Editorial

Pflicht zur Verschuldung

In der Weltwirtschaftskrise sehen viele Regierungen rat- und hilflos aus. Sie waren nicht darauf vorbereitet, dass Spekulationen das internationale Finanzsystem erschüttern könnten und daraufhin die Nachfrage nach Konsum- wie Investitionsgütern weltweit einbrechen würde.

Reihenweise fallen wirtschaftspolitische Tabus. Regierungen hochentwickelter Volkswirtschaften intervenieren mit Rekordeifer in Märkte. Nicht nur die USA wenden bislang unvorstellbare Summen auf. Auch der Bundesfinanzminister, der zunächst meinte, die Probleme gingen an Deutschland vorbei, jongliert mittlerweile mit gewaltigen Zahlen. Die politisch Verantwortlichen verschiedener Nationen äußern zur Stabilisierung des Finanzsektors Absichten, die noch einigermaßen harmonisch klingen. Es geht wirklich um viel mehr, als sich über hohe Boni für Banker zu empören. Zumindest ein Lippenbekenntnis zur stringenten Regulierung der Finanzmärkte gehört mittlerweile zum guten Ton. Leider wirkt, was zur Belebung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage vorgeschlagen wird, dagegen noch reichlich unkoordiniert.

Das muss sich ändern. Die lange Liste der Aufgaben, mit denen Einzelstaaten alleine nicht klarkommen, ist um den Punkt „Nachfragestabilisierung“ gewachsen. Wir stecken in einer globalen Wirtschaftskrise, aus der kein nationaler Alleingang herausführt. Noch stellen sich die Politiker dem Thema nur halbherzig, und es gibt Anlass zur Sorge, dass sie andere Themen vernachlässigen, in denen es ohne multilaterale Abstimmung auch nicht voran geht – Klimaschutz, Armutsbekämpfung und Welthandel, um nur drei zu nennen.

Kleinlich darauf zu achten, ob eine Konjunkturmaßnahme auch wirklich nur Jobs im Inland sichert, führt nicht weiter. Jeder Versuch, die globalen Herausforderungen zu vertagen, um heimische Rezessionssorgen abzuschütteln, vergrößert nur den Problemdruck. Weil die Alternative eine globale Depression wäre, geht es jetzt darum, die Nachfrage weltweit zu stärken. Deshalb müssen die Verantwortlichen – wenn sie diesem Wort gerecht werden wollen – jetzt den globalen Strukturwandel hin zu einer ökologisch nachhaltigen Weltwirtschaft finanzieren. Dafür dürfen sich Staaten im großen Stil verschulden, denn es geht um bitter nötige, zukunftssichernde Investitionen.

Ökonomisch starke Staaten wie die USA oder Deutschland sind auch in schlechten Zeiten noch kreditwürdig. Aber selbst EU-Mitglieder wie Irland, Griechenland oder gar der G8-Staat Italien bekommen frisches Geld nur noch zu immens hohen Zinsen. Daraus folgt, dass Schwellen- und Entwicklungsländer erst recht auf multilaterale Institutionen und staatliche Entwicklungshilfe (ODA) angewiesen sind.

In der Weltwirtschaftskrise wird jetzt wieder schmerzhaft bewusst, dass die Menschheit so etwas wie Global Governance braucht und dass es keine Institutionen gibt, die diese Aufgaben mit unumstrittener Legitimation und zweifelsfreier Kompetenz übernehmen könnten. Über den Internationalen Währungsfonds und seine Arbeit wird seit langem gestritten. In der Krise gewinnt er neue Bedeutung, ohne dass seine Reform weit vorangekommen wäre.

Die internationalen Finanzinstitutionen sind jetzt gefordert wie noch nie. Sie müssen verbliebene ideologische Scheuklappen ablegen und zu den keynsianischen Wurzeln des Bretton-Woods-Systems zurückfinden, um Schwellen- und Entwicklungsländern den fiskalischen und politischen Spielraum zu verschaffen, den diese brauchen, um gestaltend in die Krise einzugreifen.

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