Informelle Siedlungen

Lokale Eigenverantwortung macht Slums lebenswerter

Für rund eine Milliarde Menschen, die im globalen Süden in Slums leben, bedeutet die Räumung ihrer Armensiedlungen keine Verbesserung, sondern eine Bedrohung. Die Lösung besteht darin, Wohnungen und Infrastruktur so herzurichten, dass sie den örtlichen Bedürfnissen entsprechen, lokale Gemeinschaften einbeziehen und den Schwächsten nicht schaden.
SDI ist eine Bewegung der Armen, die dazu aufruft, Städte „slumfreundlicher“ zu machen. Screenshot: www.sdinet.org SDI ist eine Bewegung der Armen, die dazu aufruft, Städte „slumfreundlicher“ zu machen.

Im globalen Süden leben geschätzt eine Milliarde Menschen in sogenannten Slums. Der Begriff steht für dicht besiedelte Gebiete mit Wohnraum geringer Qualität. Obwohl der Begriff abwertend ist, hat sich die Redaktion von E+Z/D+C entschieden, ihn in Anlehnung an verschiedene Initiativen von Slumbewohnern zu verwenden, die diese Konnotationen durch die Verwendung des Begriffs ändern wollen. Oft ist die Infrastruktur marode, unvollständig oder fehlt gänzlich. Viele Slums waren einst informelle, nicht geplante Siedlungen. Sie obliegen oft keiner staatlichen Kontrolle und werden von Behörden gern ignoriert.

Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass man die Siedlungen aufwerten und sanieren muss, statt sie zu räumen. Anfang der 1990er Jahre rief Shack/Slum Dwellers International (SDI), eine globale Bewegung städtischer Armer, dazu auf, Städte „slumfreundlich“ zu machen. Seither widersetzen sich die SDI dem UN-Ziel, Städte „slumfrei“ zu machen. Das könnte mit Gewalt erreicht werden, würde den Menschen aber enorm schaden.

Eine Aufwertung von Slums beinhaltet:

  • Bleiberechte der Einwohner zu sichern sowie
  • Dienstleistungen wie Wasser, Elektrizität und sicheres Wohnen bereitzustellen.

Aufwertung kann von der einfachen Sanierung von Hütten bis hin zu anspruchsvoller Infrastruktur reichen (siehe Kasten). Es hat sich als sehr effektiv erwiesen, den Bewohnern Pachtrechte oder Landtitel zu überlassen; das motiviert sie, selbst ihre Lebensbedingungen zu verbessern.

Es gibt zwei Ansätze zur Slum-Aufwertung. Beim Bottom-up-Ansatz sind die Anwohner die treibende Kraft, beim Top-down-Ansatz sind es die Behörden. Bei den Programmen zur Slum-Sanierung werden immer öfter beide Ansätze zusammengeführt. Lokale Gemeinschaften nehmen Regierungen in die Pflicht, ihre Vorhaben durch entsprechende Programme zu unterstützen, und die Regierungen versuchen, lokale Gemeinschaften in die Umsetzung einzubeziehen.

Das thailändische Community Organizations Development Institute (CODI) verfolgt so einen Misch-Ansatz. Die parastaatliche Organisation nutzt staatliche Mittel, um lokale Gemeinschaften bei der Sanierung ihrer Stadtviertel zu unterstützen. Sie bietet sowohl Mietern als auch Hauseigentümern Zuschüsse für Infrastrukturverbesserungen und gewährt außerdem zinsverbilligte Darlehen, um den Wohnungsbau zu ermöglichen. Kollektive Nutzungsrechte senken das Risiko, dass arme Haushalte ihre Häuser verkaufen.

Wie gut die Aufwertung eines Slums gelingt, hängt von mehreren Faktoren ab. So hilft es zum Beispiel, lokalen Gemeinschaften Kontrolle über den Prozess zu geben. Wichtig ist es auch, Sanierungen an die örtlichen Gegebenheiten – einschließlich Bevölkerungsdichte und Lebensstandard – anzupassen. Wichtig ist, dass die ärmsten Mieter nicht vertrieben werden, was oft ungewollt passiert, wenn sich Wohnbedingungen und Infrastruktur verbessern.


Eigentumsfragen

Weltweit haben Programme zur Slum-Sanierung gezeigt, wie entscheidend lokale Eigenverantwortung ist. Die Basisgemeinde muss organisiert sein, damit die Maßnahmen auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet werden. Organisierte Gemeinschaften können sich kollektiv für Änderungen der Modernisierungspläne einsetzen, auf höheren Subventionen für die Armen bestehen oder Rückzahlungen und künftige Mietkostenbelastungen begrenzen, indem sie die Standards der geplanten Wohnungen senken. Solche Organisationen unterstützen oft kollektives Sparen. Zudem können Basisorganisationen ihre Schlagkraft erhöhen, indem sie Daten über ihr Viertel erheben (siehe Diana Mitlin im Schwerpunkt des E+Z/D+C e-Papers 2016/10).

