Global Governance

Gewaltige Aufgaben

Dass die UN im September 2015 die Nachhaltigkeits-Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals – SDGs) annahmen, war ein großer multilateraler Erfolg. Um die Ziele zu erreichen, muss nun aber mehr geschehen. Die internationale Gemeinschaft muss als lernendes System agieren, wenn sie den komplexen Herausforderungen gerecht werden soll.
China unterstützt den Ausbau afrikanischer Infrastruktur wie etwa der Stadtahn in Addis Abeba. Minasse Wondimu Hailu/picture-alliance/AA China unterstützt den Ausbau afrikanischer Infrastruktur wie etwa der Stadtahn in Addis Abeba.

Die SDGs wurden in einem innovativen und interaktiven Verfahren formuliert. Teils verlief es von den Graswurzeln nach oben, teils von den Staatsspitzen nach unten. Sehr viele unterschiedliche Akteure nahmen teil. Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit (Soziales, Wirtschaft und Ökologie) wurden beachtet. Das Konzept betrifft Industrie- und Entwicklungsländer sowie globale Angelegenheiten wie Armut, Klimawandel, Ungleichheit und Frieden. Der Grundsatz, dass niemand zurückgelassen werden darf, gilt für reiche wie arme Staaten. Insgesamt sind die SDGs eine vernünftige Agenda, um die Zukunft der Menschheit zu sichern.

Das Abkommen wurde zu Recht gefeiert. Die Umsetzung der Agenda ist aber eine noch schwierigere Aufgabe als ihre Aufstellung. Es hat ernsthafte Auseinandersetzungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern über die Implementierungsmittel (MoI – Means of Implementation) gegeben. Zu jedem SDG gehören MoI-Zielvorgaben, und SDG 17 betont noch mal ausdrücklich, dass die MoI gestärkt werden müssen.

Darüber wird es weitere Debatten geben. Es geht nicht nur um Geld, Technologietransfer und Capacity Building, sondern auch um die Koordination von Politik, die Verbesserung von Regierungsführung und bessere Daten und Statistiken. Die globale Partnerschaft muss geschaffen werden, und alle Parteien müssen Verantwortung übernehmen. Das ist wichtig, weil die SDGs keine leicht implementierbare Agenda bilden. Vier Probleme machen die Umsetzung sogar sehr schwierig:

  • Das erste Problem sind die MoI. Vielen Ländern mangelt es an Ressourcen und kompetenten Fachleuten. Sie sind schon auf nationaler Ebene nicht ausreichend fähig, öffentliche Güter bereitzustellen, und sollen nun sogar zur Gewährleistung globaler öffentlicher Güter beitragen. International abgestimmte Anstrengungen sind nötig, um sie dazu in die Lage zu versetzen. Lange leisteten fortgeschrittene Nationen weniger erfolgreichen Ländern Entwicklungshilfe (Official Development Assistance – ODA). Die ODA hat aber in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren – unter anderem, weil die etablierten Geber nach der globalen Finanzkrise von 2008 ihre Ausgaben reduziert haben. Aufsteigende Mächte wie China verfolgen zwar neue Strategien in Bezug auf die am wenigsten entwickelten Länder – etwa in Afrika. Sie verbinden dabei Entwicklungshilfe mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Allerdings ist das Gesamtbild nicht allzu vielversprechend. Es mangelt an ausreichender Koordination der diversen Akteure (besonders der Geber- und Empfängerländer sowie der internationalen Institutionen).
  • Das zweite Problem ist, dass die vielfältigen SDGs auf komplexe Weise miteinander verknüpft sind. Es hieß bereits, Länder sollten sich auf prioritäre SDGs konzentrieren, statt alle zugleich anzugehen. Effektives Handeln erfordert das Verständnis der Wechselwirkungen, denn Fortschritt in einem Bereich kann auch Fortschritt in anderen Bereichen auslösen. Andererseits sind auch Zielkonflikte möglich – etwa zwischen Wirtschaftswachstum zum Zweck der Armutsbekämpfung (SDG 1) und dem Schutz der Ökosysteme (SDG 15). Auch zum Zweck internationaler Harmonie mit Blick auf die SDG-Umsetzung müssen Synergien wie Zielkonflikte gründlich erwogen werden.
  • Das dritte Problem betrifft Amtsführung auf nationalstaatlicher Ebene. Sicherlich können Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft wichtige Beiträge leisten, aber Regierungen müssen Führungsverantwortung mit Blick auf Bewusstseinsbildung, die Mobilisierung von Ressourcen und die Politikimplementierung übernehmen. Mangelhafte Regierungsführung ist aber leider nicht nur ein typisches Symptom von Unterentwicklung, sondern aus Sicht vieler Fachleute sogar eine Ursache davon. ODA in Form von Geld und Capacity Building kann helfen. Es ist aber unverzichtbar, dass Regierungen wirklich Verantwortung übernehmen.
  • Das vierte Problem ist das Monitoring. Es gibt 17 SDGs mit 169 Unterzielen und 231 Indikatoren. Diese Komplexität erschwert die Implementierung. Obendrein gibt es für manche Indikatoren weder differenzierte Zeitmarken noch Erzwingungsmittel. Manche Indikatoren sind auch mit mehrdeutigen Adjektiven wie „nachhaltig“, „substanziell“ oder „effizient“ definiert. Obendrein muss der verbreitete Fehler vermieden werden, quantitativen Indikatoren Vorrang vor qualitativen zu geben. Umfassende Rahmenrichtlinien für den Umgang mit den Indikatoren wären gut. Monitoring in Echtzeit könnte die Implementierung erleichtern und dazu beitragen, Akteure zur Rechenschaft zu ziehen. Vielversprechende Arbeiten haben auf diesem Gebiet bereits begonnen. Ein Beispiel sind „SDG Index and Dashboards“ (Sachs et al., 2016), welche das Sustainable Development Solutions Network (SDSN) entwickelt hat. Der Anfang ist vielversprechend, es muss aber mehr geschehen.


