Kommentar

Moderater Linksruck

In einer hoch polarisierten Präsidentschaftswahl entschieden sich die Peruaner für soziale Reformen. Ist der neue Präsident erfolgreich, kann er sein Land und die Region stärker vereinen.


Von Eva-Maria Verfürth

Es scheint, Lateinamerika kenne in der Politik vor allem Extreme. Seit der Wiederwahl des linken Hugo Chávez in Venezuela 2006 endeten viele Präsidentschaftswahlen in hitzigen Kopf-an-Kopf-Rennen gegensätzlicher Kandidaten. So verlor im selben Jahr der linksnationale Ollanta Humala in Peru gegen seinen konservativen Kontrahenten Alan García.

Dieses Jahr erlebte Peru erneut eine emotionale Polit-Soap mit Humala in der Hauptrolle. Die gemäßigte Mitte konnte sich im ersten Wahlgang auf keinen Präsidentschaftskandidaten einigen, und so qualifizierten sich für die Stichwahl zwei Politiker des linken und rechten Lagers. Humala gegenüber stand diesmal Keiko Fujimori, Tochter des früheren autokratischen Herrschers Alberto Fujimori, der wegen schwerer Menschenrechtsverbrechen und Korruption im Gefängnis sitzt.

Die beiden unterschiedlichen Kandidaten verband, dass ihre Vergangenheit sie eigentlich für demokratische Ämter disqualifiziert. Der Ex-Militär Humala soll Putschversuche unterstützt haben. Keiko Fujimori wiederum schien nur eine Marionette ihres immer noch einflussreichen Vaters zu sein und leugnete gar seine Verbrechen. Keine Frage: Im Falle ihres Wahlsieges hätte sie ihren Vater begnadigt.

Humala gewann die Wahl mit rund 51 Prozent nur knapp. Das Ergebnis war vermutlich weniger eine Zusage an den linken Kandidaten als eine Absage an den alten Fujimori. Diese Entscheidung gegen Straffreiheit und Vergessen ist ein wichtiges Signal für den gesamten Kontinent, denn viele lateinamerikanische Länder müssen ihre gewaltgeprägte Vergangenheit noch aufarbeiten.

In der Stichwahl buhlten beide Kandidaten um die politische Mitte. Selbst Fujimori versprach nun Sozialreformen. Humala dagegen propagierte nicht mehr das venezolanische Modell radikaler Umverteilung, sondern das brasilianische, das ­so­zialen Ausgleich mit gutem Investiti­onsklima vereint. So wollte er Wähler ­beruhigen, die befürchteten, er werde die erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung stoppen, die Peru zuletzt das höchste Wachstum der Region beschert hat.

Sein Amt wird ihm nicht leichtfallen. Das Wirtschaftswachstum von acht Prozent ist zwar hoch, aber das gilt auch für die Armutsquote von 34 Prozent. Die Börse reagierte am Wahltag mit rasanten Kursstürzen, weil Investoren sich zurückziehen wollten.

Ob seiner vielen Gesinnungswechsel bleibt unklar, welchen Kurs Humala wirklich verfolgt. Seine Wähler, die ländlichen Armen, erwarten soziale Reformen. Sein knapper Wahlsieg schützt jedoch vor zu radikalen Entscheidungen. Da er keine Mehrheit im Kongress hat, ist er auf Allianzen angewiesen und darf deshalb auch die
Mittel- und Oberschicht nicht brüskieren.

Humalas erste Schritte nach der Wahl wirkten jedenfalls beruhigend. Seinen Wählern bewies er Reformwillen mit der Ankündigung, nach Amtsantritt am 28. Juli sofort eine Gesetzesvorlage zur Erhöhung des Mindestlohns einzureichen. Und den Unternehmen machte er Mut, indem er auf seiner ersten offiziellen Reise nach der Wahl Brasilien besuchte. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos Apoyo waren zwei Wochen nach der Wahl über 70 Prozent der Wähler mit ihm zufrieden. Selbst die Wirtschaft hat der Studie zufolge Ver­trauen geschöpft.

Positiv sind auch Humalas Bemühungen um eine versöhnliche Nachbarschaftspolitik. Er möchte die angeschlagene An­dengemeinschaft CAN stärken und streckte selbst dem ungeliebten Nachbarn Chile die Hand aus. Mehr regionaler Handel wäre für Peru ohne Zweifel gut.

Wenn Humala auf moderatem Kurs bleibt, könnte er nicht nur sein Land, sondern auch die Region stärker vereinen. Momentan hat er so unterschiedliche Länder wie Brasilien, Bolivien, Venezuela und die USA auf seiner Seite. Wenn er es geschickt anstellt, könnte Peru zudem ein weiteres Land werden, in dem soziale Reformen nicht zu Lasten des ökonomischen Erfolgs gehen.

Dass ihm das gelingt, ist aber nicht gewiss. Für Ärger sorgte schon, dass er in ­Bolivien laut von einer Wiedervereinigung beider Länder träumte und – zum Ärger ­Chiles, das mit Bolivien deswegen im Streit liegt – einen Pazifikzugang für Bolivien ­forderte. Es bleibt abzuwarten, wie Humala weitermacht. Beispielsweise könnte er ­Bolivien einen besseren Meereszugang über die peruanische Küste ermöglichen.

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