Kommentar

Islamisten statt Militär

Der erste demokratisch legitimierte Präsident Ägyptens ist ­Mohammed Mursi von den Muslimbrüdern. Die Wahlkommission gab am 24. Juni, eine Woche nach der Stichwahl, das Ergebnis bekannt. Doch der Oberste Militärrat, der das Land seit dem Sturz von Hosni Mubarak regiert, sicherte sich bereits im Vorfeld zusätzliche Macht.

Von Ronald Meinardus

Es waren nicht die ersten demokratischen Wahlen für die Ägypter seit dem Sturz Mubaraks, haben sie doch im letzten Jahr bereits über ein Verfassungsreferendum sowie über die Abgeordneten des Unter- und Oberhauses abgestimmt. Wahlbeobachter aus dem In- und Ausland beanstandeten nur wenige Verfahrensmängel und bescheinigten, es sei im Großen und Ganzen mit rechten Dingen zugegangen. Dies ist ein Quantensprung für ein Land, in dem Wahlbetrug seit Menschengedenken Teil des Systems war. Selbst nach der entscheidenden Stichwahl blieb es ruhig auf den Straßen.

Das ist umso erstaunlicher, als dem Ereignis absolute politische Konfusion vo­rausging. Die Ägypter erlebten, dass nicht die Wahl, sondern ein Schulterschluss zwischen der obersten Gerichtsbarkeit und dem Obersten Militärrat wichtige Weichen im Transformationsprozess stellte. Der Militärrat, der nach dem Rückzug Mubaraks die Führung übernommen hatte, sicherte sich selbst wenige Tage vor der geplanten förmlichen Übertragung der Macht an ein gewähltes Staatsoberhaupt einen Großteil ebendieser Macht.

So erklärte das Verfassungsgericht zwei Tage vor der entscheidenden Stichwahl das Gesetz zur Parlamentswahl rückwirkend für teilweise ungültig, und der Militärrat setzte daraufhin die Abgeordneten kurzerhand vor die Tür. Dies war ein harter Schlag gegen die Muslimbrüder, die in beiden Kammern den Ton angegeben hatten. Von dort aus hatten sie auch versucht, den Verfassungsprozess zu steuern, damit jedoch viel Vertrauen in der Bevölkerung verspielt.

Kurz vor Schließung der Wahllokale dann, und schon kurz vor Verkündung der ersten Teilergebnisse, verkündete der Militärrat ein neues Dekret. Dieses schanzt dem Militär legislative Kompetenzen zu und untersagt dem künftigen Präsidenten Einmischung in militärische Angelegenheiten. Als der Rat sich zudem ein entscheidendes Mitspracherecht bei der Erarbeitung der neuen Verfassung sicherte, machte gar das Wort „Militärdiktatur“ die Runde.

Der nun gewählte Präsident hat also wenig Gestaltungsspielraum. Dabei warten Riesenaufgaben auf ihn. Ägypten steht vor großen Problemen, und die Staats­finanzen laufen aus dem Ruder. Die nötigen, unpopulären Entscheidungen zu treffen, überlässt das Militär gerne ihm.

Die Kandidaten der Stichwahl spiegelten deutlich die Spaltung der Ägypter in zwei Lager wider. Mohammed Mursi wird von seinen Gegnern gerne als Vasall der Muslimbrüder bezeichnet. Ahmed Shafik, der letzte Regierungschef unter Mubarak, wird Lakai des Militärs genannt. Hinter dieser Spaltung steht ein Machtkampf konkurrierender Eliten: Auf der einen Seite stehen unter dem Banner der Muslimbrüder die neuen Eliten, die nach Jahrzehnten der Marginalisierung und Unterdrückung endlich Einfluss wollen. Auf der anderen Seite haben sich mit der Unterstützung des Militärs die Kräfte der alten Ordnung versammelt.

Dass die liberalen und fortschrittlichen Kräfte bei dieser wichtigen Wahl kaum eine Rolle spielten, lag vor allem an ihrer Zerstrittenheit. Sie hatten sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen können. Das wäre aber nötig gewesen, weil das Wahlrecht die Stichwahl zwischen den zwei bestplatzierten Bewerbern vorsieht.

Eine Wahl zwischen Pest und Cholera sei das am Schluss gewesen, meinen nun viele Ägypter, die die Stimmabgabe entweder boykottiert oder ungültig gestimmt haben. Die Mehrheit der Revolutionäre der ersten Stunde ist ganz und gar nicht zufrieden. „Wir wären empört, wenn wir bloß nicht so erschöpft wären“, sagt der prominente Menschenrechtsanwalt Hossam Baghat, der wie viele seiner Mitstreiter ob der Dauermobilisierung mit seinen körperlichen und geistigen Kräften am Ende scheint. Er ist sicher nicht der Einzige, für den der knappe Sieg Mursis unbefriedigend ist. Immerhin aber ist das Militär nun nicht die einzige Macht im Staat.

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