Abfallexporte

Die reichen Länder betreiben Müll-Kolonialismus

Industrialisierte Länder lagern nicht nur einen Großteil ihrer oft umweltschädlichen Produktionsprozesse in ärmere Länder aus, sie entsorgen dort auch erhebliche Mengen ihres Abfalls. Die Folgen sind verheerend für die betroffenen Regionen – und die ganze Welt.
Für viele Menschen ist die Mülldeponie Agbogbloshie in Ghana Lebensgrundlage. picture-alliance/EPA-EFE/A. CARRASCO RAGEL Für viele Menschen ist die Mülldeponie Agbogbloshie in Ghana Lebensgrundlage.

Auf der riesigen Elektromülldeponie Agbogbloshie in Ghana liegt ein Teil des europäischen Elektroschrotts. Überall brennt es, und so wabern giftige Dämpfe über Berge von alten Kühlschränken, Computern und Fernsehern. „Toxic city“ wird die Müllkippe genannt, die sich über 16 Quadratkilometer in der ghanaischen Hauptstadt Accra erstreckt. Schätzungsweise 40 000 Menschen leben hier.

Dass bekannt ist, dass Abfälle zum Großteil aus reichen Ländern exportiert werden, ist nicht zuletzt der Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen zu verdanken, die das Thema in den vergangenen Jahren verstärkt öffentlich machten. Neben Elektroschrott stehen insbesondere Plastikabfälle im Fokus.

Die Abfälle werden in den Zielländern keineswegs immer recycelt, sondern allzu oft verbrannt, deponiert oder wild entsorgt. Das führt zu Schadstoffemissionen, Verunreinigung von Wasser und Boden und Plastikspuren in der gesamten Umwelt. Verschiedene Proben in Boden oder Wasser, die Greenpeace in der Türkei durchgeführt hat, zeigen, wie die illegale Deponierung und Verbrennung von Kunststoffabfällen aus der EU dort zu überhöhten Konzentrationen stark gesundheitsschädigender Stoffe, etwa chlorierter Dioxine oder Schwermetalle, führen.

Der Export von Plastikabfällen ist nicht an sich verwerflich, sondern kann in Grenzregionen durchaus Teil einer regionalen Abfallverwertung sein. Auch verfügen kleinere Länder nicht immer über die gesamte Palette der benötigten Sortier- und Recyclinganlagen und sind auf Exporte angewiesen.

Haben die Zielländer jedoch niedrigere Entsorgungsstandards und eine weniger ausgebaute Infrastruktur, steigt das Risiko, dass es zu unsachgemäßer Abfallentsorgung kommt. Staatenverbände und multilaterale Institutionen müssen in diesen Fällen die Abfallverbringung stärker regulieren und den Export in ärmere Länder unterbinden.

Unter anderem ist es die EU, die hier zu wenig unternimmt. Viele Jahre war China Hauptabnehmer ihres Plastikmülls. Seit das Land 2018 seine Grenzen für Kunststoffabfälle jedoch weitgehend schloss, verbleibt mehr Plastikmüll in Europa oder wird in Richtung Südostasien und Türkei exportiert.

Die EU exportierte 2022 1,1 Millionen Tonnen Plastikmüll in Nicht-EU-Länder. Jeden Tag verlassen über 3 Millionen Kilogramm Plastikabfall den EU-Raum – 31 Prozent davon in die Türkei, 16 Prozent nach Malaysia, 13 Prozent nach Indonesien und neun Prozent nach Vietnam. Auch Großbritannien, Australien, Japan und die USA verschiffen Abfälle in ärmere Länder.

Neben diesen legalen Abfallexporten, die in statistischen Erhebungen hinterlegt sind, werden Abfälle auf illegalem Weg ins Ausland gebracht. Verlässliche Schätzungen zu den Größenordnungen illegaler Exporte sind kaum möglich und beschränken sich auf Stichprobenkontrollen an Häfen und Straßen. Laut Interpol hat die illegale Verbringung von Plastikabfällen infolge der chinesischen Importrestriktionen weltweit jedoch deutlich zugenommen.

Praxis zu Lasten von Mensch und Natur

Nach vorliegenden Informationen sind es zum Großteil gewerbliche Plastikabfälle, die in Länder außerhalb der EU exportiert werden. Dieser Bereich ist jedoch wenig transparent. Es mangelt an Nachweispflichten der Abfallerzeuger und an Kontrollen. Auch werden für die Abfallverbringung häufig Zwischenhändler eingesetzt, was die Nachverfolgbarkeit zusätzlich erschwert. Die Identifizierung der für die unsachgemäße oder illegale Entsorgung verantwortlichen Personen ist kaum möglich.

Die Motive der exportierenden Unternehmen sind heterogen. Teilweise sind Exporte notwendig, wenn im Herkunftsland nicht ausreichend Recyclingkapazitäten zur Verfügung stehen. Abfälle werden jedoch auch exportiert, um Kosten zu sparen. Dies trifft insbesondere auf Kunststoffabfälle zu, die nicht gewinnbringend im Recycling vermarktet werden können, sondern kostenpflichtig entsorgt werden müssen.

Doch selbst wenn Abfälle vollumfänglich in eine Recyclinganlage kommen, kann dort niemals der gesamte Input verwertet werden. Es bleibt Ausschussmaterial zurück, das wiederum mit Zusatzkosten entsorgt werden muss. Befindet sich die Recyclinganlage in einem Land mit gering ausgebauter Entsorgungsinfrastruktur, ist die Gefahr groß, dass diese Reste dann in der Natur landen oder wild verbrannt werden.

