden CSR-Initiativen nicht so?“
– „Wie kann echter Veränderungsdruck auf die mächtigen Player in globalen Wertschöpfungsketten
aufgebaut werden?“

Mit anderen Worten: Der brutale Druck der „share-holder value“-getriebenen Managementkonzepte und die Rolle der Politik mit ihrer überkommenen Trias Liberalisierung, Privatisierung und Deregulierung werden nicht mehr ausgeblendet. In dieser Perspektive wird es auch unmöglich, in internationalen Abkommen Investorenrechte festzuschreiben, von deren Pflichten aber zu schweigen, wie das auch die Bundesregierung immer wieder anstrebt. Zum Thema wird zudem endlich wieder die Austrocknung der öffentlichen Kassen infolge niedriger Steuersätze und leicht gemachter Steuervermeidung. Keine Frage: Opposition zu den mächtigen Unternehmer-Lobbys ist nötig.

CorA in Deutschland

Inspiriert von dieser Diskussion und von Partnern in anderen europäischen Ländern entstand in Deutschland in den vergangenen Monaten „CorA - Corporate Accountability. Netzwerk für Unternehmensverantwortung“. Dazu gehören Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften, kirchliche und entwicklungspolitische Organisationen, Verbraucher- und Umweltverbände sowie andere zivilgesellschaftliche Gruppen. Hauptziel ist, dass die Politik gegenüber Unternehmen wieder zu verbindlichen Instrumenten greift.

Die Zeit folgenloser Multistakeholder-Runden muss vorbei sein. Die CorA-Gründungserklärung fordert deshalb unter anderem

– erhöhte Rechenschafts- und Publizitätspflichten für Unternehmen,
– gesellschaftliche Anforderungen für die Vergabe öffentlicher Aufträge,
– die Verankerung von Unternehmenspflichten in internationalen Wirtschaftsabkommen und bei der Wirtschaftsförderung,
– eine gerechte Unternehmensbesteuerung zum
Nutzen der Gesellschaft,
– wirksame Sanktionen und Haftungsregeln für Unternehmen sowie die Stärkung der Produktverantwortung und Förderung zukunftsfähiger Konsum- und Produktionsmuster.
Als ersten Schwerpunkt hat CorA sich in diesem Jahr das Thema öffentliche Beschaffung vorgenommen. Mit Blick auf die laufende Vergaberechtsreform in Deutschland wurde ein offener Brief an alle Fraktionen des Deutschen Bundestags geschrieben, weitere Aktivitäten sind in Vorbereitung. CorA fordert klare politische Vorgaben für das Einkaufsverhalten der öffentlichen Hand, um so Veränderungen bei den sozialen und ökologischen Produktionsbedingungen in internationalen Wertschöpfungsketten anzustoßen. Insgesamt geben Behörden in der Europäischen Union jährlich rund 1,5 Billionen Euro für Versorgungsgüter, Dienstleistungen und Bauarbeiten aus. Das entspricht etwa 15 Prozent des gesamten Bruttoinlandsproduktes der EU.

Eine konzertierte Nachfrage der öffentlichen Hand (Bund, Länder, Kommunen) nach entwicklungs- und umweltverträglichen Produkten und Dienstleistungen würde ökonomischen Druck auf die Unternehmen schaffen. Sie müssen ihre Beschaffungs- und Produktionspraktiken überprüfen, soziale und ökologische Investitionen tätigen und ihre Beschäftigungspolitik umgestalten. In den Niederlanden wird nach Beschluss des Parlaments bereits daran gearbeitet, bis zum Jahr 2010 bei 100 Prozent der Beschaffungen und Investitionen der Zentralregierung die Zukunftsfähigkeit der Produkte als eines der wichtigsten Kriterien einzuführen. Für nachgeordnete Behörden und Gebietskörperschaften wird eine Quote von 50 Prozent angestrebt.

Selbstverständlich hat auch das Bemühen um verantwortungsvolle öffentliche Beschaffung seine Grenzen. Es ist keineswegs der einzige oder wichtigste Hebel gegen umwelt- und entwicklungsfeindliche Produktionsverhältnisse. Entscheidend ist, dass Politik und Gesellschaft klarere und verbindlichere Anforderungen an die Unternehmen stellen. Ohne die Bereitschaft zum Konflikt und zur Kaufverweigerung gegenüber gesellschaftlich als nicht legitim betrachteten Geschäftspraktiken und Produkten ist eine Abkehr von organisierter Unverantwortlichkeit nicht vorstellbar.

Selbst die liberale Wochenzeitung Die Zeit fordert mittlerweile auf ihrer Titelseite, dass sich unsere Art und Weise, zu leben und zu wirtschaften, binnen zwanzig Jahren radikal ändern muss. Dazu werden herkömmliche CSR-Maßnahmen vielleicht vereinzelt hilfreich beisteuern. Meist dürften sie aber nur von wichtigeren Fragen ablenken und deshalb schaden. Insgesamt wird der freiwillige CSR-Diskurs relativ unwichtig bleiben. Nötig ist eine neue, entschlossenere Umwelt- und Entwicklungspolitik, die ihn überflüssig macht und mit der Vorstellung bricht, dass letztlich Märkte alles richtig entscheiden. Ohne solch einen Kurswechsel sehen wir nicht nur für das Weltklima schwarz.

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