SWP-Studie

Zentrale Herausforderung

Ist die jugendliche Bevölkerung eines Landes überproportional groß, birgt dies politische und soziale Risiken. Unter bestimmten Voraussetzungen eröffnen sich aber auch positive Entwicklungsmöglichkeiten.
In Ägypten haben Jobchancen nicht mit Bildungsmöglichkeiten mitgehalten. Tödt/picture-alliance/dpa In Ägypten haben Jobchancen nicht mit Bildungsmöglichkeiten mitgehalten.

Die Weltbevölkerung wächst noch, in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern hat aber der demographische Wandel bereits begonnen. Dort gibt es mittlerweile weniger Menschen unter 15 Jahre als 15- bis 24-Jährige. Wenn Jugendliche und junge Erwachsene mehr als ein Fünftel der Gesamtbevölkerung eines Landes ausmachen, sprechen Fachleute von „Youth Bulge“ (Jugendüberhang). Sie diskutieren seit längerem darüber, welche Chancen und Risiken diese demografische Gegebenheit mit sich bringt. Den Forschungstand fasst eine aktuelle Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zusammen. 

Die Autoren schreiben, die Auswertung der Statistiken zeige, dass in demografisch jungen Gesellschaften ein höheres Konfliktrisiko besteht als in relativ alten Gesellschaften. Bei den jüngsten Umwälzungen in den arabischen Staaten hat der Jugendüberhang eine signifikante Rolle gespielt. Andererseits sind vergleichbare Konflikte in Ländern Südasiens und im südlichen Afrika ausgeblieben, obwohl diese eine ähnliche Altersstruktur aufweisen. Daraus folgern die Autoren: Es spielen weitere Einflussfaktoren eine Rolle.

Sie stellen fest, dass das Konfliktrisiko besonders groß ist, wenn Amtsträger nur schwach legitimiert sind – etwa, weil autoritäre Regime politische Beteiligung unterdrücken oder wenn ein Regierungswechsel bevorsteht. Protestbewegungen sind auch dann besonders wahrscheinlich, wenn zuvor sekundäre und tertiäre Bildung ausgeweitet wurden. Als Beispiele nennen die Autoren die Studentenbewegungen der 1960er Jahre in Westeuropa und Nordamerika, aber auch den arabischen Frühling heute.

 

Entwicklungschancen

Im Jugendüberhang eines Landes stecken aber auch Entwicklungschancen, urteilt die SWP-Studie – und auch die wachsen mit dem Ausbau von sekundärer und tertiärer Bildung. Entscheidend ist aber, dass der Arbeitsmarkt jungen Leuten Chancen bietet. Als positive Beispiele nennen die Autoren die südostasiatischen Tigerstaaten, deren Aufschwung von einem hohen Anteil Jugendlicher unterstützt wurde. Sie profitierten davon, dass der Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung besonders groß war.

Zu berücksichtigten gilt es aber laut Studie, dass der „demografische Bonus“ nur eine bestimmte Zeitspanne vorhält. Die Phase, in der das Verhältnis von Arbeitsbevölkerung zu abhängigen Kindern und alten Menschen besonders günstig ist, dauert meist nur 30 bis 40 Jahre. In Westeuropa folgt auf den Jugendüberhang der 60er Jahre bereits ein Altenüberhang – und in absehbarer Zeit wird das auch für Länder wie China gelten. Das bedeutet, dass entsprechend auch der Aufwand für die Versorgung der Senioren steigen muss.

Die Autoren der Studie legen dar, wo sie besonderen entwicklungspolitischen Handlungsbedarf sehen:

  • Entwicklungsländer mit anhaltend hohen Geburtenraten von mehr als fünf Kindern pro Frau stehen noch vor dem demographischen Wandel und können nicht von ihm profitieren. Dort muss die hohe Kinderzahl durch Familienplanung, reproduktive Gesundheit und sexuelle Selbstbestimmung der Frauen gesenkt werden.
  • Erfolge bei der Ausweitung der Grundbildung führen grundsätzlich zu mehr Bedarf an weiterführender Bildung. Investitionen in den Ausbau dieser Bildung und die Anhebung der Qualität sind notwendig und müssen mit der Schaffung von Arbeitsplätzen einhergehen. Wo das nicht gelingt, drohen statt demographischer Dividende erhebliche Konflikte, wie aktuell in Nordafrika und dem Nahen Osten zu sehen ist.
  • Länder wie Brasilien, Chile oder Vietnam, in denen der Jugendüberschuss in absehbarer Zeit zum Altenüberschuss werden wird, brauchen Unterstützung beim Aufbau von Sicherungssystemen für Senioren.

Der demografische Wandel wird regional stark unterschiedlich ausfallen, schreiben die Autoren der Studie. Unter anderem rechnen sie mit zunehmender Migration zwischen Schwellen- und Entwicklungsländern. Die Entwicklungspolitik müsse diese Faktoren berücksichtigen, um effektiv eingreifen zu können.

Sabine Balk

 

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