Weltmarktführer

Mit ethischem Anspruch zu Spitzenleistungen

Die Tata-Unternehmensgruppe gehört zu Indiens beeindruckendsten Konzernen. Die Gründungsväter verankerten die Prinzipien sozialer Verantwortung in der Unternehmens-DNS – lange bevor es diesen heute angesagten Begriff gab.
Erinnerung an Jamsetji Tata. Nectoy/Lineair Erinnerung an Jamsetji Tata.

An der Spitze der Tata-Gruppe gab es dieses Jahr einen Wechsel: Der neue Vorsitzende Cyrus Mistry ist kein Mitglied der Familie Tata. Er löste Ratan Tata ab, der sich in Zukunft auf seine Wohltätigkeitsorganisationen und auf soziales Engagement konzentrieren will.

Mistry verfolgt eine Strategie, die er Vision 25 nennt. Er will, dass die Tata-Gruppe bis 2025 mit seinen globalen Mitbewerbern gleichauf liegt und 25 Prozent der Weltbevölkerung erreicht. Der international geschätzte Wirtschaftsprofessor Nirmalaya Kumar, Mitglied der Konzernleitung der Holdinggesellschaft Tata and Sons, beschreibt zwei weitere Ziele bis 2025: Tata will weltweit eine der „25 wertvollsten Marken“ werden und unter die Top 25 der börsennotierten Unternehmen gelangen.

Tata ist in vielen Geschäftsbereichen tätig – von der Salzproduktion bis zur Software-Industrie, von Agrarprodukten bis zu Fluglinien. Im Finanzjahr, das im April 2015 endete, erwirtschaftete Tata einen Gesamtumsatz von 134 Milliarden Dollar. Rund 70 Prozent seiner Einnahmen erwirtschaftet das Unternehmen im Ausland. Tata ist in über 100 Bereichen in mehr als 100 Ländern tätig und beschäftigt rund 613 000 Mitarbeiter.

Ratan Tatas wichtigste Leistung war die Multinationalisierung des Konzerns, ohne vom „Tata Way“ abzuweichen. Dieser geht auf Jamsetji Tata zurück, der das Imperium im 19. Jahrhundert gründete. Sein Leitgedanke war Treuhänderschaft. Für Jamsetji war Reichtum nur ein sekundäres Ziel im Leben, das der Verbesserung der wirtschaftlichen und intellektuellen Lage der Menschen und der Nation untergeordnet war. Er formulierte es so: „Im Wirtschaftsleben ist die Gemeinschaft nicht nur irgendeine Interessensgruppe, sondern der Grund, warum ein Unternehmen überhaupt existiert.“

Tata-Manager wissen, dass Besitz mit sozialer Verantwortung und Unternehmensethik einhergehen muss. Diesem Verhaltenskodex sollen alle zugehörigen Unternehmen folgen. Dennoch ist die Unternehmensgeschichte nicht ohne Makel. Zum Beispiel gab es Massendemonstrationen, als die Regierung des Bundesstaates Westbengalen Bauern von ihrem Land vertrieb, um Platz für eine Fabrik zu schaffen. Am Ende verlegten die Tatas den Fabrikstandort in den Bundesstaat Gujarat, der entgegenkommender war. Doch im Großen und Ganzen haben die ethischen Grundsätze dem Konzern gute finanzielle Ergebnisse, einen guten Ruf und Mitarbeiterloyalität verschafft.

Da die Möglichkeit, Gutes zu tun, von wirtschaftlichem Erfolg abhängt, strebte das Tata-Management seit jeher Höchstleistung im Bereich Technologie, Management und Unternehmensführung an. Innovation war eine wichtige Antriebskraft, auch bereits vor der Liberalisierung, als indische Unternehmen noch vor internationalem Wettbewerb geschützt wurden.

Es wird oft erzählt, dass Sir Fredrick Upcut, der Chef der indischen Eisenbahngesellschaft Indian Railways vor der Unabhängigkeit war, nicht glaubte, dass die Tatas in der Lage wären, Stahlschienen nach britischen Anforderungen zu produzieren. Er schwor, „jedes Pfund Stahlschienen zu essen, das es ihnen herzustellen gelingt“. Bald darauf waren die Jam­shedpur-Stahlwerke die größten im britischen Empire und wurden ein bedeutender Lieferant der britischen Armee im Zweiten Weltkrieg.

Heute leben im städtischen Raum von Jamshedpur mehr als eine Million Menschen. Die Stadt ist eine der saubersten und am besten geplanten Indiens, was besonders beeindruckend ist, da sie sich in einem Gebiet im Osten befindet, das zu den am wenigsten entwickelten Teilen des Landes gehört und einen hohen Anteil an Adivasi-Bevölkerung hat. Von Anfang an kümmerten sich die Tatas um eine ausgezeichnete städtische Infrastruktur, guten Wohnraum für Arbeiter, erstklassige Gesundheits- und Bildungseinrichtungen und Wohlfahrtsprogramme für die Bevölkerung.

