Einzelhandel

Mindestens vier Stationen

Seit einigen Monaten gibt es Baumwollbekleidung aus fair gehandelter Baumwolle. Doch die Kontrolle ist ungleich schwerer als bei Obst, Gemüse oder Kaffee, da die Textilienherstellung auf deutlich mehr Produktionsschritten aufbaut.

Fair gehandelten Kaffee gibt es inzwischen vielerorts zu kaufen. Er wird in Europa nicht mehr nur exklusiv über so genannte Eine-Welt-Läden vertrieben, die ausschließlich Produkte aus fairem Handel verkaufen und deren Mitarbeiter in der Regel ehrenamtlich arbeiten. Inzwischen bieten auch Supermärkte die fair gemahlenen und gerösteten Bohnen an. Sogar Penny, ein deutscher Billig-Discounter, hat Kaffee im Sortiment, der mit dem Fair-Trade-Siegel des unabhängigen Vereins TransFair ausgezeichnet ist.

Seit August 2007 sind nun auch Texti­lien aus Fair-Trade-zertifizierter Baumwolle erhältlich. Sicherzustellen, dass die Kriterien des Fairen Handels bei Baumwollprodukten wie etwa Jeans oder T-Shirts eingehalten werden, ist aber weitaus komplexer als bei Kaffee, Obst, Gewürzen oder Zucker. Denn der Weg von der Plantage zum Hemd ist lang. „Manche Jeans haben über 20 Stationen durchlaufen, bis sie im Laden hängen”, weiß Claudia Brück von TransFair.

„Kontrollierbar bleibt die Produktionskette nur, wenn sie möglichst wenige Stationen umfasst. Sobald die Produktion ausgelagert und anonymisiert wird, gibt es keine Chance mehr, Standards sicherzustellen”, sagt Brück. Deswegen arbeitet der ­Verein, der das einzige Siegel für fair ge­handelte Baumwollprodukte vergibt, nur mit Kleidungsherstellern zusammen, die kurze Produktionsketten vorweisen können. Nach der Plantage kommen aber noch mindestens drei Stationen: Spinnereien, Webereien und Konfektionäre.

Wirklich zertifiziert werden bisher nur die Plantagen. Dabei arbeitet TransFair in der Regel mit Kleinbauern-Kooperativen zusammen. Ob die Kriterien eingehalten werden, überprüft von Jahr zu Jahr wieder FLO-Cert, eine Unterorganisation der Fair­trade Labelling Organisation International (FLO). FLO ist eine Dachorganisation nationaler Siegelinitiativen wie Max Havelaar (Niederlande und Schweiz), TransFair (Deutschland), Fairtrade Foundation (Britannien) einerseits und seit Mai 2007 auch von Produ­zentennetzwerken in Asien, Afrika und Lateinamerika andererseits. Aus InWEnt-Sicht ist derlei sinnvoll, unter anderem weil es zur breiten Bewusstseinsbildung beiträgt. Zudem unterstützt InWEnt Städte, die ihr Beschaffungswesen auf faire Produkte umstellen wollen.

„Die Produzenten kennen wir inzwischen sehr gut, weil wir schon länger mit ihnen zusammenarbeiten”, erläutert Brück. Die Importeure der Baumwolle müssen den Genossenschaften einen festen Mindestpreis zahlen, der wenigstens die Produktionskosten deckt. Je nach Land liegt der nach Angaben von TransFair zwischen 38 und 51 Cent pro Kilogramm Baumwolle. Weitere wichtige Kriterien sind der direkte Handel mit den Produzentengruppen unter Ausschluss von Zwischenhändlern sowie die Zahlung von Mindestpreisen und Prämien. Außerdem verpflichten sich die Abnehmer, den Kaufpreis im Vorhinein zu finanzieren und lang­fristige Lieferbeziehungen einzugehen.

Die Produzenten von fair gehandelter Rohbaumwolle arbeiten also – wie auch die anderer Produkte mit entsprechenden Siegeln – unter besseren Voraussetzungen als ihre Kollegen, die oftmals von Zwischenhändlern abhängig sind. Dadurch verbessern sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen vieler Kleinbauern.

Schwierigkeiten bereiten aber weiterhin die anderen Stufen in der Produktionskette. Deshalb akzeptiert FLO hier zunächst geringere Standards. Sie fordert von Spinnereien, Webereien und Konfektionären, die Kernarbeitsnorm der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) einzuhalten. Diese inzwischen weithin anerkannten Regeln sind die Minimalstandards des Arbeitsrechts. Außerdem müssen die Unternehmen, die die Baumwolle weiterverarbeiten, eine faire Bezahlung ihrer Mitarbeiter gewährleisten. FLO kontrolliert auch diese Betriebe regelmäßig. Da es bisher aber nur Momentaufnahmen sind, vergibt sie noch keine Zertifikate.

