Chronisches Leiden

Arme Diabetiker

Diabetes gilt als Wohlstandskrankheit, dabei steigt die Zahl der Betroffenen vor allem in Entwicklungsländern. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass 2030 mehr als Dreiviertel aller Diabetiker weltweit dort leben werden. Selbst in Ländern wie Malawi, die zu den ärmsten der Welt zählen, sind rund fünf Prozent der Bevölkerung zuckerkrank. Die Geschichten eines kleinen Mädchens und einer pensionierten Lehrerin veranschaulichen, was die Krankheit für Betroffene bedeutet.

Von Eleonore von Bothmer

Seit bei Beat Diabetes diagnostiziert wurde, hat sich ihr Leben ziemlich verändert. Sie muss nun täglich fünf Mahlzeiten statt der üblichen zwei zu sich nehmen. Außerdem beginnt und endet jeder Tag für die Neunjährige mit dem Gang zur Nachbarhütte. Weil diese Stromanschluss hat, steht dort der einzige Kühlschrank des Dorfes – ein uralter, mannshoher Koloss.

Aus diesem verrosteten Kühlschrank holt sich Beat zweimal täglich eine Ampulle Insulin. Dieses Hormon wird von ihrer Bauchspeicheldrüse nicht mehr produziert. Es muss kühl lagern, damit sie es sich spritzen kann. Ist die monatliche Ration aufgebraucht, fährt das Mädchen mit der Tante, bei der sie lebt, zur Medikamentenausgabe ins Queen Elizabeth Central Hospital (QECH) in die 20 Kilometer entfernte Stadt Blantyre (siehe auch Interview mit QECH-Ärztin Theresa Allain in E+Z/D+C 2011/12, S. 474  f.). Mit etwas Glück ist in der größten und ältesten Klinik des Landes das Insulin vorrätig, und sie stehen nicht stundenlang vergeblich an. Bisher hatte Beat Glück.

Das Medikament bezahlt – sofern in der Klinikapotheke erhältlich – der Staat. Die Anreise kostet 300 Kwatscha (rund 1,50 Euro). Das ist für die Familie, die im Wesentlichen von dem lebt, was sie auf dem kleinen Feld vor ihrer Haustür anbaut, viel Geld. In Malawi lebt ein Großteil der Bevölkerung von weniger als dem Gegenwert von einem Dollar am Tag.

Beats Tante verdient etwas Geld, indem sie Erdnüsse verkauft, zehn Kwatscha pro Tütchen. Für die monatliche Fahrt mit dem Minibus vom Dorf zur Klinik muss sie 30 Tütchen verkaufen. Und ein Arbeitstag geht auch verloren. Diabetes führt zu ökonomischen Belastungen und verschärft Armut (vergleiche auch David Whiting, „Diabetes als Entwicklungsthema“ in E+Z/D+C 2009/02, S. 66 ff.).

Ehe Beats Krankheit erkannt wurde, wäre sie fast gestorben. Ihr wurde oft schwummrig, sie hatte dauernd Durst, ständigen Harndrang und magerte ab. Das sind typische Symptome für Zucker. Aber in Afrika, wo jährlich Millionen von Menschen an Malaria erkranken und viele auch sterben, dachten alle gleich an das Tropenfieber. Auf Diabetes kommt selbst bei eindeutigen Symptomen kaum jemand. Die Krankheit ist sogar vielen Mitarbeitern in Gesundheitsstationen unbekannt. Diese sind oft auch keine Ärzte, sondern bestenfalls angelernte Hilfskräfte. In Malawi herrscht Ärztemangel. Studierte Mediziner finden in reichen Industrieländern gut bezahlte Arbeitsplätze. Mittlerweile praktizieren mehr malawische Ärzte im britischen Königreich als im eigenen Land.

