| Biologische Vielfalt ]

Nahrungsmittel für eine wachsende Bevölkerung

Der landwirtschaftliche Fortschritt in Afrika darf nicht zu Lasten des reichen genetischen Erbes des Kontinents gehen. Er muss sich auf das afrikanische Wissen, die afrikanische Erfahrung und vor allem auf die Fähigkeiten und die Tatkraft der afrikanischen Kleinbauern stützen.

[ Von Lennart Båge ]

Im Jahr 2004 forderte Kofi Annan, der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, eine Grüne Revolution in Afrika. Denn nichts anderes als eine Revolution sei nötig, so Annan, um die landwirtschaftliche Produktivität in Afrika zu erhöhen und Millionen Kleinbauern und ihre Familien aus der erdrückenden Armut zu befreien. Mehr als 75 Prozent der Ärmsten der Welt leben in Subsahara-Afrika – von weniger als einem halben Dollar pro Tag. Mehr als 200 Millionen Menschen in der Region sind unterernährt.

Kofi Annan sprach aus, was der International Fund for Agricultural Development (IFAD) und andere Organisationen aus der Entwicklungszusammenarbeit vor Jahren schon erkannt haben: Dass Afrika eine eigene Grüne Revolution benötigt, um auf seine Probleme zu reagieren. Die nämlich unterscheiden sich fundamental von den Problemen, die Asien vor vierzig Jahren zu Beginn seiner Grünen Revolution hatte.

Die afrikanische Landwirtschaft ist wesentlich ausdifferenzierter als die asiatische. Es gibt stärkere Unterschiede in Afrika: Beim Land, dem Boden, den natürliche Ressourcen und klimatischen Bedingungen. Etwa 50 Prozent des Farmlandes sind von Bodenerosion betroffen, bis zu 80 Prozent des Weidelandes weisen Abnutzungserscheinungen auf. Mehr als 95 Prozent der afrikanischen Landwirtschaft ist niederschlagsabhängig. Allerdings gibt es in Afrika, wie auch in Asien, vor allem Kleinbauern. Im Afrika südlich der Sahara besitzen die meisten von ihnen weniger als zehn Hektar Land. Um davon leben zu können, sind sie auf verschiedene Einkommensquellen angewiesen – sie können es sich nicht leisten, auf Monokulturen oder eine einzige wirtschaftliche Tätigkeit zu setzen.

Früher ist man davon ausgegangen, dass die Förderung der landwirtschaftlichen Produktivität immer zu Lasten der Artenvielfalt geht. Diese Annahme hat sich jedoch als falsch erwiesen. Inzwischen wird weitgehend anerkannt, dass sich eine Grüne Revolution nicht zwangsläufig negativ auf die Artenvielfalt auswirken muss – oder darf. Statt dessen wird eine erfolgreiche Grüne Revolution in Afrika von der Vielfältigkeit der Anbaubedingungen auf dem Kontinent ausgehen. In vielen Fällen heißt das, dass die Artenvielfalt mehr gefördert werden muss.


Die „besondere Kraft“ der Landwirtschaft

Klar ist, dass die Grüne Revolution in Afrika nicht ohne große Investitionen und bessere Verfahren zur Verbesserung des landwirtschaftlichen Wachstums erfolgen kann. Die Landwirtschaft spielt schließlich im Kampf gegen Armut und Hunger eine entscheidende Rolle. Das hob auch die Weltbank hervor – im „Weltentwick­lungsbericht 2008: Landwirtschaft für Entwicklung“. Dennoch bleibt die Unterstützung der Landwirtschaft in Entwicklungsländern enttäuschend gering. Der Anteil an der offiziellen Entwicklungshilfe (ODA) ist von 18 Prozent im Jahr 1979 auf 2,9 Prozent im Jahr 2006 stark zurückgegangen. Auch die afrikanischen Regierungen haben ihre Ausgaben für die Landwirtschaft über viele Jahre gesenkt.

Aber es gibt auch ermutigende Zeichen. Die afrikanischen Regierungen nehmen den Kampf gegen die ländliche Armut heute wieder sehr ernst. Die Afrikanische Union, die Neue Partnerschaft für Afrikas Entwick­lung (NEPAD), die Poverty Reduction Strategy Papers (PRSP) und die Maputo-Erklärung aus dem Jahr 2003, die darauf abzielt, den Landwirtschaftssektor wiederzubeleben, sind Zeugnis für dieses neue Engagement. Trotzdem muss noch viel getan werden: Artenvielfalt bildet schließlich die Grundlage der Landwirtschaft. Sie ermöglicht die Produktion von Nahrungsmitteln – sowohl wild als auch kultiviert – und trägt zur Gesundheit und Ernährung aller Menschen bei. Und: Artenvielfalt spielt eine entscheidende Rolle bei der Sicherung des Lebensunterhalts der armen Landbevölkerung.