Lernende Amtsführung

Wegen dieser Probleme können Verwaltungen nicht einfach angewiesen werden, die SDGs zu erreichen. Ständig werden neue politische Richtungsentscheidungen nötig sein, wobei aus Erfolgen und Misserfolgen Konsequenzen zu ziehen sind. Neue Methoden müssen getestet und weiterentwickelt werden (Xue, 2012). Entsprechend braucht die internationale Gemeinschaft eine Haltung der „adaptive Governance“ (lernenden Amtsführung), und zwar auf staatlicher wie überstaatlicher Ebene.

Es gibt keine allgemein anerkannte Definition von adaptive Governance, aber Kernelemente sind klar:

  • Adaptive Governance berücksichtigt Komplexität und Unsicherheit. Weil es immer Zielkonflikte gibt, sollte die Implementierung von Politik am besten als fortdauerndes Experiment verstanden werden.
  • Bei Adaptive Governance geht es nicht einfach um Dezentralisierung im Sinne der Ermächtigung von Gebietskörperschaften. Gute Abstimmung zwischen verschiedenen staatlichen Ebenen ist wesentlich.
  • Adaptive Governance respektiert lokale Kontexte und Erfahrungen.
  • Adaptive Governance ist evolutionär. Ziele und Verfahren werden regelmäßig und systematisch überprüft.

Aus diesen Überlegungen folgt, dass Politik als lernendes System organisiert werden muss. Um die SDGs zu erreichen, ist intensiver internationaler Austausch unter Einbezug der nationalen Regierungen sowie diverser anderer Akteure nötig. Wir schlagen deshalb ein iteratives Vorgehen mit vier wiederkehrenden Schritten vor.

  • Schritt 1: Die Nutzung der SDGs als umfassenden Maßstab, um den aktuellen Status eines Landes zu bestimmen: Es geht darum, Entwicklungslücken, Zielkonflikte und Synergien zu erkennen, damit möglichst effizient und effektiv gehandelt werden kann.
  • Schritt 2: Die Benennung von Entwicklungsprioritäten durch die nationale Politik samt strategischer Implementierung: Der Versuch, alle Lücken auf einmal zu schließen, wäre unrealistisch. Um effizient voranzukommen, muss klar sein, was Vorrang hat. Prioritäten zu definieren ist grundsätzlich eine politische Angelegenheit. Dabei müssen alle wichtigen Akteure und Interessengruppen beteiligt werden und die verwundbarsten Bevölkerungsgruppen verdienen besondere Aufmerksamkeit. Städtische Eliten dürfen nicht alle anderen verdrängen. Auch müssen kurzfristige Bedürfnisse gegen langfristige Bedrohungen ausbalanciert werden. All das muss so geschehen, dass es der politischen Ordnung des jeweiligen Landes entspricht.
  • Schritt 3: Die Schaffung von Plattformen für Erfahrungsaustausch und gemeinsames Lernen: Regionale und themenspezifische Gruppen sind auch möglich. Das SDSN hat dazu bereits Vorschläge gemacht (UN-SDSN, 2017).
  • Schritt 4: Revision der Prioritäten und Implementierungsstrategien: Dies ist selbstredend kein Schlusspunkt, sondern führt zu einer neuen Runde iterativen Lernens. Es gilt, Erfolgsmodelle zu kopieren und von anderen Parteien gemachte Fehler zu vermeiden.

Die SDGs bieten für die globale Entwicklung noch nie dagewesene Chancen. Zur gemeinsamen Vision der Menschheit gehören Frieden, Würde und das Ende der Armut. Alle Akteure sollten kontinuierlich aus neu gesammelter Erfahrung lernen und ihre Leistungsfähigkeit entsprechend steigern. Dann kann es gelingen, dass die SDGs 2030 erreicht sind, und nicht nur Anlass zu schönen Erinnerungen bieten.


Lan Xue ist Professor für Politik und Verwaltungswissenschaften an der Tsinghua-Universität in Peking. Sie gehört zum UN Sustainable Development Solutions Network.
xuelan@tsinghua.edu.cn

Lingfei Weng ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Tsinghua- Universität.
wenglingfei@tsinghua.edu.cn

Hanzhi Yu ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Center for International Governance Innovation in Kanada.
hyu@cigionline.org


Quellen

Sachs, J., Schmidt-Traub, G., Kroll, C., Durand-Delacre, D., Teksoz, K., 2016: SDG index and dashboard-global report. Bertelsmann Stiftung and Sustainable Development Solutions Network: New York; 3–35.
UN-SDSN, 2017: Solutions Initiatives.
http://unsdsn.org/what-we-do/solutions-initiatives/
Xue, L., 2012: The shifting global order: A dangerous transition or an era of opportunity? In Governance 25, Vol. 4: p. 535–539.

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