Editorial

Statisches Kulturverständnis

Der Taxifahrer, den ich einlade, mit mir ins Museum für afrikanische Kunst in Senegals Hauptstadt Dakar zu gehen, wartet lieber im Auto. Also bin ich Sonntagnachmittags der einzige Besucher in dem zweistöckigen Gebäude. Lange bleibe auch ich nicht – die einzelnen Exponate sind zwar attraktiv, aber steril und sinnlos zusammengewürfelt.

Lebensgroße Puppen stellen Dorfszenen dar. Ohne verbindenden Kontext wird diese und jene Ethnie aus verschiedenen Ländern präsentiert; hier ein Erntefest, dort ein Initiationsritus. Wovon diese Stämme leben, wie sie mit Nachbarn, Natur und Umwelt umgehen oder wie sie zur Kolonialmacht standen, bleibt un­klar. Die katalogartige Darstellung exo­tischer Stämme vermittelt keine Idee von den Wurzeln des zeitgenössischen Afrika. Das Kulturverständnis dieser Ausstellung ist so statisch wie ihre Statuen.

Das Museum ist eine vertane Chance. Mit etwas mehr Aufwand wäre es eine Attraktion. Unter der Woche könnte es Schulklassen anlocken und den Sachkunde- oder auch Geschichtsunterricht illustrieren. Selbstverständlich würde der museumspädagogische Einsatz Geld kosten. Wäre der Wille da, ließen sich die Mittel aber sicherlich auftreiben. Es geht nicht um Unsummen – und Senegal leistet sich auf einem Hügel eine Riesenskulptur, die Dakar bereits als Baustelle überragt (siehe Bild).

Wäre dieses Beispiel ein Einzelfall, er wäre zu verschmerzen. Leider sieht es in vielen Entwicklungsländern ähnlich aus. Regierungen nutzen „Kultur“ als Gelegenheit zum Protzen und Prahlen. Von der Kolonialmacht übernommene Museen werden lieblos fortgeführt. Gefördert werden allenfalls zweitrangige Künstler, die die Regierungspolitik in den Himmel loben. Dass die eigene Nation auch nach Jahrzehnten der Unabhängigkeit kein positives Verständnis der eigenen Identität hat, wird im Zweifel den von den Kolonialmächten willkürlich gezogenen Grenzen angelastet.

Dabei böten freier künstlerischer Austausch und die öffentliche Beschäftigung damit einen Weg zum Nationbuilding, vor allem, wenn Schulen, Sender und Museen derlei unterstützten. Wie bei der Förderung der Privatwirtschaft geht es vor allem darum, dass die Politik geeignete Rahmenbedingungen schafft – sie kann und soll die Ergebnisse nicht bestimmen.

Keine Frage: Künstler sind oft unbequem. Sie sind oft nicht nur eitel und ehrgeizig, sie benennen auch Mängel und Probleme. Wenn sie aber den Nerv ihrer Epoche treffen, haben sie oft grenzüberschreitend Erfolg – und werden dann zu wichtigen Botschaftern ihrer Heimat. Die Angst, dass sie ihrer Nation als Nestbeschmutzer Schande bereiten, ist unbegründet. Günter Grass, der Autor der Blechtrommel, hat für das Ansehen Deutschlands in der Welt gerade deshalb viel geleistet, weil er vor den dunklen Seiten unserer Geschichte nicht zurück­schreckt. Hans Dembowski

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