In den Jahren nach der ersten Grünen Revolution begann sich die Idee der nachhaltigen Entwicklung zu etablieren. Erstmals vorgestellt wurde dieses Konzept in einem von der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (WCED) 1987 vorgelegten Schlüsseldokument, das nach der Kommissions-Vorsitzenden Gro Harlem Brundtland benannt war. Nachhaltigkeit definiert sich darin als „Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne die Fähigkeit zukünftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen zu können“.

Die Grüne Revolution in der asiatischen Landwirtschaft in den 1970er Jahren verringerte die Zahl der Anbaupflanzen und steigerte den Einsatz von verbesserten Samen, Dünger und Bewässerung. Ziel war die Maximierung des Ertrags. Mit der Grünen Revolution konnte die Landwirtschaft erfolgreich transformiert werden. Es wurden mehr Nahrungsmittel erzeugt, und die Gefahr von Hungersnöten auf dem Kontinent wurde reduziert. Aber die Grüne Revolution ging zu Lasten der Umwelt – und der Artenvielfalt. Sie konzentrierte sich auf einige wenige Ertragspflanzen: Reis, Weizen und Mais – alles wertvolle Pflanzenarten, aber es gibt noch viele andere Sorten, die für das Leben von Millionen armen Menschen lebenswichtig sind. Zu diesen Spezies gehören die Hirse, Palmfrüchte sowie Blattgemüsesorten, Wurzeln und Knollen.

Global gesehen, haben sie vielleicht keine große Bedeutung – in den Regionen selbst aber sind sie äußerst relevant. Sie gedeihen auch bei wenig Arbeitsaufwand sowie in Randlagen und stellen in den mageren Zeiten eine Nahrungsmittel- und Einkommensquelle dar. Ähnlich ist es bei der Viehzucht: Einheimische Rassen sind unter schwierigen Bedingungen produktiver als importierte Züchtungen. Für arme Bauern nämlich geht es nicht nur um die Wachstumsrate oder den Milchertrag, sondern vor allem um die Überlebens- und Reproduktionsfähigkeit der Tiere.

Die landwirtschaftliche Entwicklung muss deshalb sowohl die einheimischen Arten erhalten als auch Neuzüchtungen einführen. Eine Lehre, die aus der Entwicklung der vergangenen Jahre gezogen werden kann, ist, dass Bauern in landwirtschaftlichen Subsistenz- und Semisubsistenzsystemen an Pflanzen interessiert sind, die viele Merkmale aufweisen. Die wünschenswerten Charaktereigenschaften orientieren sich dabei nicht unbedingt an der Produktion, sondern am Konsum. Es geht um den Geschmack, die Weiterverarbeitung und die Lagerfähigkeit. Die Bauern wollen aus dem Weizenanbau zum Beispiel Getreide und Stroh, oder sie brauchen einen bestimmten Geschmack für ein traditionelles Rezept. Haben die Pflanzenarten diese Merkmale nicht, dann halten die armen Bauern sie für unattraktiv.


Die Bedeutung indigener Bäume

Kleine Änderungen im Verhalten der Kleinbauern und die Nutzung und Wertschätzung ihres Wissens können dazu beitragen, die Artenvielfalt wiederherzustellen und gleichzeitig eine wachsende Bevölkerung zu ernähren.

Viele Studien haben die Bedeutung von indigenen Bäumen für den Lebensunterhalt der ländlichen Bevölkerung und die Umwelt betont. Beispielsweise sind afrikanische Pflaumen (Safou oder Dacryodes edulis) in Kamerun und Nigeria für drei oder vier Monate im Jahr eine wichtige Ergänzung zu den Grundnahrungsmitteln, da sie eine billige Energiequelle darstellen und Proteine, notwendige Amino- und Fettsäuren sowie beträchtliche Mengen an Kalium, Phosphor, Kalzium und Magnesium liefern. Einnahmen aus dem Verkauf der Safou-Frucht fallen in einen Zeitraum, zu dem auch die Schulgebühren fällig werden.

