Klimaschutz

Auf der Suche nach verlässlichen Daten

In Industriestaaten ist die amtliche Umweltstatistik meist qualitativ gut, in Entwicklungsländern dagegen eher schwach. Klimabezogene Daten werden politisch aber erst verbindlich, wenn sie dem System der jeweiligen amtlichen nationalen Statistik entspringen.


[ Von Uwe Singer ]

In der aktuellen Klimadiskussion wird ein stärker datenbasiertes Monitoring von Prozessen des Wandels und seiner Folgen gefordert. Das zeigten auch die Reaktionen auf den Report von Nicolas Stern, der ökonomische Auswirkungen anhand wissenschaftlicher Prognosen und konkreter Zahlen verdeutlichte. Umweltminister Sigmar Gabriel interpretierte die Berechnungen des Reports für Deutschland dahingehend, dass jeder heute in den Klimaschutz investierte Euro künftig das 20-Fache bringe.

Vielfältige Daten sind klimarelevant – etwa zu Treibhausgasemissionen oder Wald­bestand eines Landes. Doch deren Qualität variiert je nach Region und Land, was auch daran liegt, dass sie unterschiedlich erhoben und analysiert werden. Das wirkt sich auf die Verbindlichkeit der Daten aus.

Generell wird zwischen Primär- und Sekundärdaten unterschieden: So genannte Primär- oder Rohdaten werden gemessen oder durch Beobachtung und Befragung gewonnen. Werden sie unter einem bestimmten Aspekt analysiert, spricht man von Sekundärdaten. Interessant ist zudem, ob Daten im Rahmen des amtlichen statistischen Systems oder von unabhängigen Forschern erhoben wurden. Sekundäranalysen über die künftigen Auswirkungen des Klimawandels – wie etwa der Sternreport oder Analysen zu globalem Temperatur- und Meeresspiegelanstieg – werden oft außerhalb des Systems amtlicher Statistiken generiert. Daher sind die Daten zwar hochrelevant, aber politisch wenig verbindlich.

Wissenschaftlich fundierte aber amtlich nicht anerkannte Analysen – etwa über den menschlichen Einfluss auf das Klima – werden häufig verharmlost oder gar geleugnet. Zugleich ist die Politik zunehmend auf Zukunftsszenarien und Prognosen angewiesen. Zu dieser allgemeinen Problematik hinzu kommt in vielen Entwick­lungsländern – zum Beispiel in Afrika südlich der Sahara – eine weitere: Die Statistikbehörden sind oft noch schwach. Sie sind kaum in der Lage, Umweltdaten für internationale Reporting-Systeme wie das der UN-Klimaschutzkonvention so zu bedienen, wie das die gut ausgestatteten nationalen Systeme der Industrieländer tun.

Deutschland hat sich zum Beispiel gegenüber der Klimarahmenkonvention verpflichtet, ein Treibhausgas-Berichtssys­tem für Wälder aufzubauen. Das zuständige Bundesumweltamt verfügt dazu über ein engmaschiges institutionelles Netz: Vom lokalen Forstamt über die statistischen Landesämter bis zum statistischen Bundesamt besteht ein Meldewesen über Waldfläche, Zusammensetzung und Zustand. Zudem gibt es die Bundeswaldinventur mit etwa
50 000 Stichproben und weitere ergänzende Erhebungen, sodass eine recht genaue Treibhausgasbilanz möglich ist.

Satellitenbilder reichen nicht

In Entwicklungsländern gibt es keine solch engmaschigen Erhebungssysteme. Dabei verändern sich die Wälder dort viel schneller. Für eine ungefähre Übersicht wird daher oft auf Satellitenbilder zurückgegriffen. Diese sind aber oft nicht besonders gut und taugen nicht dazu, Erhebungslü­cken zu schließen.

Um trotzdem berichten zu können, wurden daher im Rahmen der Klimarahmenkonvention neue Methoden entwickelt. Die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) bildet den zwischenstaatlichen Handlungsrahmen. Der Weltklimarat (IPCC, International Panel on Climate Change) ist ihr wissenschaftliches Gremium. Bekannt wurde das IPCC durch seine Szenarien zu Auswirkungen des Klimawandels. Es befasst sich auch damit, wie die Entwicklungsländer Bericht erstatten können. Das Sekretariat der UNFCCC sammelt die Daten und analysiert sie.

