Geschichte

Kein Vertrauen in Institutionen

Die Kolonialisierung hat die Philippinen geschaffen und prägt die politische Kultur des Archipels bis heute. 333 Jahre unter spanischer und fast fünf Jahrzehnte unter US-Herrschaft haben Spuren hinterlassen.
Tor von Fort Santiago in Intramuros, der Altstadt von Manila. Beck/ImageBroker/Lineair Tor von Fort Santiago in Intramuros, der Altstadt von Manila.

Die Philippinen haben eine einmalige Geschichte: sie wurden viermal kolonialisiert. Im 18. Jahrhundert vertrieben die Briten die Spanier und regierten die Inseln für ein paar Jahre. Im Zweiten Weltkrieg besetzten die Japaner das Land.

Die tiefsten Spuren aber haben Spanier und Amerikaner hinterlassen. Dem His­toriker Serafin Quiason (1998) zufolge „ist das Muster von Kultur und Armut, Abhängigkeit und Unterentwicklung tief in der spanischen und amerikanischen Kolonialpolitik und ihren Praktiken verwurzelt“. Die spanische Kolonialzeit bereitete den Boden für die enormen aktuellen Probleme der Philippinen:

  • eine unverantwortliche, missbräuchliche Elite,
  • massive Korruption,
  • ein dysfunktionales Regierungssystem,
  • große soziale Ungleichheit und
  • eine katholische Kirche mit theokratischen Zügen, die sich überall einmischt.

Im frühen 20. Jahrhundert führten die Amerikaner Kapitalismus und formale Wahlen ein, vollzogen einige marginale Reformen und ernannten das Land zur „Demokratie“.

Als 1565 eine spanische Expedition aus Mexiko eintraf, waren die Philippinen keine zusammenhängende Einheit: Auf den vielen Inseln lebten verschiedene Stämme und Ethnien in kleinen Siedlungen („Barangay“) und sprachen unterschiedliche Sprachen. Im Süden gab es islamische Missionare,  die wegen der Spanier aber nicht mehr weiter ins Land vordrangen. Die Eroberer zwangen den Einheimischen den katholischen Glauben auf, definierten die Grenzen und benannten die Kolonie nach ihrem König, Philipp II.

Bis dahin hatten Stammesführer die Barangays regiert. Ein Geschichtsbuch (Cortes et al., 2000) beschreibt dieses System als „vorpolitisch“, denn es sei „informell, vom Volk getragen, nicht zentralisiert und ohne spezifische Zuständigkeiten“ gewesen. Zwischen Familie und Gemeinschaft wurde nicht unterschieden. Die Autorität der Führer speiste sich aus Verwandtschaft, Unterwerfung, Respekt und Abhängigkeit.

Wenige hundert Spanier eroberten leicht einen Großteil des Archipels. Schwieriger war es auf der südlichen Insel Mindanao, wo der Islam Wurzeln geschlagen hatte. Die koloniale Macht florierte nicht zuletzt dank der Uneinigkeit der Einheimischen.

Die Spanier führten katholisches Dogma und Gottesdienste ein, eine Zentralregierung mit Bürokratie und das Römische Recht. Die Philippinen wurden in Provinzen aufgeteilt, über die Mönche diverser religiöser Orden wachten.

Zudem stützten die Eroberer ihr Reich auf das,  was vor den Spaniern schon existierte: Sie machten kooperative Stammeschefs zu Dorfbeamten und bevorteilten ihre Familien und Clans. Sie bildeten bald eine eigene, sich selbst erhaltende Oligarchie, die „principalia“. Unter spanischer Herrschaft ging es bei „Wahlen“ lediglich um Positionen im Dorf – wobei Angehörige der Elite sich stets gegenseitig wählten.

Einheimische durften sich nicht als „Filipinos“ bezeichnen, das war den in der Kolonie geborenen Spaniern vorbehalten. Über Jahrhunderte hinweg wurden die dunkelhäutigen Einheimischen verächtlich „Indios“ genannt.

Die Spanier wollten nicht, dass die Indios ihre Sprache erlernten. Die Ordensbrüder hingegen sprachen die Sprachen der Einheimischen, um sie bekehren zu können. Dem Politikwissenschaftler Benedict Anderson (2007) zufolge hatten sie durch ihre besondere Sprachkompetenz „Macht wie keine andere weltliche Gruppe“. Das war den Mönchen klar, und sie „stellten sich gegen die Verbreitung der spanischen Sprache“. Spanisch wurde zur Sprache der Macht, die nur die Kolonialherren und ein Teil der lokalen Elite verstanden.

Unter Spanien wurden die Philippinen zum einzig christlichen Land Ostasiens. Allerdings war der lokale katholische Glauben nicht rein. Die spanischen Missionare schafften zwar offene animistische Praktiken ab, aber der traditionelle Glaube an Geister und Magie blieb und verschmolz mit der katholischen Lehre zu einer Volksreligion. Darin ähneln die Philippinen den Ländern Lateinamerikas mehr als anderen Ländern Asiens. Zwar wurde das Land 200 Jahre lang von Mexiko aus verwaltet, aber die Philippinen gehörten nicht zu den hispanisierten Ländern Mittel- und Südamerikas, weil Spanisch nie ihre offizielle Sprache wurde.

