Internationales Recht

Keine Straffreiheit für Verbrecher

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) wird bei Verbrechen in seinen Mitgliedsstaaten aktiv. Nun ermittelt er wegen Gewalt im Umfeld von Wahlen in Burundi, obwohl das Land nach Beginn der Krise schnell seine Mitgliedschaft kündigte, als die Regierungsmitglieder begriffen, dass sie strafrechtlich verfolgt werden könnten.
Burundian refugees in Rwanda in 2015. Kagire/picture-alliance/AP Photo Burundian refugees in Rwanda in 2015.

Am 9. November 2017 ermächtigte eine Vorverfahrenskammer des IStGH die Chefanklägerin Fatou Bensouda offiziell, Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in Burundi einzuleiten – eine Reaktion auf die nach einer Verfassungskrise anhaltende Gewalt in dem kleinen zentralafrikanischen Land. Die Entscheidung hat den IStGH in eine nie dagewesene Lage gebracht.

Burundi liegt südlich von Ruanda und hat etwa zehn Millionen Einwohner. Seit April 2015 erlebt das Land schwere Gewalt, ausgelöst durch die Ankündigung des Präsidenten Pierre Nkurunziza, für eine dritte Amtszeit zu kandidieren, obwohl das verfassungsrechtlich nicht möglich ist. In ganz Burundi kam es zu Demonstrationen, die die Regierung brutal niederschlug. Menschenrechtsgruppen zufolge töteten Regierungstruppen mehr als 1000 Menschen und vertrieben mehr als 400 000. Massen von Burundianern flohen in die Nachbarländer.

Anschuldigungen wegen Mord, Folter, Vergewaltigung, Verschwindenlassen und Verfolgung erregten die Aufmerksamkeit des IStGH. Demnach haben Staatsangestellte und andere Gruppen die Verbrechen auf staatliche Anweisung hin begangen. Neben der burundischen Nationalpolizei, Einheiten der burundischen Armee und dem nationalen Geheimdienst waren auch Mitglieder des Jugendflügels „Imbonerakure“ der Regierungspartei an den Verbrechen beteiligt.

IStGH-Chefanklägerin Fatou Bensouda gab am 8. Mai 2015 eine erste Erklärung ab und begann daraufhin sogenannte Vorermittlungen. Um Verdächtige formell ermitteln und anklagen zu können, benötigt ein Ankläger die Zustimmung des IStGH; diese hat der Gerichtshof nun erteilt.

Nkurunziza, der nach umstrittenen Wahlen an der Macht blieb, wollte eine IStGH-Anklage vermeiden. Also erklärte Burundi am 26. Oktober 2016 seinen Rücktritt vom Römischen Statut – der Rechtsgrundlage des IStGH –, der ein Jahr später wirksam wurde. Die Frage ist daher, ob der IStGH berechtigt ist, wegen in Burundi begangener Verbrechen zu ermitteln und die Täter strafrechtlich zu verfolgen.

Der Gerichtshof ist für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord – sowie seit kurzem für Aggression – zuständig, dem Territorialitätsprinzip nach aber auf das Hoheitsgebiet seiner Mitgliedstaaten beschränkt. Nach Ansicht der Regierung Burundis ist der IStGH nicht mehr befugt zu ermitteln und sie verweigert folglich die Zusammenarbeit.

Der IStGH mit Sitz in Den Haag hingegen beansprucht, für alle Verbrechen zuständig zu sein, die mutmaßlich begangen wurden, während Burundi Mitglied des Römischen Statuts war. Aus Sicht des Gerichts bleibt ein Staat, der diese Zuständigkeit einmal akzeptiert hat, an sie gebunden. Sie gilt von der Ratifizierung des Statuts bis mindestens ein Jahr nach Bekanntmachung des Widerrufs. Das Rechtssystem gilt also auch dann, wenn ein Staat austritt.

Somit behält der IStGH die Befugnis, Verbrechen zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen, die bis inklusive 26. Oktober 2017 begangen wurden, solange Burundi offiziell noch Mitglied war. Der Gerichtshof betont darüber hinaus, dass Burundi weiterhin verpflichtet ist, seinen Anweisungen nachzukommen und uneingeschränkt zu kooperieren.

Die Entscheidung des IStGH ist sehr zu begrüßen. Angesichts der katastrophalen politischen und humanitären Lage in Burundi darf sich die internationale Gemeinschaft nicht zurücknehmen und zusehen, wie das Leiden weitergeht. Die Opfer verdienen eine Institution, die unabhängig von politischen Implikationen oder nationalen Interessen die Ideale internationaler Gerechtigkeit hochhält. Schließlich wurde der IStGH mit dem ausdrücklichen Mandat gegründet, gegen Straflosigkeit vorzugehen.

Allerdings wird die Untersuchung allein wahrscheinlich nicht viel bringen. Vermutlich hebt der Gerichtshof deshalb Burundis Verpflichtung zur Zusammenarbeit so hervor. Für Anklägerin Bensouda und ihr Team wird es sehr schwer, ohne Hilfe der burundischen Regierung Beweise zu sammeln.

Der IStGH hat im Falle Kenias erfahren, wie schwierig es ist, wenn ein Land nicht kooperiert. Nach Gewaltakten im Zuge der Wahlen von 2007/08 wurden der derzeitige Präsident Uhuru Kenyatta und sein Stellvertreter William Ruto wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem IStGH angeklagt. Im Wahlkampf versprachen beide, mit dem Gericht zu kooperieren – nach Amtsantritt agitierten sie jedoch gegen den IStGH. Zeugen wurden eingeschüchtert und zogen ihre Aussagen zurück. Der Ankläger konnte keine verlässlichen Beweise mehr sammeln, beide Verfahren wurden eingestellt.

Burundis Nachbarn unterstützen den IStGH nicht. Der ugandische Präsident Yoweri Museveni und sein tansanischer Amtskollege, Präsident John Magufuli, verurteilen die Entscheidung des IStGH, gegen Burundi zu ermitteln. Damit untergrabe der IStGH ihrer Ansicht nach regionale Friedensbemühungen. Musevenis Haltung dazu ist besonders relevant, da er Vorsitzender der East African Community (EAC) ist, einer regionalen Gemeinschaft, die aus den sechs Mitgliedsländern Uganda, Tansania, Kenia, Südsudan, Ruanda und Burundi besteht.

Zuvor hatte die Afrikanische Union (AU) ihre Mitglieder unverbindlich aufgefordert, kollektiv aus dem IStGH auszutreten, da er unfair gegen afrikanische politische Eliten vorgehe. Dieser Aufruf verebbte bald, könnte aber durch die Entscheidung, in Burundi zu ermitteln, wieder laut werden. Einige afrikanische Führer haben persönliche Gründe, das Gericht zu fürchten – die meisten Afrikaner hingegen schätzen es und wünschen, dass die Straflosigkeit endlich endet.

Der IStGH hat insofern die richtige Entscheidung getroffen. Es wäre das falsche Signal, wenn Staaten und ihre Führer sich durch Rücktritt aus dem Statut ihrer Verantwortung für vergangene Verbrechen entziehen könnten.


Darleen Seda ist kenianische Rechtsanwältin mit der Spezailisierung Menschenrechte und internationales Strafrecht.
darleen.seda@gmail.com

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