Rechtsstaat

Herausgeforderte Justiz

In Bangladesch herrscht Staatsnotstand, fundamentale Menschenrechte sind außer Kraft gesetzt. Zwei frühere Premierministerinnen sind in Haft. Der Supreme Court des Landes wägt ab zwischen der Wahrung der Verfassung und der Unterstützung von Governance-Reformen.

[ Von Ridwanul Hoque ]

Am 11. Januar wurde in Bangladesch der Ausnahmezustand verhängt. Eine militärgestützte Übergangsregierung trat an. Das derzeitige Kabinett hat versprochen, die Macht im nächsten Jahr an eine gewählte Regierung zu übergeben; zuvor will es die Governance-Bedingungen verbessern. Die Justiz steht derweil neuen Herausforderungen gegenüber – mit Folgen für ihre Unabhängigkeit.

Lange vor der Gründung des Staates Bangladesch 1971 wurden Rechtsreformen und eine unabhängige Judikative gefordert. Das Thema blieb aktuell. Trotz der verfassungsmäßig garantierten Unabhängigkeit der Justiz (Artikel 94 [4], 116A) kontrollierte die Exekutive vor allem die unteren Instanzen weiterhin. Diese Praxis reicht in die Zeit des britischen Imperialismus zurück, denn die Kolonialmacht setzte „Magistrates“ als regionale Amtsgewalten ein, die sowohl exekutive als auch richterliche Funktionen ausübten.

Seit 1971 haben verschiedene Regierungen zwar immer wieder mit dem verfassungsmäßigen Auftrag der Justizunabhängigkeit herumgespielt, administrative Reformen aber nur sehr zögerlich eingeleitet. Die heutige Regierung zeigt jedoch mehr Bereitschaft als ihre Vorgänger, Judikative und Exekutive zu trennen, wie es die Berufungsinstanz (Appellate Division, AD) des Supreme Court bereits 1999 verlangt hatte. Doch bislang wurde dieses Urteil nicht vollzogen (siehe Kasten).

Auch in anderen Punkten werden Reformen in der Justiz gefordert. Einem kürzlich veröffentlichten Bericht von Transparency International zufolge fühlten sich im Jahr 2004 zwei Drittel derjenigen, die sich an Gerichte wandten, zur Zahlung von Bestechungsgeldern gezwungen. Das galt besonders für die unteren Instanzen. Ein weiteres heißes Thema ist die Bestellung von Justizbeamten. Die Regierung erwägt die Einrichtung einer eigenen Verwaltung für Staatsanwälte und öffentliche Verteidiger. Hoffentlich verwirklicht sie dieses Vorhaben bald.

Sondersituation Ausnahmezustand

Doch im Land herrscht Ausnahmezustand, und das überschattet die Debatte über die Unabhängigkeit der Justiz. Grundrechte wurden aufgehoben – einschließlich des Rechts, Gerichte zur Durchsetzung eben dieser Grundrechte anzurufen. Interessanterweise setzt sich die vom Militär gestützte Übergangsregierung allerdings nicht einfach über die Rechtsprechung hinweg, wie das autoritäre Regime meist tun. Sie spürt offenbar, dass sie Legitimität braucht, die nicht zuletzt von der Unterstützung durch die Justiz abhängt.

Die Regierung handelt klug darin, die Unabhängigkeit der Justiz nicht direkt einzuschränken. Sie mischte sich beispielsweise nicht ein, als kürzlich ein neuer Chief Justice am Supreme Court sowie ein Richter an der AD berufen wurden. Das Prinzip der Berufung nach Dienstalter blieb unangetastet.

Dennoch gibt es zwischen einer Notstandsregierung und der Justiz schnell Spannungen. Die Regierung drängt die AD immer wieder, den Vollzug liberaler Entscheidungen der High Court Division (HCD) des Supreme Court aufzuschieben.

Die Notstandsregierung erließ ein Gesetz, das die Befugnis „aller Gerichte“ beschnitt, Beschuldigte auf Kaution freizulassen, wenn diese aufgrund bestimmter Gesetze – darunter auch das Notstandsrecht – verhaftet wurden. Daraufhin wurden Bedenken laut, die Behörden schützten die Bürgerrechte nicht. Geheime Festnahmen sind nicht selten; Todesfälle in Haft kommen vor; Sicherheitskräfte haben auch anderswo Menschen getötet. Die Justiz steht vor größeren Herausforderungen als in Zeiten, in denen die Grundrechte gelten.

