Terrorismus

Auf Islam einlassen, um ISIS zu schlagen

In Gewaltkonflikten ist es ratsam, nicht zu tun, was der Gegner will. Nach den Terroranschlägen in Paris reagieren im Westen aber viele exakt so, wie die Mörder wohl gehofft hatten. Es wäre klüger, die extremistische Propaganda durch Handeln zu widerlegen.
Trauerbekundung in einer Londoner Moschee. Lipinski/empics/picture-alliance Trauerbekundung in einer Londoner Moschee.

ISIS ist eine terroristische Organisation mit schwarzweißer Ideologie. Demnach müssen sich unterdrückte Muslime in Selbstverteidigung gegen den Rest der Welt erheben. Es stört ISIS nicht, wenn das Ansehen der Religion diskreditiert wird. Im Gegenteil: Sie wollen ja, dass Nichtmuslime sich gegen Muslime wenden.

Alles, was als westliche Missachtung des Glaubens interpretiert werden kann, heizt die Wut an, die ISIS unter Muslimen zu entfachen hofft. Andererseits wollen die Fanatiker alle Muslime, die sich ihnen nicht anschließen, leiden sehen. Euro­päische Animositäten gegenüber Flüchtlingen aus Afghanistan, Libyen und Syrien gefallen ihnen, weil sie Muslime treffen, die aus ISIS-Sicht bestraft gehören. Ihr Narrativ bricht dagegen zusammen, wenn Europa Flüchtlinge willkommen heißt.

Europas rechter Rand – von Front National über Lega Nord bis hin zur Alternative für Deutschland – ist fremdenfeindlich. Auf symbiotische Weise profitiert er vom islamistischen Terror, während seine Xenophobie zugleich Wasser auf die Mühlen der Dschihadisten leitet. Intoleranz nährt Intoleranz. Jedes Gerede vom Konflikt der Zivilisationen ist aber falsch, und auch das Wort „Krieg“ ist überzogen. Es legitimiert Mörder, die nun mal nicht reguläre Soldaten sondern Kriminelle sind.

Dschihadisten haben massenhaft gemordet – in dern vergangnenen Wochen in Paris, Ankara, Beirut, Tunis und Bamako. Davon ist nur Paris eine westliche Stadt, die anderen liegen im muslimischen Kulturkreis. Dschihadismus ist weit davon entfernt, die westliche Zivilisation zu vernichten, aber er terrorisiert wirkungsvoll Muslime. Eine Handvoll selbstmörderischer Verbrecher kann in Paris furchtbares Leid anrichten, aber die französische Hauptstadt war und ist nicht in Gefahr, in ihre Hände zu fallen.

ISIS und ähnliche Terrorbanden tun so, als seien sie die wahren Vertreter des Islams. Das stimmt nicht. Der Islam ist kein monolithischer Block. Der Koran gilt als sakrosankt, aber er ist auslegungsbedürftig. In der sunnitischen Kultur gibt es deshalb eine lange Geschichte hochdifferenzierter Debatten, die theologische Schulen an vielen verschiedenen Orten vorangetrieben haben. Dschihadisten lehnen den Reichtum dieser Tradition ab. Sie akzeptieren nicht, dass der Islam verschiedene Erscheinungsformen hat. In Timbuktu haben sie uralte Manuskripte vernichtet, weil das historische Erbe des Glaubens nicht in ihr totalitäres Weltbild passt.

Die arabische Region steckt in schrecklichen Wirren. ISIS ist eine von vielen irregulären Milizen und regulären Armeen und beansprucht, einen Staat zu regieren, den aber keine Regierung eines islamischen Landes anerkennt. ISIS will Macht. Die Islamisten sind keine religiösen Führungspersönlichkeiten, sondern Gewalttäter.

Bei der überwiegenden Mehrheit der Muslime kommt ihre Schwarzweiß-Ideologie nicht an. In Europa fühlt sich aber leider eine Minderheit von frustrierten und marginalisierten Jugendlichen angesprochen. Viele, aber nicht alle, kommen aus Migrantenfamilien. Meist sind ihre Eltern besser in die Gesellschaft integriert als sie und religiös, nicht fundamentalistisch gesinnt. Das Phänomen ist in Frankreich und Belgien besonders verbreitet, kommt aber auch in anderen EU-Ländern, einschließlich Deutschland, vor.

Europäische Politiker müssen sich klarmachen, dass die Terroristen in Paris, soweit wir wissen, überwiegend EU-Bürger waren. Sie sollten auch Konsequenzen daraus ziehen, dass Dschihadisten in Euro­pa sich oft in Gefängniszellen und nicht in Moscheen radikalisieren. Europa hat nicht genug für Integration getan. Manche mögen meinen, dass angesichts knapper öffentlicher Kassen kein Geld für Sozialarbeit und Religionserziehung da ist. Der Preis, den Paris nun bezahlt hat, ist aber sehr viel höher.

In Syrien und Irak hält ISIS ganze Landstriche besetzt. Dort muss die Miliz militärisch bekämpft werden – und Luftschläge reichen nicht aus. Nun sagen westliche Regierungen, dass die Bodentruppen aus muslimischen Ländern kommen sollen, weil sonst das Narrativ der brutalen Kreuzfahrer bedient wird. Da ist viel dran. Entsprechend sollten sie darauf achten, auch in Europa ISIS-Propaganda nicht zu bestätigen. Um ISIS wirkungsvoll zu bekämpfen, muss Europa sich auf den Islam einlassen.   

P.S.: Deutsche Medien nennen ISIS meist „Islamischer Staat (IS)“. Das sieht handwerklich korrekt aus, dient aber der Propaganda der Terroristen – sowie der europäischer Rechtspopulisten. Der Name ist eine Anmaßung, denn es handelt sich nicht um einen Staat, und die Mehrheit der Muslime findet auch nicht, dass ISIS für ihre Religion sprechen. Bei E+Z/D+C verwenden wir seit Monaten deshalb die Formulierung "Terrormiliz ISIS" ohne weitere Erklärung.

Hans Dembowski

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