In Organisation und Struktur ist diese internationale Initiative zum Datenmanagement vergleichbar mit anderen Reporting­systemen – etwa derer zum Erreichen der Millenniumsentwicklungsziele. Besonders Entwicklungsländer werden finanziell und durch Capacity Building dabei unterstützt, die Daten zusammenzutragen. Von 1997 bis 2007 haben 134 Länder an der Berichterstattung teilgenommen. Für den zweiten, seit 2008 laufenden Zyklus haben bisher sechs Länder Daten geliefert. Es wird erwartet, dass 67 Länder bis 2010 Statistiken einreichen.
Trotz begleitender Maßnahmen von UNFCCC und IPCC ist es schwierig, die anspruchsvollen Vorgaben zur Produktion von Klimadaten umzusetzen. Dies liegt mit daran, dass die Freisetzung beziehungsweise Bindung von Treibhausgasen nach Verursachungsprozessen aufgeschlüsselt und analysiert werden sollen. Mit anderen Worten: Es werden präzise Daten zu unterschiedlichen, sich überlappenden Sektoren wie Viehhaltung, Getreideanbau, Energieverbrauch, Industrieproduktion und Transport gebraucht.

Wer hat welche Informationen?

Die Heterogenität der klimarelevanten Daten bringt es mit sich, dass sie in der ohnehin institutionell stark fragmentierten Umweltstatistik in Subsahara-Afrika aus etlichen Behörden zusammengetragen werden müssen. Michael Pappoe arbeitet in Ghana bei der Environmental Protection Agency daran, die Daten aus unterschiedlichen Institutionen zu integrieren. Er benennt typische Schwierigkeiten: „Viele
Institutionen sammeln Daten mit unterschiedlichen Methoden.“ Oft passten die Daten nicht zusammen, und es sei „schwer zu beurteilen, wer welche Informationen hat und wessen Informationen zuverlässiger sind.”

Um derlei Probleme zu lösen, haben die meisten Entwicklungsländer nationale Strategien zur Weiterentwicklung der nationalen statistischen Systeme (National Strategies for the Development of Statistics, NSDS) formuliert. InWEnt unterstützt Partner bei der Implementierung. Allerdings stehen sie noch am Anfang, und der Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Regel auf Wirtschafts- und Sozial-, aber nicht auf Umweltstatistik.

Die internationale Klimapolitik würde aber von besseren globalen Statistiken profitieren – die auf nationalen Daten beruhen müssen. Die Kooperation von Klimaschützern mit den mit NSDS befassten Institutionen ist deshalb wichtig.

Im April veranstaltete die Statistikabteilung der UN eine Konferenz zu „Climate Change and Official Statistics“. Auf der Tagesordnung stand unter anderem, wie die amtliche Statistik klimarelevante Daten besser erfassen kann, um politisch verbindliche Grundlagen zu schaffen. Denkbar sind in Afrika zwei Ansätze mit unterschiedlichen Folgen für die Umweltstatistik: der indikatorenbasierte Ansatz und die volkswirtschaftliche Umweltgesamtrechnung.
– Der indikatorenbasierte Ansatz entspricht dem Status Quo. Innerhalb international anerkannter Frameworks, die der Datenstandardisierung dienen, werden Umweltdaten erhoben. Die entsprechenden Schwächen wurden bereits genannt.
– Die Umweltgesamtrechnung dagegen wird aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung entwickelt. Es geht darum, den Faktor Natur in die Berechnung volkswirtschaftlicher Kennzahlen einzubeziehen. Allerdings sind Faktoren wie ökonomische Kosten des Flächenverbrauchs relativ komplex zu ermitteln. Daher wird der Ansatz selbst in den Industrieländern nur mit Vorbehalt angewendet. Er hat aber den Vorteil, Prozesse des Klimawandels mit ökonomischen Zahlen deutlich zu machen, was politisch sehr wirksam ist. Es scheint aber fraglich, ob sich dieser Ansatz angesichts der insgesamt schwachen amtlichen Statistik in Afrika schnell etablieren kann.

Die beiden Herangehensweisen schließen einander nicht aus. Im Gegenteil: Ohne Basisdaten ist keine umweltökonomische Gesamtrechnung möglich. Daher wäre eine stärkere Verschränkung beider Ansätze für ein besseres klimabezogenes Informationsmanagement wünschenswert.

Eine verlässliche Datenbasis macht es Entwicklungsländern leichter, künftig von klimabezogenen Politikoptionen, wie den Instrumenten des Clean Development Mechanism (CDM) der UNFCCC, zu profitieren. Der CDM macht es grundsätzlich möglich, Emissionsreduktionen in armen Ländern auf die Einsparungspflichten der Industrienationen anzurechnen. Solch komplexe Handelsbeziehungen bedürfen offensichtlich einer soliden Grundlage. Zweifelsfreie Nachweise der Trends im Waldschutz oder der Aufforstung gehören dazu.

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