Grundbildung

„Kinder sind Agenten des Wandels“

Die Informations- und Kommunikationstechnologie bietet all denen, die Zugang haben, vielfältige Möglichkeiten. One Laptop per Child (OLPC) heißt eine gemeinnützige Industrie-Initiative, die durch die Verteilung von Schulcomputern die digitale Kluft überbrücken will. Ihr Gründer und Vorsitzender Nicholas Negroponte hat Hans Dembowski seine Vorgehensweise und Ziele erläutert.


[ Interview mit Nicholas Negroponte ]

Der Name Ihrer Initiative ist Programm: Ein Laptop für jedes Kind. Von dieser Quote sind wir allerdings noch weit entfernt. War Ihre Arbeit vergebens?
Uruguay hat ein Laptop pro Kind flächendeckend erreicht – mit 450 000 Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren. Die letzten 50 000 erhalten ihren Laptop in diesem Monat. Peru und Ruanda werden dem Beispiel folgen und das Ziel innerhalb von drei Jahren erreichen. Dort geht es jeweils um 2,2 Millionen Kinder. Bisher hat OLPC eine Million Laptops verteilt, und zwar mit 19 Nutzersprachen in 31 Ländern – darunter Haiti, Äthiopien, Afghanistan, Mongolei und Kambodscha. Das ist ein großer Erfolg und bestimmt nicht vergebens. Noch wichtiger aber ist, dass das Konzept eines preisgünstigen Laptops noch vor dreieinhalb Jahren, als OLPC an den Start ging, abgelehnt und verspottet wurde. Aber unser XO-Laptop war dann der Vorreiter für das so genannte Netbook, die Art von Laptop, die in diesem Jahr immerhin 30 Prozent der Weltproduktion ausmachen wird. Das ist ganz schön viel Wandel in dreieinhalb Jahren.

Wer oder was behindert die Überbrückung der digitalen Kluft?
Zum Teil waren das kommerzielle Interessen – in Form von Stellvertreterkriegen zwischen Intel und AMD oder Microsoft und Open Source etwa. Aber niemand hat ein Interesse an der Erhaltung der digitalen Kluft. Das eigentliche Thema ist Geld. Der Anfang ist immer schwer, weil sehr viel aufgeholt werden muss. Als Minimum sollte man alle Kinder bis zur sechsten Klasse erreichen, besser wäre es aber, gleich noch mehr Klassen einzubeziehen.

Wer ist für Fortschritt auf diesem Feld verantwortlich: Entscheidungsträger im Privatsektor, die Regierungen der Entwicklungsländer oder die Gebernationen und ihre Durchführungsorganisationen?
Die Staats- und Regierungschefs für ihre jeweiligen Nationen. Der beste Zeitpunkt für die Einführung des Programms ist am Anfang ihrer einzigen oder letzten Amtszeit. Der oberste Politiker einer Regierung muss dahinter stehen, damit die Minister sich nicht vor der kühnen Investitionsentscheidung ängstigen. Laptops für Kinder gehören in dieselbe Kategorie wie Bürgersteige, saubere Luft oder elementare Gesundheitsversorgung. Das sind öffentliche Aufgaben. Geberorganisationen sollten darüber nachdenken, statt nur Geld für Laptops zur Verfügung zu stellen. In den USA versuche ich die Obama-Regierung davon zu überzeugen, das in Afghanistan zu tun.

Ein zentrales Problem der Grundschulen in Entwicklungsländern – vor allem auf dem Land – ist, dass Lehrpläne nicht auf die lokale Kultur, Lebensweise und Bedürfnisse eingehen. Verschärft die Ausrüstung mit Rechnern solche Schwierigkeiten nicht zusätzlich?
Die Vorstellung, dass „Schule“ einem altersgetrennten, starr fortlaufenden Lehrplan folgt und auf Disziplin anstatt auf Leidenschaft beruht, ist ein sehr eingeengtes Modell, das viele Bedürfnisse nicht berücksichtigt. Unser Ansatz ist anders. OLPC sieht das Kind als Agenten des Wandels. Das ist eine Umkehrung des herkömmlichen Verständnisses von Lernen, eines, das auf die angeborene Lernfähigkeit der Kinder setzt. Wenn Leute mich fragen: „Wie sollen wir den Lehrern beibringen, den Kindern beizubringen, die Laptops zu benutzen?“, frage ich mich, auf welchem Planeten sie eigentlich leben. Kinder sind clever. Sobald sie die Chance dazu bekommen, finden sie Wege, Computer zu benutzen – und dabei üben sie dann auch elementare Fähigkeiten wie Schreiben und Lesen.

Aber am Anfang brauchen die Kinder doch Anleitung.
Unser Schwerpunkt liegt nicht auf Computerkenntnissen. Die sind eher ein Nebenprodukt der allgemeinen Kompetenz, die Kinder bei der Nutzung des Schullaptops entwickeln. Es wäre falsch, „Computer“ als ein weiteres, schwieriges Lehrplanfach zu verstehen. Laptops erlauben den Kindern, Interessen zu entwickeln und zu verfolgen. Fast überall, wo Klassen unsere Laptops erhalten, gehen die Fehlzeiten enorm zurück. Die Schüler beginnen, ihr eigenes Potential zu entwickeln. Wenn Kinder Zugang zu einem solchen Lernwerkzeug erhalten, nehmen sie ihre Bildung selbst in die Hand. Sie lernen, tauschen sich mit anderen aus, sind kreativ und arbeiten zusammen. Sie treten in Verbindung zueinander, zur Welt und einer besseren Zukunft. Lernen ist unser Hauptziel. Kinder – insbesondere kleine Kinder – brauchen diese Chance. Es geht nicht um Word, Excel oder Pow­erpoint – aber selbstverständlich kommen sie auch damit später einmal besser zurecht, wenn sie mit Computer aufwachsen.

Wo wurden die bestehenden Probleme am bes­ten gelöst?
Besonders gut hat das Konzept in Peru funktioniert, und zwar in sehr entlegenen Dörfern, wo die Kinder weder in der Schule noch zuhause Strom haben. Die Lebensumstände sind sehr arm und einfach. Die Kinder sprechen nicht einmal Spanisch. Es gibt dort keine vorgefertigten Vorstellungen übers Lernen, und so bringen Kinder zum Beispiel ihren Eltern Lesen und Schreiben bei.

Sie waren gerade in Afrika. Was hat Sie am meisten beeindruckt?
Wir haben gerade unsere gesamte Bildungsabteilung in die ruandische Hauptstadt Kigali verlegt. Von dort werden wir ganz Afrika und Nahost versorgen. Ich war schon oft genug in Afrika, um zu wissen, wie wenig ich weiß, wie verschieden die einzelnen Teile sind und wie verbreitet extreme Armut ist.

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