Menschliche Sicherheit

„Schließen Sie die Lager nicht“

Die kenianische Regierung hat die Schließung der Flüchtlingslager Dadaab und Kakuma angekündigt. Wer in Dadaab lebt, soll bis Ende Mai 2017 in die Heimat zurückkehren oder in ein Drittland ziehen. Hilfswerke warnen vor einer „regionalen humanitären Katastrophe“, und die Betroffenen sind verzweifelt.
Schulunterricht in Dadaab. Schytte/Lineair Schulunterricht in Dadaab.

Laut dem Staatssekretär im kenianischen Innenministerium, Karanja Kibicho, beeinträchtigen die Flüchtlingslager die nationale Sicherheit. Ihm zufolge bekommen die somalische Terrororganisation Al Shabaab und verwandte Gruppen Unterstützung aus ihnen. Die Regierung spricht zudem von ökonomischer Belastung. Kenia hat in den vergangenen Jahren Anschläge erlitten und tut sich schwer, die Lage in den Griff zu bekommen (siehe E+Z/D+C e-Paper 2015/09, S. 28 ff.).

Derzeit leben etwa 600 000 Menschen in Dadaab und Kakuma. Dadaab hat den Ruf, es sei das größte Flüchtlingslager der Welt. Es besteht seit 1992. Die Regierung will es bis Ende Mai nächsten Jahres räumen. Für Kakuma (siehe E+Z/D+C e-Paper 2016/02, S. 21 ff., und E+Z/D+C e-Paper 2016/03, S. 36 f.) hat sie noch keine Frist gesetzt.

Die Betroffenen sind verzweifelt. Deng Malual etwa ist mit seiner achtköpfigen Familie erst vor wenigen Wochen aus dem Südsudan in Kakuma angekommen. „Hier sind wir sicher“, sagt er, aber in der Heimat herrschten Gewalt und Not. „Meine Kinder waren kurz vor dem Verhungern, es gab keine Lebensmittel, nichts.“ Er weiß nicht, wo seine Familie hinsoll, wenn sie nicht in Kakuma bleiben kann.

Die große Mehrheit der anderen Flüchtlinge ist ähnlich hoffnungslos. Außerdem beleidigt sie der implizierte Vorwurf, sie unterstützten Gewalttäter. „Flüchtlinge sind keine Terroristen“, sagt Anne Cham, die aus Äthiopien stammt und in Dadaab lebt. „Hier ist es friedlich – ohne Gewalt, Mord, Landraub und Nötigung.“ Vor derlei ist sie geflohen und stellt klar: „Wir töten niemanden.“ Sie findet gut, dass ihr Kind in Dadaab zur Schule geht und es Lebensmittel gratis gibt. Ihr Appell an die Regierung lautet: „Bitte schließen Sie die Lager nicht.“

Einige Lagerbewohner erkennen an, die kenianische Regierung habe das Recht dazu. Die meisten wissen aber nicht, wo sie hinsollen. In ihrer Heimat droht der Tod – und es wäre ohnehin schwer, dorthin zu kommen. In andere Länder ausreisen können sie auch nicht.

Manche der Betroffenen fühlen sich nun auch vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) vergessen. Dieses hat allerdings eine Presseerklärung veröffentlicht, in der es Nairobi auffordert, die Entscheidung nochmal zu überdenken. Kenia habe „als Grenzland bei der Aufnahme von Flüchtlingen jahrelang eine außerordentliche Rolle“ gespielt, heißt es, und das habe auch zu Lasten für das Land und seine Bevölkerung geführt. Kenia verdiene deshalb mehr internationale Unterstützung, solle aber die Lager nicht schließen. Angesichts von rund 60 Millionen Menschen, die weltweit gewaltsam von ihrem Zuhause vertrieben wurden, urteilt das UNHCR, es sei heute „wichtiger denn je, dass das Asylrecht gewahrt wird und entsprechende Pflichten weltweit erfüllt werden.“

Regierungsunabhängige Verbände sehen das auch so. In einer gemeinsamen Erklärung warnen elf nichtstaatliche Organisationen – darunter World Vision, Oxfam und das Refugee Consortium of Kenya – vor einer „regionalen humanitären Katastrophe“, sollten die beiden Lager abrupt geschlossen werden. Das Asylrecht und Gesetze über Flüchtlingsfragen stünden derzeit unter Druck, „besonders in Europa“, Kenia solle diesen Weg aber nicht gehen. Wie das UNHCR fordern die zivilgesellschaftlichen Organisationen mehr Engagement der internationalen Staatengemeinschaft für Flüchtlinge im Allgemeinen und für die in Kenia im Besonderen.

Diese Positionen leuchten den Menschen in Dadaab und Kakuma ein, wenn sie denn davon erfahren. Leider gibt es aber Grund, daran zu zweifeln, dass die internationale Gemeinschaft oder Kenias Regierung die Ratschläge annehmen werden – wobei zusätzliche Hilfe für Kenia dort bestimmt eine Rolle spielen würde.


Peter Okello ist als Sohn einer südsudanesischen Mutter im Flüchtlingslager Kakuma aufgewachsen und arbeitet als Journalist in Kenia.
okello17art@gmail.com


Links

Stellungnahme von elf regierungsunabhängigen Organisationen
http://www.rescue.org/press-releases/media-advisory-government-kenya-reconsider-intended-closure-refugee-camps-30899

Stellungnahme des UNHCR
http://www.unhcr.org/57308e616.html

 

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