Die HCD hat denn auch eine Reihe von Haftbefehlen im Rahmen der Notstandsgesetze für ungesetzlich erklärt, weil sie international anerkannten Rechtsprinzipien widersprächen. Allerdings setzte die AD die entsprechenden Anordnungen zur Freilassung der Verhafteten aus. Zudem besetzte der Chief Justice die HCD-Kammer, welche die Anordnungen erteilt hatte, ohne Angabe von Gründen um.

In einem anderen Fall löste er eine HCD-Kammer mit zwei Richtern auf, die entscheiden sollte, ob die HCD befugt sei, Angeklagte während des Notstands auf Kaution freizulassen. Die neu eingesetzte Kammer blieb aber dabei, dass die HCD diese Kompetenz hat und dass auch das Notstandsrecht daran nichts ändert. Am Rechtsstaatsprinzip wurde also trotz des Notstands festgehalten.

Diese HCD-Entscheidung war während des Notstands bisher die mutigste. Auf Einspruch der Regierung hin setzte die AD allerdings ihren Vollzug aus. Die Angelegenheit ist somit noch nicht entschieden.

Meistens geht es bei der Durchsetzung von Grundrechten um die Interessen von Armen und Unterdrückten. In Bangladesch ist das jedoch derzeit nicht so klar. Die Kautionsfrage beispielsweise ist für Angehörige der Elite sehr wichtig. Immerhin sind zwei frühere Premierministerinnen in Haft, denen das Recht auf Kaution verweigert wird.


Elitäre Häftlinge

Im Sommer wurde Sheikh Hasina, die das Land von 1996 bis 2001 regierte, aufgrund zweier Anklagen wegen Erpressung, die auf Vorfällen während ihrer Amtszeit ruhen, verhaftet. Diese Fälle werden jetzt unter dem Notstandsrecht behandelt, so dass die Angeklagte nicht auf Kaution freigelassen wird. Hasina hat diese Entscheidung angefochten, und die HCD ließ sie zunächst auf Kaution frei – mit der Begründung, man benötige Zeit, um zu entscheiden, ob die Exekutive in ihrem Fall verfassungswidrig gehandelt habe. Wie üblich ging die Regierung gegen diesen HCD-Beschluss in Berufung, und die AD setzte das Urteil am 18. August 2007 aus.

Einige Wochen später wurde auch Begum Khaleda Zia, die unmittelbar vor Ausrufung des Notstands Regierungschefin war, wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet – ebenfalls gemäß den Notstandsregeln ohne Recht auf Kaution. Auch Zia focht die Entscheidung an und bekam zunächst recht, doch die staatliche Antikorruptionskommission ging in Berufung, und die AD setzte das Urteil am 4. Oktober 2007 aus.
Insgesamt war der Ruf des Supreme Court in den vergangenen Jahren besser geworden. Vor allem seine Rechtsprechung in Public-Interest-Angelegenheiten, die häufig um Grundrechte kreisen und bei denen Kläger nicht als persönlich Betroffene, sondern als Vertreter des Gemeinwohls zugelassen werden, hat dem Ansehen der höheren Justiz gedient.

Bislang hat sie sich trotz Notstands ihr Ansehen bewahrt. Allerdings sind Public-Interest-Verfahren in Grundrechtsangelegenheiten bis auf weiteres blockiert. Bisher scheint die HCD bereit, gegen die militärgestützte Übergangsregierung zu entscheiden, wohingegen die AD einen eher abwartenden und taktischen Ansatz verfolgt. Vermutlich hofft die AD, die Regierung werde die unteren Justizinstanzen reformieren. Es ist aber unklar, ob die AD ihrer verfassungsmäßigen Rolle gerecht wird oder sich unzulässig der Exekutive unterordnet.

Die Notstandsregierung hat Grund zu ihrem Antikorruptionskurs und den Programmen, mit denen sie Bedingungen der Governance korrigieren will. Klar ist aber auch, dass keine Gerechtigkeit herrscht, solange basale Menschenrechte nicht gelten und durchgesetzt werden. Die Justiz muss wachsam sein und die Grundrechte vor Regierungsübergriffen schützen. Eine Justizreform auf Kosten von Verfassungsgrundsätzen wäre sicherlich zu teuer erkauft.

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