Lebensmittel

100 Millionen Menschen von Hunger bedroht

Wegen hoher Preise von Grundnahrungsmitteln haben Proteste viele Länder erschüttert. Gebernationen – darunter auch Deutschland – stellen mehr Geld für die Nothilfe bereit. Langfristig muss aus Sicht des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung die Agrarpolitik international korrigiert werden, um Ernährungssicherheit zu gewährleisten.

Rund 100 Millionen Menschen droht weltweit wegen rasant gestiegener Lebensmittelpreise Hunger. Das schätzt das Welternährungsprogramme (WFP) und spricht in einer Pressemitteilung vom 22. April von einem „stillen Tsunami“. Das WFP warnt, ohne zusätzliches Geld werde es bald Hilfsprogramme reduzieren müssen.

Vor diesem Hintergrund wird Deutschland den Aufwand für die Hungernothilfe um weitere zehn Millionen auf nun 36 Millionen Euro im Jahr aufstocken, nachdem im März schon weitere drei Millionen bereitgestellt worden waren. Auch andere Gebernationen haben zusätzliche Mittel versprochen. Louis Michel, der Entwicklungskommissar der Europäischen Union, sagte zusätzliche 117 Millionen für Nahrungsmittelnothilfe Euro zu.

Dem FAO Food Price zufolge sind Lebensmittel weltweit im Schnitt von März 2007 bis März 2008 um 57 Prozent teuerer geworden sind. Der Preisauftrieb bei Reis betrug allein in den vergangenen zwei Monaten 75 Prozent. Weizen wurde im vergangenen Jahr um 120 Prozent teurer.

Dieser Trend hat vielfältige Ursachen. Relevant sind unter anderem Ernteausfälle wegen Klimaschwankungen, die hohe Nachfrage nach Agrarkraftstoffen und Marktspektulationen (siehe Interview S. 188). Obendrein haben verschiedene Nahrungsmittelexportländer unter dem Eindruck der Krise ihre Ausfuhren gestoppt oder gedrosselt. Dazu gehören China, Indien, Vietnam und Sambia.

Wie Heidemarie Wieczorek-Zeul, die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Ende April im Bundestag erläuterte, bedroht die aktuelle Ernährungskrise die Stabilität in mehr als 30 Entwicklungsländern. Proteste wurden unter anderem aus Ägypten, Kamerun, Elfenbeinküste, Senegal, Burkina Faso, Äthiopien, Indonesien und Madagaskar gemeldet. In Haiti stürzte die Regierung. In Pakistan, Thailand und den Philippinen wurden Sicherheitskräfte damit beauftragt, die Plünderung von Feldern und Supermärkten zu verhindern.

Klar ist indessen, dass Nothilfe keine Dauerlösung ist. Aus Sicht des Entwicklungsminnisteriums (BMZ) müssen „strukturverändernde Maßnahmen in den Entwicklungsländern“ dafür sorgen, dass die Lebensmittelproduktion steigt. Sinnvoll sei unter anderem Kleinbauern zu beraten und schulen. Wichtig sei aber auch der gerechte Zugang zu Land – insbesondere für Frauen. Das BMZ weist darauf hin, dass es für die ländliche Entwicklung 2006 in bilateralen Programmen 577 Millionen Euro bereitgestellt hat.

Die Fachleute im BMZ befürworten unterdessen einen internationalen „Pakt für Ernährungssicherung“ mit mehreren Komponenten:

– Gezielte Nothilfe soll bedrohte Menschen erreichen. Das könne über dirkete Transferzahlungen oder Nahrungsmittelkupons geschehen. Wo ungünstige Governancebedingungen derlei im Wege stehen seien auch Food-for-Work-Programme oder die Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zu erwägen.

– Im Sinn der Beruhigung der Märkte seien protektionistische Schritte abzulehnen, weil diese Krisen verschärften. Im Gegenzug müssten arme Agrarexporteure wie Vietnam oder Sambia sich darauf verlassen können, im Notfall nicht im Stich gelassen zu werden.

– Agrartreibstoffe müssten „auf den Prüfstand“: Der Einsatz von Getreide und Ölfrüchten für die Treibstoffproduktion sei auszusetzen, bis die Märkte sich beruhigt hätten. Für Beimischungsziele wird ein Moratorium gefordert, bis effizientere Technologien bereit stünden.

– Investionen in die Landwirtschaft sollen dafür sorgen, dass Kleinfarmen schnell mehr produzieren können. Zu geringen Preisen müssten landwirtschafliche Betriebsmittel wie Dünger, Saatgut und Kredit breitenwirksam bereitgestellt werden.

Aus Sicht des BMZ ist klar, dass die Agrarpolitik der reichen Länder erheblich zur aktuellen Misere in vielen armen Ländern beigetragen hat, weil lokale Anbieter mit subventionierten Nahrungsexporten aus Indsutrieländern nicht mithalten konnten. Deshalb bleibe die Forderung, im Rahmen der WTO solche Exportsubventionen endültig abzubauen, weiterhin richtig. (dem)

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