Beat bekam in der nahe gelegenen Gesundheitsstation Malariatabletten, obwohl der Erreger in ihrem Blut nicht nachgewiesen wurde. Die Pillen halfen natürlich nicht. Als sie wiederkam, wurde ihr ein Mittel gegen Wurmbefall verabreicht. Als Ärzte des QECH schließlich Diabetes diagnostizierten, lag das Kind schon fast im Koma. Erst nach zehn Tagen Intensivstation und sechs Wochen Krankenhaus konnte Beat zurück in ihr Dorf.

Beat leidet an Typ-1-Diabetes, der so genannten juvenilen Form, die bei Kindern am häufigsten auftritt. Ursache ist nicht Fehlernährung oder Bewegungsmangel, sondern vermutlich eine Virusinfektion, bei der die Erreger nicht nur das Immunsystem angreifen, sondern auch die Bauchspeicheldrüse. Wird nicht zügig gehandelt, endet die Krankheit schnell tödlich. Ohnehin sind Kinder im südlichen Afrika besonders gefährdet. Sie überleben die Diagnose im Schnitt um Monate, das statistische Maximum ist sieben Jahre. Beats Großmutter ist auch ohne solches Wissen der Ernst der Lage bewusst: „Betet für Beat“, sagt sie.

Die Rente aufbessern

Lynn Kapira erfuhr vor zehn Jahren von ihrem Diabetes, aber da war die Krankheit schon fortgeschritten genug, um den Körper der heute 57-jährigen ehemaligen Lehrerin massiv zu schädigen. Wie viele andere Zuckerkranke leidet sie an Bluthochdruck, seit einem Schlaganfall vor fünf Jahren ist sie halbseitig gelähmt, kurz darauf wurde ihr linkes Bein amputiert, inzwischen sitzt sie im Rollstuhl. „Nun bin ich komplett auf meine Angehörigen angewiesen“, klagt Lynn, „und die sind es leid, sich ständig um mich zu kümmern. Sie sagen es nicht offen, aber ich spüre es.“

Allein in ihrem Viertel in der Nähe der Hauptstadt Lilongwe kennt sie vier Leidensgenossen. Man weiß voneinander, spricht aber nicht über die Krankheit. Das sei schade, denn man könnte sich eigentlich gegenseitig helfen, sagt sie: „Es ist immer wieder ein Kampf, an Insulin zu kommen.“ Um es zu kühlen, lagert sie das Medikament in einem mit Wasser gefüllten Tontopf unter dem Bett. „Wenn es in der Klinik keines gibt, klappere ich alle Gesundheitsstationen der Region ab.“ Dort aber muss sie die Medikamente selbst bezahlen.

Daher macht Lynn sich Gedanken über mögliche Einnahmequellen, denn ihre Rente ist klein. Sie hat auch eine Idee: Eine Kuh würde rund 20 Liter Milch täglich liefern, die eine Genossenschaft für sechs Kwatscha pro Liter abkaufen würde. Solch eine lebende Kapitalanlage könnte Lynns Lebensunterhalt finanzieren, sodass sie den Angehörigen nicht
auf der Tasche liegen würde. Allerdings muss sie diese Kuh erst anschaffen und dafür braucht sie Unterstützung. Das zuständige Ministerium gebe ihr keinen einzigen Kwatscha, sagt sie. „Die glauben, das lohnt sich nicht, weil Diabetiker ohnehin bald sterben.“

Lynn ist enttäuscht vom Staat. „Die sollten sich mehr für uns einsetzen“, fordert sie, „der Staat sollte uns helfen, uns selbst zu helfen – stattdessen lässt er uns langsam sterben.“ Sie beteuert, sie wolle nichts geschenkt. „Ich brauche nur etwas Hilfe, um mir eine Kuh zu kaufen.“

Aber auch ohne staatliche Unterstützung lässt sich Lynn nicht unterkriegen. „Ich kann doch nicht den ganzen Tag un­tätig herumsitzen“, sagt sie. Kürzlich kaufte sie ein Küken für 100 Kwatscha. Das zog sie groß und verkaufte es für 1000 Kwatscha. Dieses Geld legte sie in weitere Hühner an. Eine Kuh kostet rund 54 000 Kwatscha – Lynn wird noch viele Küken­generationen aufziehen müssen.

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