Natürlich spielt auch Eigentum eine Rolle. Solange die Bewohner sich nicht auf Dauer in ihrem Heim sicher fühlen, investieren sie weder Geld noch Mühe, um etwas zu verbessern. Eine Besitzstandsgarantie befähigt sie, Verantwortung zu übernehmen und sich zu organisieren.

Wie wichtig es ist, Betroffene zu involvieren, wurde etwa im indischen Pune deutlich. Die Stadtverwaltung führte das Programm Basic Services for the Urban Poor (BSUP) ein. Anfangs wurden Wohnungen mittlerer Größe am Stadtrand gebaut, was unbeabsichtigt dazu führte, dass einkommensschwache Bewohner, denen diese Einheiten zugewiesen wurden, aus günstig  gelegenen zentralen Gebieten wegziehen mussten.

Als die Betroffenen dann einbezogen wurden, lief es besser und die Leute konnten an ihren Wohnorten bleiben. Die Stadtverwaltung arbeitete mit zivilgesellschaftlichen Organisationen wie etwa Kleinsparvereinen zusammen. Die Bewohner entwarfen ihre Häuser selbst und organisierten Unterkünfte für die Sanierungszeit. Zehn Prozent der Kosten mussten die Haushalte mit Hilfe der Sparprogramme selbst tragen. Mahila Milan, ein Netzwerk von Frauen-Sparkollektiven, spielte dabei eine wichtige Rolle.

Anwohner-Organisationen sollten einbezogen und Modernisierungspläne müssen zu örtlichen Gegebenheiten passen. Wichtige Fragen sind:

  • Wem gehört das Land?
  • Besteht das Risiko von Naturkatastrophen wie Überschwemmungen?
  • Wie dicht ist das Gebiet besiedelt?
  • Wie viele Verbesserungsmaßnahmen kann sich die Gemeinde leisten?
  • Wie hoch ist der allgemeine Lebensstandard des Landes?

In Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte empfiehlt sich der Bau einzelner Häuser. Wo viele Menschen leben, eignen sich eher Reihenhäuser oder Wohnblöcke. Eine reiche Gegend kann sich höhere Standards leisten als eine arme. Eine teure Infrastruktur in einer Gegend, wo sich die Menschen diese nicht leisten können, schließt Haushalte mit niedrigem Einkommen aus. Subventionen können da für Ausgleich sorgen.


Den Schwächsten nicht schaden

Bei der Sanierung von Slums muss die lokale Bevölkerung partizipieren. Zudem müssen Maßnahmen den Gegebenheiten entsprechen. Ferder dürfen die Verletzlichsten keine Schaden erleiden.

Sanierung treibt oft Kosten hoch, so dass arme Mieter vertrieben werden. Andere werden verdrängt, wenn Bleiberechte nur denen angeboten werden, die aus formalen Gründen Anspruch auf ihre Wohnung erheben können.

Das sind knifflige Dinge, wie eine kürzlich durchgeführte Analyse von zwei SDI-Wohnsiedlungen in Nairobi zeigte. Die  gemeinschaftsgeführte Aufwertung sollte bezahlbaren Wohnraum schaffen. Der ursprüngliche Plan sah den Bau von Ein-Zimmer-Wohnungen mit 12 bis 16 Quadratmetern im Erdgeschoss und einer Toilette im ersten Stock vor. Denen, die schon lange dort lebten, wurden zudem Grundstücke angeboten. Das Projekt sollte inklusiv sein. Wer es sich leisten konnte, durfte einen zweite Stock auf sein Heim bauen.

Da die Eigner jedoch Geld brauchten – teils, um Baudarlehen zurückzuzahlen –, vermieteten sie die zusätzlichen Zimmer. Die Projektverantwortlichen akzeptierten schließlich, dass das örtlichen Bedürfnissen entspricht, und werden das bei künftigen Vorhaben beachten.


Diana Mitlin ist Professorin für globalen Urbanismus an der Universität von Manchester und leitende Wissenschaftlerin am Internationalen Institut für Umwelt und Entwicklung (IIED).
diana.mitlin@manchester.ac.uk
Twitter: @DianaMitlin

David Satterthwaite ist Wissenschaftler am IIED und Gastprofessor am University College London.

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