Grundsicherungspolitik

Konsequent halbherzig

Cash Transfers sind inzwischen unbestrittener Bestandteil internationaler entwicklungspolitischer Konzepte als Instrument zur sozialen Sicherung. Von Deutschland geförderte Pioniervorhaben in Mosambik und Sambia haben entscheidend dazu beigetragen, Sozialhilfe in Form von Kaufkrafttransfers in den ärmsten afrikanischen Ländern einzuführen. Dennoch engagiert sich Deutschland nur zögerlich.


Von Bernd Schubert

Zwischen 1989 und 1992 unterstützte Deutschland die Planung und Durchführung eines Kaufkrafttransferprogramms in Mosambik durch den Einsatz von zwei Kurzzeitexperten. Etwa zehn Dollar pro Monat erhielten extrem arme Haushalte ohne arbeitsfähige Haushaltsmitglieder, die etwa durch den Bürgerkrieg ihre Haupternährer verloren hatten. Das war mutig: Die Förderung von Sozialhilfe in einem niedrig entwickelten Land (LDC) wurde damals in Deutschland wie auch international als entwicklungspolitisch bedenklich angesehen.

Diese Intervention heißt heute nach der Trägerorganisation INAS (Instituto Nacional de Acção Social – Nationales Institut für Sozialaktion) und wurde ursprünglich unter dem Kürzel GAVPU (Gabinete de Apoio à População Vulnerável – Büro für die Unterstützung der verletzlichen Bevölkerung) bekannt. Es handelt sich um ein rundsicherungsprogramm, das voll aus dem mosambikanischen Haushalt finanziert wird. Doch aus Angst, das Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe” zu untergraben, brach Deutschland die Kurzzeiteinsätze 1992 ab – trotz eindeutiger Nachfrage der Partner. Um den Rückzug der deutschen GTZ zu kompensieren, sprangen kurzfristig UNICEF und die Schweizer Entwicklungshilfe ein.

Ein Jahrzehnt später wiederholte sich das Gleiche in Sambia. Nach zehnjähriger Pause hatte sich Deutschland wieder einmal vorsichtig im Minenfeld Sozialtransfers engagiert. Es ging um die Unterstützung des sambischen Sozialministeriums bei der Planung und Durchführung eines „Pilot Social Cash Transfer“-Programms im Kalomo-Distrikt. Das Programm sollte, ähnlich wie in Mosambik, extrem arme Haushalte ohne arbeitsfähige Mitglieder (meist solche, die in Folge von HIV/Aids ihre Ernährer verloren hatten) mit monatlichen Geldzahlungen unterstützen.

Die Gebergemeinschaft stufte das ­Pilotvorhaben als innovativ und wegweisend ein. Scharen von Besuchsdelegati­onen kamen herbei. Im März 2006 ver­anstaltete die African Union (AU) in Livingstone eine Konferenz mit Ministern, Staatssekretären und Direktoren von So­zialbehörden aus 13 afrikanischen Ländern, um diese über den Kalomo-Ansatz zu unterrichten. Bei dieser Gelegenheit wurde der „Livingstone Call for Action” verabschiedet mit der Forderung, Sozialtransferprogramme in allen afrikanischen Ländern einzurichten (Schubert et al., 2006).

Die teilnehmende Referentin der deutschen Botschaft verfasste eine begeisterte Stellungnahme für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Bald darauf wurden Kalomo-ähnliche Programme in Malawi, Ghana, Liberia, Kenia und schließlich auch in Simbabwe eingeführt. Gibt man „Social Cash Transfers Kalomo” bei Google ein, findet man hunderte von Nennungen. Kalomo gilt spätestens seit 2006 als Meilenstein auf dem Weg zu effektiven Grundsicherungsprogrammen in Afrika südlich der Sahara.

Abkehr trotz Erfolg

Die deutsche Entwicklungspolitik reagierte darauf, indem sie die Förderung des sambischen Sozialministeriums bei der Ausdehnung des Kalomo-Ansatzes auf weitere Distrikte umgehend beendete. Das sorgte für Unverständnis und Empörung bei der Partnerregierung, dem EZ-Personal auf allen Ebenen und in der Gebergemeinschaft. Dem Leiter des zuständigen BMZ-Regionalreferats zufolge passte das Vorhaben nicht in das Schwerpunktkonzept für Sambia. Ohnehin, so hieß es, sei das Projekt am Ende seiner Orientierungsphase, die Beendigung daher völkerrechtlich unbedenklich.

