Abtreibung

Alle sieben Minuten ein Todesfall

Jedes Jahr treiben laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) 42 Millionen Frauen aus den verschiedensten privaten Gründen ein Kind ab. Abtreibung ist nach wie vor der meistpraktizierte medizinische Eingriff. In Ländern mit restriktiver Gesetzgebung nehmen viele Frauen unsichere Methoden in Kauf – oft mit Todesfolge. Die in den Niederlanden ansässige Frauenorganisation Women on Waves (WoW) will mit Information und korrekten medizinischen Eingriffen riskante Abtreibungen verhindern.


[ Von Rebecca Gomperts ]

Die Niederlande haben eine der niedrigsten Abtreibungsraten der Welt. Dennoch beenden dort jedes Jahr 30 000 Frauen frühzeitig ihre Schwangerschaft. Jede fünfte niederländische Frau treibt einmal im Leben ab. Statistiken zeigen, dass im weltweiten Schnitt das sogar jede Frau mindestens einmal tut. Wegen Tabuisierung, Scham und sozialem Druck fühlen sich dennoch die meisten Frauen mit ungewollter Schwangerschaft als Ausnahme.

Wo Abtreibung per Gesetz verboten ist, müssen sich Frauen an fragwürdige Dienstleister wenden. Schätzungsweise leben noch immer 25 Prozent der Weltbevölkerung in Ländern mit restriktiven Gesetzen, die Abtreibung entweder ganz verbieten oder nur zulassen, wenn das Leben der Schwangeren auf dem Spiel steht. Das ist in weiten Teilen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas so, aber auch in Irland, Polen und Malta. Erst vor kurzem haben Mexiko-Stadt, Kolumbien und Portugal Abtreibung legalisiert. In Nicaragua hingegen wurde sie gänzlich verboten, selbst bei Lebensgefahr für die Schwangere. Verbote senken die Abtreibungsrate nicht. Sie zwingen Frauen nur dazu, ihr Leben und ihre Gesundheit zu riskieren, um Schwangerschaften zu beenden. Frauen mit genug Geld finden immer einen Arzt, oder sie lassen im Ausland abtreiben. Je ärmer und je schlechter informiert eine Frau ist, umso wahrscheinlicher wird sie an jemand ohne medizinische Ausbildung geraten oder selbst einen Abtreibungsversuch vornehmen: etwa mit Stricknadeln, Seifenlösungen oder Schlägen in den Unterleib. All das kann zu schweren Komplikationen führen.

An unsicheren Abtreibungen sterben jedes Jahr ­70 000 Frauen. Alle sieben Minuten stirbt also irgendwo auf der Welt unnötigerweise eine Frau an illegalen, riskanten Eingriffen. Im Schnitt stirbt eine von 300 Frauen, die sich einer unsicheren Abtreibung unterziehen, an deren Folgen. Die Hälfte aller Frauen, die Schwangerschaften abbrechen, haben bereits Kinder. Jährlich verlieren über 220 000 Kinder ihre Mütter aufgrund unsicherer und illegaler Abtreibungen. Jeder Einzelfall und die damit verbundenen Tragödien wären zu verhindern.

Wo Abtreibung legal ist, handelt es sich um einen medizinisch äußerst ungefährlichen Eingriff – viel sicherer als eine Geburt, eine Injektion Penicillin oder der Gebrauch von Viagra. Eine frühe Abtreibung ist weniger gefährlich als eine Geburt. In Europa stirbt eine von 10 000 Frauen während einer Geburt, einer rechtzeitigen Abtreibung fällt aber nur eine von 500 000 zum Opfer. Fachgerechte Frühabtreibungen retten das Leben vieler Frauen.

Es gibt zwei Arten der Abtreibung: die chirurgische und die medikamentöse Abtreibung. Erstere wird mit örtlicher Betäubung durchgeführt und dauert zwischen zehn und 15 Minuten. In Ländern mit Abtreibungsverbot hat aber die Weiterentwicklung der medikamentösen Variante entscheidend zur Eindämmung der Müttersterblichkeit beigetragen.

Eine medikamentöse Abtreibung kann durch Einzeleinnahme von Misoprostol vorgenommen werden oder durch eine Kombination dieses Arzneimittels mit Mifepriston oder Methotrextat. Studien zeigen, dass Frauen so zuhause an sich selbst eine sichere Abtreibung vornehmen können. Seit 2005 stehen Mifepriston und Misoprostol auf der WHO-Liste der unentbehrlichen Arzneien.

Information und Hilfe zur Selbsthilfe mit Medikamenten können Leben retten. Die Risiken der medikamentösen Abtreibung entsprechen denen von spontanen Fehlgeburten, mit denen 20 Prozent aller Schwangerschaften enden und deren Müttersterblichkeitsrate eins zu 500 000 beträgt. Zum Vergleich: Bei riskanten, illegalen Abtreibungen ist das Verhältnis eins zu 300. Deshalb ist Legalisierung extrem wichtig. Indessen ermöglichen die genannten Medikamente es Frauen bereits heute, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, ungeachtet der Rechtslage und der Verfügbarkeit oder Bereitschaft der Ärzte.

Die Forschung hat gezeigt, dass Frauen, wenn eine sichere Abtreibung anderweitig nicht möglich ist, bei fachgerechter Anweisung in der Lage sind,
– die Schwangerschaftsdauer zu bestimmen,
– an sich selbst eine korrekte, sichere und effektive medikamentöse Abtreibung vorzunehmen und
– den Erfolg der Intervention einzuschätzen.
Wichtig bleibt – wie bei Fehlgeburten – der Zugang zu ärztlicher Hilfe.

WHO-Studien haben ergeben, dass die medikamentöse Abtreibung mit Mifepriston in Verbindung mit Misoprostol am effektivsten ist; die Erfolgsquote lag bei 95 Prozent. Mifepriston ist jedoch nur dort zugelassen, wo Abtreibung legal ist.

Wo nur Misoprostol (Cytotec) erhältlich ist, können Frauen auch dieses Präparat nutzen, um selbst abzutreiben. Ursprünglich sollte das Mittel bei Rheumapatienten Nebenwirkungen von Schmerzmitteln im Magen reduzieren. Bei korrekter Anwendung und Dosierung führt es in 90 Prozent der Fälle zu einem erfolgreichen Abbruch der Schwangerschaft. Misoprostol ist in den meisten Ländern zugelassen – nicht jedoch in Afrika, weshalb dort die Todesrate bei riskanten Abtreibungen nach wie vor am höchsten ist.

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