Regierungswechsel

Neue Chance

Die illegale mexikanische Drogenwirtschaft spielt eine große Rolle in der Innen- und Außenpolitik des Landes. Die Kartelle kontrollieren ganze Gegenden; ihre Macht reicht bis ins Abnehmerland USA. Der Staat führt mit Hilfe des Militärs einen blutigen Kampf mit zigtausenden Todesopfern gegen sie. Die Hoffnung der Menschen ruht nun auf dem neuen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador, der eine andere Politik versprochen hat.
Der mexikanische Drogenboss Joaquín „El Chapo“ Guzmán bei seiner zweiten Festnahme 2014. Der ehemalige Chef des Sinaloa-Kartells brach zweimal aus dem Gefängnis aus, wurde aber 2017 an die USA ausgeliefert. Jazmín Adrián/picture-alliance/Demotix Der mexikanische Drogenboss Joaquín „El Chapo“ Guzmán bei seiner zweiten Festnahme 2014. Der ehemalige Chef des Sinaloa-Kartells brach zweimal aus dem Gefängnis aus, wurde aber 2017 an die USA ausgeliefert.

In Mexiko wird im Schnitt etwa jede Viertelstunde ein Mensch ermordet. Seit Beginn des Drogenkriegs im Jahr 2006 hat die Gewalt stetig zugenommen. Bisher starben nach Angaben von Vertrauten des designierten Präsidenten, der unter der Abkürzung AMLO bekannt ist, rund 240 000 Menschen. 2017 war das Jahr mit den bisher meisten Toten, und 2018 wird die Zahlen mit Sicherheit noch toppen. Die am stärksten betroffenen Bundesstaaten waren im August dieses Jahres Guanajuato und México in Zentralmexiko, Baja California im Westen und Chihuahua im Norden. Wie viele der Todesfälle unmittelbar mit dem Kampf gegen den Drogenhandel zu tun haben, ist schwer zu sagen. Es ist jedoch offensichtlich, dass die Gewalt insgesamt stark zugenommen hat, seit die Regierung 2006 den Drogenkrieg erklärt hat.

Ziel war es, die Kontrolle über Gegenden zurückzugewinnen, die in die Hände des organisierten Verbrechens gefallen waren. Zu den größten Erfolgen gehörte die Festnahme mehrerer wichtiger Anführer großer Kartelle – was deren Macht jedoch nicht schmälerte: Die kriminellen Gruppen organisierten sich neu. Sie verfügen oft über mehr oder auch bessere – überwiegend in den USA gekaufte – Waffen als die staatlichen Sicherheitskräfte und nutzen diese auch ohne Skrupel.

Der Druck seitens der USA, den Drogenschmuggel aus Mexiko Richtung Norden zu unterbinden, hat die Politik der vergangenen drei Regierungen maßgeblich beeinflusst. Laut einer von Mexiko und den USA gemeinsam in Auftrag gegebenen Studie aus dem Jahr 2010 nehmen die Kartelle in den USA jährlich zwischen 19 Milliarden und 29 Milliarden Dollar ein.

Schon Vicente Fox, der von 2000 bis 2006 regierte und als erster Präsident seit sieben Jahrzehnten nicht dem Partido Revolucionario Institucional (PRI) angehörte, sondern dem rechten Partido Acción Nacional (PAN), ergriff einige Maßnahmen, um den Drogenhandel in den Griff zu bekommen. Unter anderem schuf er nach dem Vorbild des FBI in den USA die Bundespolizei AFI. Zudem richtete er das Sekretariat für Öffentliche Sicherheit ein. Es hat den Rang eines Bundesministeriums und soll Maßnahmen koordinieren. Den neuen Institutionen gelang es aber nicht, die Kartelle zu zerschlagen.

Als Felipe Calderón Hinojosa, der wie sein Vorgänger der PAN angehört, die Macht 2006 übernahm, führte er eine deutlich härtere Gangart ein. Er entschloss sich zur direkten Konfrontation der Banden, die um die Hoheit in verschiedenen Regionen kämpften und dabei sehr gewalttätig vorgingen. Kurz nach Amtsantritt rief der den Krieg gegen die Drogen aus. Sein Vorgehen hatte nur wenig Erfolg – und offenbarte zahlreiche Defizite im Sicherheitsbereich. Korruption ist weit verbreitet. Es zeigte sich, dass Mitarbeiter der Institutionen, welche die Bandenkriminalität bekämpfen sollen, an ebendieser beteiligt sind.

