Patriarchal attitudes

Wenn Familienplanung von Priestern und Imamen abhängt

Die hohe Kinderzahl hängt in Westafrika mit religiösen Normen zusammen. Geistliche können helfen, das Bevölkerungswachstum zu bremsen. Es gibt auch Priester und Imame, die sich entsprechend engagieren.
Glaube in Aktion. Studie des Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung und der KAS KAS Glaube in Aktion. Studie des Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung und der KAS

Im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) hat das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung untersucht, welchen Einfluss Religionsgemeinschaften auf das Bevölkerungswachstum in Westafrika haben. Die gemeinsame Publikation der beiden Institutionen zum Thema schenkt Christentum und Islam wegen ihrer weiten Verbreitung besondere Aufmerksamkeit. Ihr zufolge begünstigen konservative religiöse Haltungen hohe Kinderzahlen und frühe Schwangerschaften.

Wandel ist aber möglich – und manche religiösen Führungspersönlichkeiten unterstützen ihn auch, wie die Studie aufzeigt. Afrikanische Geburtenraten sinken auch – allerdings langsamer, als es zuvor in anderen Weltgegenden der Fall war.

Die Publikation nennt Familienplanung, Geschlechtergerechtigkeit und Mädchenbildung als elementare Werkzeuge, die Geburtenrate in Westafrika langfristig zu senken. Die gesellschaftliche Stellung von Frauen beeinflusse, wann und wie viele Kinder sie bekämen. In patriarchalen Strukturen sei für Frauen oft nur die Mutterrolle vorgesehen. Mädchen würden oft allenfalls zur Grundschule geschickt und könnten danach kaum ein selbstbestimmtes Leben führen. Verhütungsmittel würden vielfach grundsätzlich abgelehnt.

Säkularen Organisationen gelingt es angesichts der Stärke religiöser Glaubenssätze nicht, vorherrschende Überzeugungen nachhaltig zu ändern, wie die Publikation festhält. Fromme Menschen fürchteten, ihr Glaube solle untergraben werden.

Theologische Argumente sind wichtig 

Aus Sicht von Berlin-Institut und KAS sind theologische Argumente deshalb elementar, um für mehr Geschlechtergerechtigkeit, Familienplanung und niedrigere Geburtenraten zu sorgen. Auf die Geistlichen komme es an, weil in den meisten Gemeinschaften nur sie tiefsitzende Vorstellungen hinterfragen können. Sie können Bibel oder Koran geschlechtergerecht interpretieren. Sie können darüber aufklären, dass die heiligen Schriften Familienplanung nicht ablehnen. Auf sie wird gehört, wenn sie Geschlechterrollen in Frage stellen und sich für mehr Bildung von Frauen stark­machen. Sie können mit Jugendlichen über Sexualität sprechen und sie dazu motivieren, Verhütungsmittel zu verwenden. Sie haben zudem Einfluss auf skeptische Eltern sowie Politiker.

Als Beispiel für das konstruktive Engagement eines Geistlichen führen die Autoren den Sultan von Sokoto an. Das Oberhaupt von rund 90 Millionen Muslim*innen in Nigeria setzt sich aktiv für die Bildung von Mädchen ein und fordert Imame auf, das nicht nur ebenfalls zu tun – sondern auch skeptische Eltern und politisch Entscheidungstragende zu überzeugen. 2019 lancierte er die panafrikanische „Keeping Girls in School Conference“, die Führungspersönlichkeiten aus Islam, Christentum, indigenen Religionen sowie aus Politik und internationalen Organisationen einbezog.

Vorbildlich sei auch die seit 2011 tätige Ouagadougou-Partnerschaft. Sie werbe für die Nutzung von Verhütungsmitteln und kooperiere von Anfang an mit Geistlichen aller Glaubensrichtungen. So sei im frankophonen Westafrika eine Allianz religiöser Autoritäten entstanden.

Wichtig ist der Studie zufolge, dass Priester und Imame sich überregional austauschen, um Erfahrungen weiterzugeben, zweifelnde Kollegen zu überzeugen und selbst Unterstützung zu erfahren. Das geschehe etwa in Netzwerken wie Faith to Action, das Geistliche aus westafrikanischen Ländern und Gemeinden regelmäßig mit säkularen Organisationen zusammenbringt, um gemeinsam Strategien zu entwickeln. Noch fehle es nämlich sowohl den religiösen Gemeinschaften als auch ihren Führungspersönlichkeiten oft an Ressourcen, um den Wandel strukturell – etwa durch den Bau von Schulen – voranzubringen.

Die Studie schlägt deshalb vor, dass staatliche Entwicklungsprogramme religiöse Autoritäten stärker einbeziehen sollten. Das werde nicht nur die Lebensbedingungen der Menschen verbessern, sondern auch helfen, die Geburtenraten in westafrikanischen Ländern langfristig zu senken.

Link
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung und Konrad-Adenauer-Stiftung, 2022: Glaube in Aktion – Wie religiöse Organisationen den demografischen Wandel in Westafrika voranbringen.
https://www.berlin-institut.org/fileadmin/Redaktion/Publikationen/159_Glaube_in_Aktion/220208_Glaube_in_Aktion_WEB.pdf

Leon Kirschgens ist freier Journalist und lebt in Aachen.
leon@kirschgens.de

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