Bei der illegalen Abfallverbringung geht es in erster Linie darum, Entsorgungskosten, etwa für die Verbrennung, zu umgehen. Hierfür werden die Abfälle beispielsweise bewusst falsch deklariert oder im hinteren Teil von Schiffscontainern versteckt.

Die europäische Abfallbranche behauptet häufig, für die unsachgemäße Entsorgung von Abfällen im Ausland seien ausschließlich diese illegalen Exporte verantwortlich, und es bedürfe lediglich einer Ausweitung der Kontrollen, um das zu unterbinden. Diese Einschätzung greift jedoch zu kurz, denn es sind auch die legalen Ausfuhren, die am Ende durch mangelhafte Zertifizierungssysteme der ausländischen Recyclinganlagen sowie aufgrund fehlender Zuständigkeiten und Nachverfolgung in den Zielländern oftmals nicht oder nur teilweise recycelt werden. Diese systemischen Mängel sind allein durch die Ausweitung von Kontrollen nicht zu beheben, sondern verdeutlichen die Notwendigkeit schärferer Regeln für den Abfallexport.

Bisherige Exportregeln nicht ausreichend

Das „Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung“ regelt als internationales Umweltabkommen den Export von Abfällen. Es wurde bislang von über 180 Staaten unterzeichnet und enthält seit 2019 auch strengere Vorgaben zur Verbringung von Plastikabfällen. Die EU hat einen Teil dieser Regelungen übernommen. Sie sind seit dem 1. Januar 2021 im Rahmen der EU-Abfallverbringungsverordnung in Kraft. Demnach ist der Export von unsortierten Plastikabfällen aus der EU in Länder, die weder Mitglied der EU noch der OECD sind, verboten. Die Ausfuhr von Gemischen aus verschiedenen Kunststoffen in Länder wie Malaysia oder Indonesien ist somit eingeschränkt.

Gleichzeitig bleiben aber beispielsweise Exporte in die Türkei als OECD-Land erlaubt. Außerdem dürfen sortierte Kunststoffabfälle weiterhin in jedes Land der Welt exportiert werden – unter der Voraussetzung, dass Export- und Importland zustimmen und die Abfälle nicht als gefährlich klassifiziert sind. Es ist offenkundig, dass diese bisherigen Regeln nicht ausreichen, um zu verhindern, dass die EU weiterhin einen Teil ihrer Plastikmüllproblematik auslagert.

Vor diesem Hintergrund wird derzeit eine Verschärfung der EU-Abfallverbringungsverordnung diskutiert. Im Dezember 2022 sprach sich das EU-Parlament für ein generelles Verbot von Plastikmüllexporten in Nicht-EU-Länder aus. Dieser Beschluss ist begrüßenswert. Noch ist jedoch unklar, wie sich die EU-Mitgliedstaaten im Ministerrat hierzu positionieren. Es steht zu befürchten, dass sich manche Länder eher dem Vorschlag der EU-Kommission anschließen, die lediglich den Export in Nicht-OECD-Länder verbieten möchte. Die Ausfuhr in die Türkei wäre damit weiterhin möglich.

Transparentere Systeme nötig

Offen ist außerdem, inwieweit die Abfallverbringung innerhalb der EU strikter reguliert wird. Der vorliegende Gesetzesentwurf sieht für Intra-EU-Exporte Erleichterungen für spezielle Kunststoffe wie PVC oder PTFE („Teflon“) vor, die im Widerspruch zu den Vereinbarungen der Basler Konvention stehen. Weicht die EU an dieser Stelle vom globalen Übereinkommen ab, würde dies einen ungewünschten Präzedenzfall schaffen, dem andere Regionen folgen könnten. Um die Wirkmächtigkeit des Basler Übereinkommens nicht zu beschneiden, muss die EU an den im Rahmen des Global-Governance-Regimes vereinbarten Regeln festhalten.

Es bedarf darüber hinaus transparenter Systeme mit öffentlich zugänglichen Informationen über alle Exporte und deren Verwertung im Zielland. Digitale Systeme können hier zu einer besseren Überwachung beitragen. Auch müssen die Recyclinganlagen regelmäßig von unabhängiger Seite geprüft werden. Um illegale Exporte zu verhindern, sind mehr Kontrollen, unter anderem an Häfen und Autobahnen, notwendig.

Strengere Regeln hätten positive Effekte sowohl in den Import- als auch Exportländern. In den Importländern verringern sich die katastrophalen ökologischen und sozialen Folgen, die mit der Einfuhr von Plastikabfällen einhergehen. Auch werden die dortigen Recyclingkapazitäten nicht weiter mit Abfällen aus dem Ausland belegt. In den Exportländern wiederum wird der Handlungsdruck erhöht, Abfälle zu vermeiden und die Recyclingstrukturen auszubauen – eine Chance für eine globale Kreislaufwirtschaft, in der die externen Kosten nicht weiter in wirtschaftlich benachteiligte Länder ausgelagert werden. Die Weltgemeinschaft muss diese Chance ergreifen, wenn sie die Klima- und Biodiversitätskrise durch ihren Müll nicht noch weiter vorantreiben will.

Michael Jedelhauser ist Referent für Kreislauf­wirtschaft beim Naturschutzbund (NABU).
michael.jedelhauser@nabu.de

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