Die Tata-Familie unterhält mehrere Wohltätigkeitsstiftungen, die einige der bedeutendsten Institutionen für Bildung, Forschung und Kultur in Indien fördern. Darunter sind:

  • das Tata Institute of Social Sciences, das Tata Institute of Fundamental Research und das National Centre for the Performing Arts in Mumbai,
  • das Indian Institute of Science und das National Institute of Advanced Studies in Bengaluru,
  • das Tata Medical Centre in Kolkata sowie
  • das JRD Tata Ecotechnology Centre in Chennai.

Die Tata-Gruppe inklusive ihrer philanthropischen Stiftungen gab im Finanzjahr 2013/2014 für soziale Unternehmensverantwortung (Corporate Social Responsibility – CSR) umgerechnet 14,2 Millionen Euro aus. Die Unternehmen der Gruppe finanzierten rund zwei Drittel dieser Summe und damit deutlich mehr als die obligatorischen zwei Prozent des Gewinns, die indische Unternehmen laut Gesetz für CSR-Zwecke aufbringen müssen.


Arbeiterfreundlicher Pionier

Die frühe Besinnung auf soziale Verantwortung führte bei Tata bereits 1912 zur Einführung des Acht-Stunden-Tages und 1915 zur kostenlosen Gesundheitsversorgung der Mitarbeiter. Die Tatas waren Pioniere in Bezug auf viele Leistungen: Mutterschaftsurlaub, bezahlter Urlaub oder Unfallschadensersatz. Vieles davon praktizierten sie, bevor es in der sogenannten entwickelten Welt eingeführt wurde.

1956 beschloss die Tata-Gruppe, betriebliche Mitbestimmung einzuführen. Es wurden 41 Departmental Councils, in denen Arbeiter vertreten waren, gebildet, um die Beteiligung an unterschiedlichen Bereichen wie Produktion, Qualitätsverbesserung und Sicherheitsmaßnahmen zu fördern. Dennoch gab es Streiks in Tata-Unternehmen, aber die Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber sind nach indischen Maßstäben sehr gut und niemand bezweifelt, dass die Unternehmensleitung generell zu Gesprächen bereit ist.

Die Frage heute ist, ob das Grundprinzip der Treuhänderschaft noch gilt in einer Welt, die Skandale wie den von Volkswagen hervorbringt. Ist es der Tata-Gruppe gelungen, Spitzenqualität in allen Bereichen zu gewährleisten? Hat sie bei Hunderttausenden Mitarbeitern tadellose ethische Standards sichergestellt? Wurde immer die gleiche Servicequalität für alle Kunden geboten?

Es wäre unrealistisch, ein Ja auf all diese Fragen zu erwarten, aber die Selbstverpflichtung zu diesen Standards gilt für alle Unternehmenstätigkeiten. Kritiker weisen darauf hin, dass die Gruppe trotz ihres innovativen Geistes keine internationale Bestseller-Marke besitzt. Dennoch gehört sie in verschiedenen Bereichen zu den Weltmarktführern (siehe Kasten).

Seinen leitenden Managern gab Mistry im Juli Methoden zur Sicherung eines „nachhaltigen profitablen Wachstums“ an die Hand. Die „wichtigsten Bausteine eines langfristigen Nutzens für die Stakeholder“ seien folgende:

  • genaue Recherche der Konsumentenwünsche,
  • Diversifizierung von Profit-Pools,
  • Schaffung geistigen Eigentums,
  • Sicherstellung finanzieller Flexibilität, um Geschäftschancen ergreifen zu können, sowie
  • die Minimierung ökologischer Schäden.

Grundsätzlich erwartet Mistry, dass seine Manager Experimente fördern und Risiken in Kauf nehmen, um „neue Möglichkeiten und Unternehmen der nächsten Generation“ zu entdecken. Diese Haltung ist kein wirklicher Paradigmenwechsel für die Tata-Gruppe, sie zeigt jedoch, dass Mistry sich stärker als sein Vorgänger Richtung Anteilshaber orientiert.

In der Wirtschaftszeitung Economic Times nannte Kumar das ambitionierte Ziel der Vision 25, den Börsenwert der Unternehmensgruppe bis 2025 auf 350 Milliarden Dollar zu verdoppeln. Stärker in Einklang mit der Unternehmenstradition fügte er hinzu, die Manager prüften die Aktienwerte nicht täglich: „Wir bauen Unternehmen auf, die wir für die nächsten 100 Jahre behalten wollen.“

Diese Haltung wird durch die Tata-Nachhaltigkeitsgruppe unterstützt und ausgearbeitet. Sie berät die Tata-Unternehmen bei der Integration von Nachhaltigkeit in die Geschäftsstrategien. Cyrus Mistry selbst fühlt sich der Tata-Tradition verbunden: Der „Tata Way“ habe ein „Businesskonzept geprägt, das Profitabilität und Gewissen miteinander verbindet, indem eine Unternehmensphilosophie geschaffen wurde, die – schlicht gesagt – einzigartig ist“.

So schwierig es im unbarmherzigen Wettbewerb sein mag – Mistry kann es sich nicht leisten zu scheitern.


Aditi Roy Ghatak arbeitet als freie Journalistin in Kolkata und Delhi.
aroyghatak1956@gmail.com

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