Und heute? Im Januar 2008 stimmte der Bundestag einem interfraktionellen Antrag zu, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, Entwicklungs- und Schwellenländer verstärkt beim Aufbau und bei Reformen von sozialen Sicherungssystemen zu unterstützen und soziale Sicherung zum Schwerpunkt der deutschen Entwicklungspolitik zu machen: „Die Bedeutung dieses Themas sollte auch durch eine entsprechende institutionelle Verankerung als Schwerpunkt im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) deutlich gemacht werden“ (Bundestagsdrucksache 16/7747).

Zu der geforderten institutionellen Verankerung ist es bisher nicht gekommen. Soziale Sicherung findet sich weder unter den elf formellen Schwerpunkten der Entwicklungspolitik – wie etwa Gesundheit, Ernährungssicherung, Wasser et cetera, von denen für jedes Partnerland maximal drei vereinbart werden – noch in den von der neuen Bundesregierung festgelegten sechs Schlüsselsektoren. Ist so­ziale Sicherung nun ein Schwerpunkt deutscher EZ oder ist sie es nicht?

Auch ein Blick auf die Praxis beantwortet obige Frage nicht eindeutig. Immerhin hat Deutschland für die Ausweitung und Weiterentwicklung des „Social Cash Trans­fer“-Programms in Malawi 13 Millionen Euro zugesagt. Die KfW Entwicklungsbank beginnt voraussichtlich noch in diesem Jahr mit der Umsetzung. Das Ma­lawi-Programm hat sich aus der Living­stone-Konferenz ­heraus entwickelt und profitiert von den Kalomo-Erfahrungen. Außer der geplanten ­Zusammenarbeit mit Malawi und vier Beratungsvorhaben in El Salvador, Indonesien, Vietnam und Zen­tralasien tut sich aber wenig.

Starker Einsatz der Briten

Ganz anders bei den Briten: Im April 2011 veröffentlichte das Department for International Development (DfID) ein 115-seitiges „Cash Transfers Evidence Paper“. Darin werden das Instrument und seine bisherigen Wirkungen etwa im Bereich der Millenniumsziele beschrieben und es wird massiv für den verstärkten Einsatz von Cash Transfers geworben.

Für die kommenden Jahre plant DfID, Cash Transfers in 16 Ländern zu finanzieren. Sambia, wo die Briten seit Jahren die Fortführung des Kalomo-Ansatzes unterstützen, wurde erst kürzlich ein Finanzierungsbeitrag von 65 Millionen Dollar für die Ausweitung der Cash Transfers in ­weitere Distrikte zugesichert. Neben umfangreichen Finanzierungsbeiträgen fördert DfID großzügig die Cash-Transfer-Forschung, Publikationen und Training durch das Manchester Chronic Poverty Research Centre, das Overseas Development Institute, das Institute for Development Studies der Universität von Sussex und ähnliche Einrichtungen an anderen englischen Universitäten.

DfID finanziert zudem Nichtregierungsorganisationen wie Helpage International, die sich für Sozialrenten einsetzen, Save the Children, die Cash Transfers für Aids-Waisen organisieren, und OXFAM, die Cash Transfers im Bereich humanitärer Hilfe einsetzen. Zudem fördert DfID Einrichtungen in Afrika wie das Regional Poverty and Hunger Programme, das über sein Internetmagazin WAHENGA und durch Forschung und Konferenzen die „Stille Revolution“ unterstützt.

Neben dem DfID, das eine Vorreiterrolle einnimmt, engagieren sich die Weltbank, die EU, die ILO und UNICEF für Kaufkrafttransfers. Es vergeht kaum ein Monat ohne neue Publikationen, Konferenzen, Seminare und Trainingskurse zum Thema.

Welchen Beitrag könnte die deutsche Entwicklungspolitik in den nächsten Jahren in diesem Bereich leisten? Was jetzt nötig ist, ist die breite Umsetzung der in den letzten zwei Jahrzehnten gewonnenen Erkenntnis, dass Cash Transfers sich weltweit als ein effektives Instrument zur Erreichung der Millenniumsziele und zur Armutsreduzierung erwiesen haben. Dabei sollten prioritär die Cash-Transfer-Vorhaben der Regierungen armer Länder gefördert werden, insbesondere in den von HIV/Aids betroffenen Ländern im südlichen Afrika. Es wäre schade, wenn Deutschland seine komparativen Vorteile im Bereich soziale Sicherung – langjährige Erfahrung mit Sozialtransfers im eigenen Land, innovative Beratungs- und Finanzierungsansätze, guter Ruf bei den Partnerregierungen, aktives Interesse bei Parlament und Zivilgesellschaft – nicht konsequent und zielstrebig nutzen würde. Der Finanzierungsbeitrag Deutschlands für das Cash-Transfer-Programm in Malawi ist ein Schritt in die richtige Richtung.

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