Wahlen

Neuer Präsident, alte Probleme

Argentinien wählt am 27. Oktober einen neuen Präsidenten. Der wird mit den alten Problemen konfrontiert sein: Rezession, Inflation, Auslandsverschuldung. Nötig wären Reformen, inklusive des politischen Systems.
Anhänger von Alberto Fernández feiern seinen Sieg bei den Vorwahlen. Cuesta/picture-alliance/AP Photo Anhänger von Alberto Fernández feiern seinen Sieg bei den Vorwahlen.

Im August fanden in Argentinien Vorwahlen statt. Das Ergebnis war überraschend: Amtsinhaber Mauricio Macri verlor klar gegen Alberto Fernández von der peronistischen Partei, der mit Macris Vorgängerin, Cristina Kirchner, als Vize ins Rennen geht. Vor vier Jahren hatte Macri vor allem dank der vielen Fehler und Skandale Kirchners gesiegt.

Allerdings steckt Argentinien nun schon wieder in einer tiefen Krise. Bei Wahlen hilft das in der Regel der Opposition – und zwar besonders dann, wenn die Mehrheit der Bürger stark belastet ist. Die Regierung kann Schulden beim Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht bedienen, und es erscheint unausweichlich, dass diese Regierung oder die nächste Verbindlichkeiten umstrukturiert. Zugleich verfällt der Wert der Währung. Macri bietet keine wirkliche Lösung und tut sich schwer, auch nur die unternommenen Anstrengungen zu erklären. Wenn kein klares Ziel in Sicht ist, reichen Appelle wie „Dies ist der einzige Weg“ nicht aus. Also wendete sich bei den Vorwahlen ein großer Teil der Mittelschicht von Macri ab.

Derweil verdreht die Opposition die Geschichte zu ihren Gunsten. Fernández sagt im Wahlkampf gern, Néstor Kirchner habe das Land aus der Krise von 2001/02 geholt. Kirchner war der Ehemann und Amtsvorgänger von Cristina. Er regierte von 2003 bis 2007 und starb 2010. Fernández war sein Kabinettschef.

Fernández verkürzt die Realität um drei grundlegende Faktoren:

  • Der Schuldenberg, der zur Krise von 2001/2002 geführt hatte, war unter der peronistischen Regierung von Carlos Menem entstanden.
  • Néstor Kirchner kam an die Macht, als es nach der Staatspleite wirtschaftlich nicht mehr weiter abwärts gehen konnte. Danach war er nicht mehr an IWF-Auflagen gebunden (siehe meinen Aufsatz im Schwerpunkt von E+Z/D+C 2018/09).
  • Unter Néstor Kirchner florierte die Wirtschaft dank der hohen internationalen Nachfrage vor allem nach Soja. Die gute Konjunktur wurde aber nicht für Strukturanpassungen genutzt.

Die Rohstoffnachfrage ist weltweit nun schwach. Unter der Regierung von Cristina Kirchner wuchs die Inflation, das Wirtschaftswachstum stoppte. So musste Macri wieder IWF-Hilfe beantragen. Dessen Forderungen entsprechend hat er zwar den Staatshaushalt ausgeglichen, allerdings zu einem hohen Preis: hohe Auslandsverschuldung, niedrigere Gehälter im öffentlichen Dienst und Kürzungen von Sozialleistungen.

Die nächste Regierung wird also mit alten Problemen konfrontiert sein: Rezession, Inflation, Auslandsverschuldung, stark schwankende Wirtschaftsaktivität. Zusammen bilden sie Argentiniens Grundproblem: Das Land ist unfähig, genug Geld einzunehmen, um seine Ausgaben zu decken. Néstor Kirchner hat diesbezüglich keinen echten Fortschritt erreicht. Er brachte nur zeitlich befristete Verbesserungen der Lebensbedingungen.

Nötig sind jetzt eine Steuerreform, eine Rentenreform und neue Impulse für das Bildungswesen. Argentinien braucht dafür ein neues Verständnis von der Rolle des Staates. Konservative wie Macri wollen ihn immer nur zurückstutzen, während die Peronisten gern so tun, als könnte er alles leisten.

Argentiniens politisches System ist dysfunktional. Seit Einführung der Demokratie im Jahr 1983 haben nur peronistische Regierungen ganze Amtszeiten durchgehalten. Ihre Partei ist ein Machtausübungsapparat, der seinen gewählten Nachfolgern stets so große Probleme hinterlässt, dass sie scheitern müssen. Das wiederum nutzen die Peronisten, um sich als einzige legitime politische Kraft darzustellen. Macri dürfte der erste nichtperonistische Präsident sein, der eine Amtszeit durchhält – wenn auch politisch stark beschädigt.

Fernández und Cristina Kirchner waren lange Gegner. Nun haben sie ihre Differenzen begraben, um wieder an die Macht zu kommen. Wenn die Zeit der Demokratie in Argentinien von politischer Instabilität und vor allem von wirtschaftlichem und sozialem Abstieg geprägt war, ist daran zweifellos vor allem der Peronismus schuld.

Trotzdem scheinen die Menschen ihm eine neue Chance geben zu wollen. Die Frage ist, ob es möglich ist, diese Dynamik zu verändern, die Argentinien für die ganze Welt zu einem Land gemacht hat, das fast permanent mit Niedergang assoziiert wird.


Jorge Saborido ist beratender Professor für Geschichte an der Universität Buenos Aires.
jorge_saborido@hotmail.com

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