Das Versagen zweier PAN-Regierungen in Folge bezüglich der organisierten Kriminalität brachte die PRI wieder an die Macht. Ihr traute man die nötige Erfahrung und Fähigkeiten zu, um mit den kriminellen Gruppen zu verhandeln und Frieden zu schaffen. Doch es kam anders. Enrique Peña Nieto, der 2012 zum Präsidenten gewählt wurde, hatte zwar ein anderes Vorgehen im Kampf gegen die Gewalt versprochen, setzte dann aber die bisherige Sicherheitspolitik fort. Im April 2018, drei Monate vor den jüngsten Kommunal-, Regional- und Präsidentschaftswahlen, musste er einräumen, gescheitert zu sein.

Frieden war abermals das wichtigste Wahlkampfthema. Das verletzte und wütende Volk entschied sich an den Urnen für AMLO, der für die Partei Morena (Movimiento de Regeneración Nacional) antrat (siehe hierzu meinen Beitrag in E+Z/D+C e-Paper 2018/06, Debatte). AMLO wird am 1. Dezember das Präsidentenamt übernehmen. Er kritisiert die Politik seiner Vorgänger scharf und will Frieden schaffen, indem er die Korruption abschafft. Der designierte Präsident spricht sich unter anderem dafür aus, die Soldaten von den Straßen zu holen, da sie nicht für polizeiliche Aufgaben da seien. Allerdings räumte er auch ein, dass die Polizei nicht die Kapazitäten hat, um mit der Situation klarzukommen – was ihm eine Welle der Kritik einbrachte.


Neue Perspektiven

Kurz nach seinem Wahlsieg rief AMLO einen Rat für Friedenschaffung und Versöhnung ein; wenige Tage später verkündete er acht politische Ansätze, die auf deren Vorschlägen beruhen:

  • Grundsätzlich kritisierte der designierte Präsident, die bisherige Sicherheitspolitik habe die Probleme missverstanden. Laut AMLO liegen die Ursachen in der Wirtschaftspolitik und der großen sozialen Ungleichheit des Landes, was aber nicht die nötige Aufmerksamkeit erhalten habe.
  • Am meisten Beachtung fand das Versprechen, das Volk nicht mit Waffen zu unterdrücken. Damit klagt AMLO indirekt den Einsatz der Armee durch vorherige Regierungen an. Er will eine neue, besser ausgebildete Nationalgarde schaffen, doch den meisten Menschen wäre es lieber, wenn das Militär gar nicht beteiligt wäre.
  • Für Aufsehen sorgte zudem die Ankündigung, politische Häftlinge freizulassen. Befürworter sehen darin einen Akt der Gerechtigkeit für Aktivisten und Oppositionelle, die zu Unrecht verurteilt worden waren; Kritiker hingegen befürchten, Straflosigkeit werde sich ausweiten.
  • Ein weiterer Ansatz ist, den Opfern von Gewaltverbrechen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Das könnte zur Bestrafung der darin verwickelten Staatsdiener führen.
  • AMLO nimmt auch zwei frühere Strategien wieder auf: die Ausbildung von Polizei- und Sicherheitskräften mit speziellem Augenmerk auf Frieden und Menschenrechte sowie die Entschädigung von Opfern.
  • Er will einen dauerhaften Friedensrat.
  • Schließlich könnte Bewegung in die bislang extrem restriktive Drogenpolitik Mexikos kommen.

Als designierte Innenministerin kündigte Olga Sánchez Cordero eine Reform zur Regulierung der Produktion und des Konsums von Cannabis an. Dabei soll Kommerzialisierung aber ausgeschlossen bleiben.

Im Wahlkampf stellte sich die Morena-Partei als Mexikos Hoffnung dar. Nun sind die Erwartungen riesig. Die Menschen wollen schnelle Ergebnisse sehen. AMLOs Gegenspieler aber werden jeden noch so kleinen Fehler nutzen, um die Macht zurückzuerobern. Die neue Regierung verfügt nun zwar über großes politisches Kapital, das aber nicht bedingungslos ist.


Virginia Mercado ist Wissenschaftlerin an der Universidad Autónoma del Estado de México (UNAM) und Lehrkraft für Friedens- und Entwicklungsstudien.
virmercado@yahoo.com.mx

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