Ein vom IFAD unterstütztes Baum-Domestizierungsprogramm des World Agroforestry Centre (ICRAF) hat Bauern in Kamerun, der demokratischen Republik Kongo, Äquatorial-Guinea, Gabun und Nigeria geholfen, hochwertige einheimische Bäume in ihre Landwirtschaftssysteme zu integrieren. Das Ergebnis: Einkommen, Ernährung und Gesundheit haben sich für die beteiligten Familien verbessert. Gleichzeitig bleibt die lokale Artenvielfalt erhalten. Darüber hinaus tragen die Wurzeln der Bäume zur Festigung des Bodens bei und verringern somit die Gefahr von Erdrutschen, während Blätter und Früchte einen natürlichen Dünger ergeben.

Auch durch seine Unterstützung für ein Programm in Burkina Faso und Niger hat der IFAD einen bedeutenden Beitrag zum Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und Artenvielfalt geleistet. Das Programm hilft Bauern in der Sahelzone, einfache Methoden zur Bodenkonservierung und der Agroforstwirtschaft anzuwenden. So war es im nigerianischen Bezirk Aguié für arme Leute üblich, Bäume zu fällen – für Brennholz oder Baumaterial. Ohne sie wurde das Land dann allmählich unfruchtbar.


Bauern zuerst

Im Jahr 2000 wurde auf mehr als 100 000 Hektar Land ein begleitetes Regenerationsprogramm umgesetzt. Die Verhaltensänderungen der Bauern haben sich massiv auf die ökologische Situation in der Region ausgewirkt. So hat eine Evaluierung gezeigt, dass es im Projektgebiet 50 neue Bäume pro Hektar gibt. Weite Teile des Gebiets sind nun vor Sandsturmschäden geschützt. In Nicht-Projekt-Gebieten sind die Wiederaufforstungsraten geringer.

Für eine nachhalt ige Grüne Revolution, die die Artenvielfalt schützt, müssen die Bauern die Führung übernehmen. In Asien haben die Bauern einfach verbessertes Saatgut erhalten. In Afrika kann das anders werden. Das zeigt das „Programm zur Förderung der Pflanzenvielfalt für einen verbesserten Lebensunterhalt von Bauern in der Sahel-Zone“. Das Programm wird vom IFAD unterstützt und vom Internationalen Büro für Artenvielfalt in Subsahara-Afrika geleitet. Es vereint arme Bauern in Burkina Faso, Mali und Niger in lokalen Organisationen. Deren Mitglieder können verschiedene Anbaupflanzen – sowohl traditionelle als auch moderne – testen. Die Bauern können dabei beobachten, wie das Saatgut unter realen Bedingungen auf ihren eigenen Feldern gedeiht. Mit diesem Wissen können sie wiederum die besten Pflanzenarten für ihre eigenen Bedürfnisse auswählen.

Der IFAD fördert durch die Arbeit mit Bauernorganisationen und die Gründung von Feldschulen das Lernen und die Wissensvermittlung in Afrika und anderen Regionen der Erde. In den Feldschulen erhalten die Bauern praktisches Training, mit dem sie ihre eigenen Forschungen durchführen und an ihrer eigenen Entwicklung aktiv teilnehmen können.

Eines der wichtigsten Dinge, die wir während unserer 30-jährigen Arbeit in der ländlichen Entwicklung gelernt haben, ist, dass Bauern im Mittelpunkt jeder Aktion stehen müssen. Kleine Änderungen in ihren Handlungsweisen können riesige Auswirkungen für ihre lokalen Gemeinschaften haben – und für die Menschheit als Ganzes. Es gibt keine Einheitslösungen für die ländliche Armut. Jede Strategie muss auf den spezifischen Kontext zugeschnitten sein. Im Fall Afrika bedeutet dies, dass die Bauern an der Vielgestaltigkeit ihrer Anbaupflanzen und somit am Erhalt der allgemeinen Artenvielfalt arbeiten müssen – gerade auch im Hinblick auf die steigende Klima-Unsicherheit (siehe Seite 192) und die technologischen Veränderungen.

Eine Grüne Revolution in Afrika wird, wenn intelligent umgesetzt, in der Lage sein, die Armut und den Hunger auf dem Kontinent zu bekämpfen und gleichzeitig die Artenvielfalt für kommende Generationen zu erhalten. Wir müssen beides tun: die Welt ernähren und den Planeten erhalten.

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