Dezemberheft

Leserbriefe

Leserreaktionen zu den Artikeln von Vera Dicke und Peter Hauff in unserer Dezember-Ausgabe.

Männer sollen Nein sagen

E+Z/D+C 2011/12, S. 446 f., Vera Dicke: „Wandel in den Köpfen“

Es ist Konsens, dass unkontrolliertes Bevölkerungswachstum zu Problemen führt. Auch ich bin darüber besorgt, speziell in Afrika, wo fast alle traditionell gesinnten Familien auf Kinderreichtum setzen; arme Paare verschaffen sich damit sogar angesichts ihres sozioöko­nomischen Status künstlichen Trost.

Der Vorschlag der DSW, dass „Frauen zum Beispiel durch Bildung in die Lage versetzt werden müssen, Nein zu sagen und ihre Rechte wahrzunehmen“, passt aber nicht in den afrikanischen Kontext. Zu bedenken ist, dass Afrikanern jedes Grundrecht fremd ist, das es Frauen erlauben würde, Ehemännern den Besitz ihres „sexuellen“ Körpers zu verwehren. Der Versuch, es durchzusetzen, könnte daher zu häuslicher Gewalt und Scheidungsfällen führen.

Für sinnvoller hielte ich es, wenn nichtstaatliche Organisationen und Behörden Kampagnen mit Aufklärungsmaterial durchführten, um Männer dazu zu bringen, öfter Nein zu mehr Sex und mehr Kindern zu sagen. Da auf Bildung für Frauen großen Wert gelegt wird, sollte Ehefrauen und unverheirateten Frauen beigebracht werden, ihr diplomatisches Geschick zu nutzen, um Ehepartner vom demografischen Mehrwert geringer Kinderzahlen zu überzeugen.

Aufklärungskampagnen können positives Umdenken bewirken, wenn sie ausgewogen informieren. Es kommt darauf an, Paaren begreifbar zu machen, dass sie nur so viele Kinder haben sollen, wie sie angesichts ihrer wirtschaftlichen Lage aufziehen können. Und auch der Staat kann etwas tun, indem er Kinderreichtum sanktioniert.

Daniel Etim Inyang, Student, Lagos, Nigeria

Anmerkung der Redaktion: Aus unserer Sicht gilt das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Frauen selbstverständlich auch
in Afrika.

Deprimierende Nachrichten

E+Z/D+C 2011/12, S. 448, Peter Hauff: „Vielfältige Wege“

In Tunesien herrscht Chaos. Wir erleben eine schleichende Rückkehr der Diktatur. Unsere Regierung drückt sich um zentrale Probleme und führt heikle Phantom­debatten. In einem Sit-in an der Philosophischen Fakultät Manouba verhinderten einige Salafisten, dass 15 000 Studenten ihre Prüfungen ablegten. Als Lehrkräfte vor ihrem Ministerium die Zustände anprangerten, wurden sie verprügelt! Gleichzeitig unterließ es die Polizei einen Monat lang, demonstrierende Salafisten zu vertreiben, die einem Mädchen erlauben wollten, ihre Prüfung im Niqab (Schleier) abzulegen – obwohl es gesetzlich verboten ist.

Das gleiche Schauspiel bot sich, als Journalisten protestierten, weil Vertreter des Ancien Régime wieder in Schaltstellen öffentlicher Medien landen. Sie wurden verprügelt. Derweil bricht die Wirtschaft weiter ein, Preise schnellen in die Höhe, und täglich schließen Betriebe. Vergangene Woche wurde meine Mitbewohnerin von ihrem französischen Arbeitgeber entlassen, der dichtmacht. Im Januar häuften sich Selbstverbrennungen und Freitode. Hinzu kommt eine Serie diplomatischer Fehltritte unserer Regierung: Präsident Marzouki, der sein halbes Leben in Frankreich wohnte, beschimpft nun Franzosen als Muslim-hasser und „freundliche Übernehmer“. Als Außenminister Alain Juppé uns besuchte, wurden die Gespräche mit ihm durch Dolmetscher geführt! Und als Marzouki kürzlich die Fusion Tunesiens mit Libyen forderte, beleidigte er gleichzeitig Algerien. Hätten die Algerier in den 90er Jahren den Wahlsieg der Islamisten sofort akzeptiert, sagte er, wäre ihr Land nicht in Gewalt versunken.

Angesichts der Aufstände in Syrien lud unsere Regierung die Opposition nach Tunesien ein, gleichzeitig wurde der Hamas ein offizielles Büro angeboten. Beim folgenden triumphalen Empfang für deren Anführer Ismael Hania skandierte die Menge „Tod den Juden“. Ich finde das grauenhaft. In letzter Zeit gehe ich solchen Nachrichten aus dem Weg, weil sie mich deprimieren. Hier zu leben ist unmöglich. Das Tunesien, in dem ich groß wurde, erkenne ich kaum wieder, und seine Menschen haben sich so verändert, dass ich fremd geworden bin.

Sarah B., Tunis
(auf Wunsch der Autorin anonymisiert, der volle Name ist der Redaktion bekannt)

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