Migration

„Der Mix macht’s“

Die Einwanderungspolitik der EU weist grundsätzlich in die richtige Richtung, wird den Bedürfnissen von Entsendestaaten, Aufnahmeländern und den Migranten selbst aber noch nicht gerecht. Experten fordern eine ehrliche Debatte, um Interessen ebenso klar zu benennen wie Vor- und Nachteile für diverse Beteiligte.

Weltweit nimmt die legale wie die illegale Migration zu. Heute geht es allerdings oft um temporäre Veränderungen, während Migranten früher oft einen neuen Start im Leben suchten. Obendrein wird die Bevölkerung reicher Nationen im Schnitt immer älter, weil nur noch wenige Kinder geboren werden. Experten halten es für den einzig richtigen Weg, Migration in einem Gesamtansatz zu regeln, der sowohl den vermehrten Wanderbewegungen als auch der Überalterung reicher Länder Rechnung trage. In diesem Sinne begrüßen sie das Bestreben der Europäischen Union, einheitliche Regelungen zu erlassen, die mehr Mobilität ermöglichen.

Das aber braucht Zeit. Schon 1999 wurden die Asyl- und Einwanderungspolitik als neues Politikfeld der Gemeinschaft bestimmt und die Kommission beauftragt, konkrete Schritte einzuleiten. Doch obwohl sich die Länder der EU grundsätzlich einig sind, dass in Zeiten offener Grenzen eine gemeinsame Migrationspolitik nötig ist, bleibt die Abstimmung untereinander schwierig. Lediglich für die Zusammenführung von Familien, den Status langfristig Aufenthaltsberechtigter, Studenten und Forscher gelten inzwischen EU-einheitliche Regeln.

Zu einem Vorschlag der Kommission zum Zuzug von Hochqualifizierten vom Oktober muss das Europäische Parlament noch Stellung nehmen, bevor der Ministerrat darüber abstimmen kann. Zentraler Bestandteil dieser Richtlinie ist die so genannte Blue Card. Sie sieht ein gemeinsames Antragsverfahren für Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis vor – anstelle der bisher 27 verschiedenen in den Mitgliedsländern. Außerdem gestattet sie zugewanderten Arbeitnehmern, aus beruflichen Gründen in ein anderes europäisches Land umzuziehen, wenn sie zwei Jahre in der EU gearbeitet haben. Unternehmen, die Fachleute aus dem Ausland brauchen, begrüßen diesen Ansatz.

Dennoch beklagt Thorsten Moritz von der „Churches’ Commission for Migrants in Europe“ (CCME), die Aktionen der Europäischen Kommission seien unvollständig und ließen nur indirekt darauf schließen, „was die EU überhaupt will“. Sie müsse ihre Pläne schnell konkretisieren. Jakob von Weizsäcker vom europäischen Think-Tank BRUEGEL bleibt jedoch skeptisch. Zwar sei es für eine zukünftige europäische Einwanderungspolitik sehr wichtig, Hochqualifizierte zu umwerben. Aber finanziell liege der Schwerpunkt der EU-Migrationspolitik immer noch auf der Sicherung der Außengrenzen.

Zu wenig Beachtung findet nach Meinung von Karin Lutze von der AGEF (Arbeitsgruppe Entwicklung und Fachkräfte im Bereich der Migration und der Entwick­lungszusammenarbeit) bisher vor allem illegale Wanderung. Das gelte sowohl in der EU als auch in den Herkunftsländern. Steffen Angenendt von der Stiftung Wissenschaft und Politik ergänzt, die Schritte, die Regierungen unternähmen, seien oft kurzfristig, widersprüchlich und auf Risiken fixiert.

Es reicht nicht aus, Computerspezialisten und Wissenschaftler in die EU zu holen. „Der Mix macht’s“, sagt von Weizsäcker. Am meisten nutzte Einwanderung allen Beteiligten bei einer guten Mischung von Hoch- und Niedrigqualifizierten. Hochqualifizierte bauen Vorurteile in der alteingesessenen Bevölkerung ab und dienen als Vorbilder für niedriger qualifizierte Landsleute. In jedem Fall tragen Migranten durch Geldüberweisungen an ihre Familien zur Entwicklung ihrer Heimat bei. Insgesamt, so schätzen Experten, übersteigen die Heimatüberweisungen von Auswanderern inzwischen die öffentliche Entwicklungshilfe um das Dreifache. Zur Entwicklung beitragen können auch rückkehrende Migranten – zum Beispiel als Unternehmer.

Leider würden Einwandererzahlen in politischen Diskussionen immer noch mit Arbeitslosenzahlen verglichen, klagt Moritz. Zwischen diesen Daten gebe es aber keinen direkten Zusammenhang. Auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum räumte er aber Ende Januar ein, dass Diskussionen über Arbeitsimmigration „europäischen Arbeitslosen signalisieren, dass sich an ihrer Situation auf lange Sicht nichts ändern wird“.

Dabei hat Migration positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Laut Hans Dietrich von Loeffelholz vom Bundesamt für Migration schafft jeder neu angestellte Hochqualifizierte bis zu vier weitere Arbeitsplätze. Und auch die Einwanderung von Niedrigqualifizierten bringe Vorteile für den nationalen Arbeitsmarkt. So ist der Durchschnittslohn nach US-Studien selbst bei einer Zuwanderung von zehn Prozent nur um maximal drei Prozent gesunken. Eine mögliche Erklärung, so von Weizsäcker, sei, dass die Zuwanderung von niedrigqualifizierten – unter anderen eine große Anzahl von Kindermädchen – hochqualifizierten Frauen mehr Arbeitsmöglichkeiten eröffne.

Mehr Mobilität sei im Interesse aller notwendig, waren sich die Tagungsteilnehmer in Loccum einig. Thorsten Moritz von der CCME ist überzeugt, dass „gute Migrationspolitik unter Umständen besser sein kann als traditionelle Entwicklungshilfe“. Vollkommen falsch hingegen ist nach Ansicht von AGEG-Frau Karin Lutze der Ansatz, Entwicklungshilfe davon abhängig zu machen, ob Länder sich bereit erklären, Rückübernahmeabkommen zu unterzeichnen: „Das verstehen viele auch als Drohung.“

Interessanterweise neigen Migranten eher dazu, in ihr Heimatland zurückzukehren, wenn sie unbefristete Arbeitserlaubnisse bekommen, als wenn diese befristet sind, weiß BRUEGEL-Experte von Weiz­säcker. Während temporäre Arbeitserlaubnisse die Menschen an das Gastland binden, weil sie Angst haben, nicht mehr dorthin zurückkommen zu können, „erleichtern permanente Erlaubnisse den oftmals kühnen Schritt zurück ins Heimatland“. Denn sie geben Sicherheit, falls der Neustart im Heimatland nicht klappt. Zwar ließen sich Migrationsströme nie komplett lenken. Angenendt ist aber überzeugt, dass es angesichts der demografischen Herausforderungen, vor denen die EU steht, Ausgleichsprozesse wird geben müssen. Entweder werde Europa in Zukunft kulturell und ethnisch vielfältiger – oder arm. (cir)

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