Editorial

Vom Nutzen und Besitzen

Grund und Boden sind keineswegs selbstverständlich individuelles Eigentum. Bis zur Frühgeschichte wurde Land fast ausschließlich gemeinschaftlich genutzt, und in vielen Gegenden der Welt ist kollektiver Grundbesitz bis heute normal. Für nicht sesshafte Gemeinschaften, die es auf allen Kontinenten gibt, ergibt alles andere wenig Sinn.
Umstrittenes Land in Kenia. msw/45presse Umstrittenes Land in Kenia.

Moderne Marktwirtschaften brauchen indessen klare Eigentumsrechte, damit ökonomische Entscheidungen präzise berechnet werden können. Derweil wächst die Weltbevölkerung, Ressourcen werden knapper, und die Konkurrenz um sie wird härter. Übernutzung und der Klimawandel tun ihr Übriges. Die Knappheit lässt die Preise steigen. Grund und Boden werden mehr und mehr zum Spekulationsobjekt.

Die Urbanisierung rast voran, und Städte verleiben sich Flächen ein, die der Landwirtschaft dann fehlen. Preise steigen, Menschen werden verdrängt. Arme vom Land landen häufig in Slums großer Städte. Wird das Areal, auf dem sie leben, wirtschaftlich interessant, werden sie schnell wieder vertrieben.

Streit um Land hat existenzielle Bedeutung. Es geht um Wohnen und Lebenserwerb. Auch Identitätsfragen sind oft berührt, zuweilen auch reli­giös aufgeladen. Formales Recht und traditionelle Vorstellungen passen nicht unbedingt zusammen – das gilt besonders dort, wo koloniale Strukturen in ehemaligen Kolonien ebenso fortwirken wie alte Traditionen.

Land ist nicht gleich Land. Eine Parzelle im Zentrum Tokios hat einen anderen Wert und Nutzen als ein Stück Wüste und wieder einen anderen als ein Teil einer Oase in dieser Wüste. Doch wo Land für Menschen wertvoll ist, ähneln sich die Probleme. Frauen und Minderheiten werden oft benachteiligt.

Dort, wo es kein formales Landrecht gibt oder dieses nicht durchgesetzt wird, herrscht das Recht des Stärkeren. Mächtige stecken einfach ihren Claim ab, das ist Privatisierung durch Faktenschaffen. Provinzfürsten verkaufen Gemeinschaftsland – oder solches mit unklaren Besitzverhältnissen – an Investoren; Stadtoberhäupter „entwickeln“ Flächen mit informellen Siedlungen für Einkaufszentren und Bürotürme.

Große entwicklungspolitische Herausforderungen sind:

  • Bestehendes Gewohnheitsrecht muss formal anerkannt werden.
  • Es müssen Formen gefunden werden, wie mit diesen Nutzungsrechten gehandelt werden kann, damit das Land möglichst produktiv genutzt wird.
  • Marginalisierte Bevölkerungsgruppen, die auch gewohnheitsrechtlich benachteiligt sind, dürfen nicht noch weiter an den Rand gedrängt werden.

Die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation hat dazu 2012 kluge freiwillige Leitlinien beschlossen. Gute Lösungen ermöglichen langfristig sozialverträgliche Entwicklung. Das Thema ist konfliktträchtig, weil die Interessen mächtiger Eliten aus Politik und Wirtschaft berührt sind. Dass viele Vorhaben des Zivilen Friedensdienstes mit Landkonflikten zu tun haben, ist kein Zufall (er wird übrigens wie E+Z/D+C vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung über Engagement Global gefördert). Formales Recht zu Besitz, Nutzung und Weitergabe von Land ist nicht überall fair. Wer ständig Vertreibung fürchten muss, kann sich kaum eine sichere Existenz aufbauen. Hunderte Millionen Menschen leben in dieser Situation.


Katja Dombrowski ist Redakteurin von E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit / D+C Development and Cooperation.
euz.editor@fs-medien.de

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