Über die Jahrhunderte lernte die Bevölkerung, dass Regierung, Gesetz und Bürokratie der  Unterdrückung, Ausbeutung und dem Missbrauch dienten. Es gab auch gut gemeinte Gesetze, aber das bekamen die Betroffenen nie mit, da selbst diese Gesetze aufgezwungen wurden. Alle Gesetze waren auf Spanisch verfasst. Die Machthaber eroberten Land, verhängten Steuern und forderten sogar Zwangsarbeit. Die Klosterorden bauten feudale Machtstrukturen auf – der Glaube wurde benutzt, um die Einheimischen zu kontrollieren. Der spanische Beamte Sinibaldo de Mas stellte 1841 fest: „Ein Mönch ist mehr wert als ein Geschwader der Kavallerie.“

Derweil lernten die Indios von den principalia, dass Blut stärker ist als bürokratische Systeme. Öffentliche Ämter brachten den Führerfamilien Vorteile. Die Kolonisierten hatten nie Anlass, Regierungsinstitutionen oder formalem westlichen Recht zu trauen. Leider prägt das die philippinische Politik bis heute.


„50 Jahre in Hollywood“

Nach 300 Jahren und diversen Aufständen zettelten die Filipinos die erste Revolution Asiens an. Kurz vor Erreichen der Unabhängigkeit griffen 1899 die USA als neue Macht ein – vorgeblich zur Unterstützung der Revolutionäre. Die Amerikaner vertrieben die Spanier und verwickelten ihre „kleinen braunen Brüder“ über drei Jahre in einen blutigen Krieg.

In den drei Jahrhunderten unter Spanien hatte nur wenig Entwicklung stattgefunden, nun erlebten die Filipinos unter US-Herrschaft einen fast explosionsartigen Wandel. Ein gängiger Witz über die Kolonialzeit lautet: „300 Jahre im Kloster und 50 Jahre in Hollywood“. Washington stellte die Kolonisierung als Akt „wohlwollender Assimilation“ mit dem Ziel der „nationalen Einheit“ dar. Tatsächlich war es vor allem Show.

Die neue Kolonialmacht versprach den Aufbau einer Republik amerikanischer Art. Sie förderte Bildungs-, Hygiene- und infrastrukturelle Maßnahmen. Gesetze und Institutionen sollten die philippinischen Führer Demokratie lehren. Englisch wurde zur Amtssprache und das Volk offiziell ermutigt, diese zu lernen. Das Schulwesen wurde aber nicht entsprechend ausgebaut. Bis heute ist Englisch offizielle Landessprache – aber die meisten Filipinos beherrschen sie nicht. Die Gesetze werden seit mehr als 100 Jahren geschrieben und sind den meisten Bürgern ebenso unzugänglich wie früher die spanischen Gesetze.

Die katholische Kirche ist unter US-Herrschaft mächtig und einflussreich geblieben und mischte sich weiter in weltliche Dinge ein. Reichtum und Macht lagen weiter in den Händen weniger Familien. Die Amerikaner änderten nichts an der sozioökonomischen Ordnung, sondern bezogen die örtlichen Eliten ein, um keinen Widerstand zu provozieren. Wie ihre spanischen Vorgänger waren sie von ihnen abhängig.

Auch führten die Amerikaner Volkswahlen ein; diese liefen aber auf eine Art Reise nach Jerusalem der herrschenden Familien hinaus. Landbesitzende Oligarchen und Kriegsherren dominierten auf lokaler Ebene und teilten sich die Erträge auf na­tionaler Ebene. Quiason sagt: „Was sich dabei entwickelte, war förmlich, aber nicht substanziell eine Demokratie.“ Die Dynas­tien nutzten die Institutionen des Landes, um reicher und mächtiger zu werden. Politik diente den Clan-Interessen.

1946 endete die amerikanische Kolonialherrschaft offiziell. Die Philippinen wurden nominell zu einer Republik mit schwachen demokratischen Institutionen. Die Bevölkerung hatte keine klare Vorstellung von Recht und Freiheit. 1972 rief Präsident Ferdinand Marcos das Kriegsrecht aus. Seine Diktatur dauerte bis 1986 an.

Ein besonders übles Erbe der amerikanischen Kolonialzeit war die Philippine Constabulary (PC), eine paramilitärische Polizei. Sie sollte den Frieden sichern und war zentraler Bestandteil des Überwachungsstaates zur Kontrolle philippinischer Nationalisten, Politiker und Aktivisten. Nach dem Abzug der Amerikaner gingen die eklatanten Menschenrechtsverletzungen weiter. Die PC stand zu Zeiten Marcos für Folter und Mord.

Mit Ende des Kriegsrechts wurde die PC abgeschafft. Der populistische Präsident Rodrigo Duterte will sie wieder einführen. Er will autoritär regieren (siehe meinen Aufsatz in E+Z/D+C e-Paper 2017/02, S. 24, und Druckausgabe 2017/03–04, S. 36). Um die philippinische Demokratie steht es schlecht. Leider wirken die undemokratischen Haltungen, die sich während der Kolonialzeit herausgebildet haben, wohl weiter.


Alan C. Robles ist freier Journalist und lebt in Manila.
editor@hotmanila.ph


Quellen

Anderson, B., 2007: Under three flags – Colonialism and the anti-colonial imagination, New York, London: Verso.
Cortes, R. M., Boncan, C. P., and Jose, R. T., 2000: The Filipino saga – History as social change. Manila: New Day Publishers.
Kiernan, V. G., 1982: European empires from conquest to collapse 1815 to 1960. Leicester: University Press.
Quiason, S., 1998: The Philippines: a case of multiple colonial experiences. In: The Independent Review, pp. 29-37.