Kriegsverbrechen

Kinder an der Waffe

Kindersoldaten werden all ihre Grundrechte vorenthalten. Auch wenn Konflikte beendet sind, können sie in ihren Heimatländern nicht auf Gerechtigkeit hoffen. Projekte wie die „Rebound-Zentren“ in der Demokratischen Republik (DR) Kongo helfen ihnen immerhin dabei, in einen normalen Alltag zurückzukehren.
Existenzgründung als Schuster im Rebound-Center, DR Kongo. Dirk Bathe/World Vision Existenzgründung als Schuster im Rebound-Center, DR Kongo.

Der 20. November 1989 war ein bedeutsamer Tag in der Geschichte der Vereinten Nationen: Die Mitgliedsstaaten einigten sich auf die UN-Kinderrechtskonvention, einen völkerrechtlichen Vertrag, dessen 54 Artikel allen Kindern weltweit ein Leben in Frieden, Freiheit und gesicherter Existenz gewährleisten sollten. Mittlerweile haben mit Ausnahme der USA alle Mitgliedsstaaten der UN die Übereinkunft anerkannt. Sie bildet die Grundlage für zehn Artikel, die gemeinhin als „Grundrechte der Kinder“ bezeichnet werden.

Kein einziges dieser zehn Grundrechte wird in der Lebenswirklichkeit von Kindern umgesetzt, die zum Kampf mit der Waffe gezwungen werden. Die Kinderrechtskonvention und ihre Ergänzungen schreiben zwar den Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten vor. Und sie verbieten es, Minderjährige zu Kampfzwecken einzusetzen. In der Praxis haben viele Kinder allerdings keinen anderen Ausweg, als zur Waffe zu greifen. Sei es, weil sie zwangsrekrutiert werden; sei es aus schierer Not, nicht anders überleben zu können. Ihre Grundrechte auf Schutz, Förderung und Beteiligung werden also einerseits von staatlicher Seite formal zugesichert, andererseits aber real gebrochen.

Natürlich wäre es naiv zu erwarten, dass Kommandeure von Milizen, etwa in der DR Kongo, in Lateinamerika oder im Südsudan, auch nur einen Moment an Kinderrechte und UN-Konventionen denken. Diese Aufgabe kommt anderen zu: Juristinnen, Polizisten, Politikerinnen. Ihr Mittel, um Kinderrechte durchzusetzen, ist die strafrechtliche Verfolgung von Verstößen gegen diese Rechte. Leider gelingt dies auf nationaler Ebene kaum: Die Institutionen vor Ort sind meist zu schwach und zu korrupt.

Auf internationaler Ebene gab es immerhin jüngst einige wenige spektakuläre Prozesse. Im Mai 2021 verurteilte der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag den ugandischen Rebellenchef Dominic Ongwen zu 25 Jahren Haft: wegen Mord und sexueller Gewalt – und auch wegen des Einsatzes von Kindersoldaten. Und im Juni erhielt der liberianische Warlord Alieu Kosiah vom schweizerischen Bundesstrafgericht eine Haftstrafe von 20 Jahren. Ihm wurden zahlreiche Kriegsverbrechen während des liberianischen Bürgerkriegs in den Jahren 1989 bis 1996 vorgeworfen, auch der Einsatz von Kindersoldaten und -soldatinnen.

Gerade der Fall Kosiah zeigt das Problem schwacher nationaler Institutionen auf: Während es in der Schweiz möglich war, einen Prozess anzustrengen und bis zur Urteilsfindung voranzutreiben, wurde Kosiah in Liberia selbst nicht strafrechtlich verfolgt.

Urteile gegen solche Milizenführer sind wichtig und setzen Zeichen. Sie reichen aber bei weitem nicht aus – schon allein deshalb, weil es auf internationaler Ebene zu selten zu derartigen Prozessen kommt. Um vor Ort auf nicht-staatlicher, lokaler Ebene den Sinn für Kinderrechte zu schärfen, braucht es beispielsweise aufklärende Kampagnen in Dörfern und Gemeinden, Kooperationen mit lokalen Regierungs- und Religionsführern oder die Bereitstellung von entsprechendem Schulmaterial. Eine Möglichkeit sind auch Kinderparlamente, in denen Kinder selbst an politischen Entscheidungen teilhaben können.

Solche präventiven Maßnahmen wirken allerdings erst mittelfristig – bestenfalls. Das Kinderhilfswerk World Vision versucht deshalb, zumindest einigen Betroffenen auch kurzfristig bessere Perspektiven zu bieten. In sogenannten Rebound-Zentren in der DR Kongo und im Südsudan haben wir bereits hunderten Mädchen und Jungen, die als Kindersoldaten und Zwangsprostituierte missbraucht wurden, den Schritt in ein ziviles Leben ermöglicht. Sie erhalten psychosoziale Betreuung, besuchen eine Schule und haben die Chance auf eine berufliche Ausbildung. All das ermöglicht den Kindern Zugang zu ihren elementaren Rechten, zum Beispiel auf Bildung, Gesundheitsversorgung und Schutz vor Gewalt.

Auch die Rebound-Zentren sind als reaktive Maßnahmen aber nur ein kleiner Teil der Lösung. Letztlich geht es nicht ohne die Stärkung der demokratischen Strukturen, ohne nachhaltige Armutsbekämpfung und ohne die Behebung der Konfliktursachen in fragilen Staaten.


Dirk Bathe ist Medienreferent beim Kinderhilfswerk World Vision in Deutschland.
dirk.bathe@wveu.org

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