Zwei Arten von Labels

Neben dem Fair-Trade-Siegel gibt es eine Reihe weiterer Labels, die den Kunden Qualität oder ein gutes Gewissen versprechen. Dabei setzen die verschiedenen Ansätze sehr unterschiedliche Schwerpunkte. „Es gibt zwei verschiedene Arten von Labels”, betont Frans Papma, der bis 2006 die niederländische Fair Wear Foundation (FWF) geleitet hat. Auf der einen Seite sieht er die Multi-Stakeholder-Organisationen, die beispielsweise von Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen gestützt werden und die sich oft wirklich um bessere Standards bemühen. Das gilt etwa für die amerikanische Fair Labor Association (FLA), die sich in erster Linie gegen Sweatshops einsetzt, oder die Social Accountability Initiative (SAI), die mit ihrer Norm SA 8000 (Standard for Social Accountability) produzierende Unternehmen zertifiziert, wenn sie soziale Mindeststandards in ihren Fabrikationsstätten umsetzen und kontrollieren.

Als zweite Gruppe nennt Papma die „business-gesteuerten Labels”, die lediglich höhere Gewinne erzielen wollen, indem sie den Kunden vorgaukeln, ökologischer und gerechter zu sein als die Konkurrenz. „Das kann man als Verbraucher überhaupt nicht überblicken, wenn man das Endprodukt in der Hand hält”, sagt Elke Meißner von der Verbraucherzentrale.

Rolf Heimann, der beim deutschen Versandhändler HessNatur für das Qualitätsmanagement verantwortlich ist, hat beobachtet, dass sich in den letzten Jahren immer mehr Produktionsstätten auch sinnvollen Prüfungen unterziehen. „Vor einigen Jahren war es noch viel schwieriger, SA-8000-zertifizierte Unternehmen zu finden. Aber es spricht sich in der Branche herum, dass Auftraggeber diesen Standard fordern.”
Insgesamt sind Veränderungen nur langsam zu erreichen, da gerade Textilunternehmen besonders schwer gegen das Arbeitsrecht verstoßen. Wichtig ist eine differenzierte Betrachtungsweise, weiß Heimann aus seiner Erfahrung. In China dürfen Arbeiterinnen und Arbeiter maximal 60 Stunden in der Woche arbeiten. Dennoch kommt es häufig vor, dass diese hohe Obergrenze überschritten wird. „Wir haben aber beobachtet, dass Arbeiterinnen, die nicht mehr als 60 Stunden in einem Betrieb arbeiten durften, in einem Nachbarbetrieb angeheuert haben”, berichtet der Qualitätsexperte.

Papma bezweifelt, dass die lückenlose Zertifizierung irgendwann zufriedenstellend möglich sein wird. Deshalb vergibt seine Organisation auch keine Labels. „Wir setzen auf den Mainstream”, sagt Papma und meint damit, „dass es grundsätzlich darum geht, das Verhalten von Unternehmen zu ändern”. Mitgliedsunternehmen der FWF müssen einen Code of Labor Practices anerkennen und ihre Zulieferer darüber informieren. Im ersten Jahr der Mitgliedschaft kontrolliert die Initiative mindestens 40 Prozent, im zweiten mindestens 60 Prozent und im dritten die komplette Produktionskette. Danach werden Produktionsstätten jährlich überprüft.

Seit 2008 veröffentlicht die FWF Informationen über die Anstrengungen ihrer Mitglieder im Internet. Wichtig sei auch, in den Produktionsländern ein Bewusstsein für die Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Ingeborg Wick, die das Südwind-Institut bei der Kampagne für Saubere Kleidung in Deutschland vertritt, hält Prozesse, wie sie die FWF unterstützt, für sehr wichtig. Denn es sei unbedingt notwendig, dass sich Unternehmen ihrer globalen Sozialverantwortung stellten. Die verwirrende Labelflut einzudämmen, meint sie, sei die Aufgabe staatlicher Stellen.

Das ist aber schwierig, da sowohl unter Experten als auch unter Kunden verschiedene Vorstellungen darüber existieren, welchen Kriterien ihre Kleidung entsprechen soll. Während manche Sozialstandards in den Mittelpunkt stellen, geht es anderen in erster Linie um Hautverträglichkeit, und wieder andere sehen vor allem eine Verpflichtung, die Natur in Produktionsprozessen nicht unnötig zu belasten. Alexandra Perschau vom Pestizid-Aktionsnetzwerk Deutschland meint daher, dass man „Bio-Fair-Sozial als Gesamtprodukt anschauen” müsse.

Diese Komplexität ist sicher einer der Gründe, warum bisher so viele verschiedene Ansätze parallel existieren. HessNatur zum Beispiel hat sich ursprünglich an ökologischen Richtlinien orientiert. „Wenn man in einem Bereich das konventionelle Produktionssystem in Frage stellt, stößt man irgendwann auch auf fragliche Praktiken in anderen Bereichen”, ist Heimann überzeugt. Um Verbrauchern aber Orientierung zu bieten, müsste das System eigentlich einfach sein. Die spannende Frage der Zukunft werde daher sein, wie die ganze Kette zertifiziert werden könne.

Solange das nicht der Fall ist, ist vor allem Aufklärung nötig. Chancen dafür bieten Veranstaltungen wie die Fairhandelsmesse FAIR2008 Ende Januar, die InWEnt finanziell unterstützt hat. (cir)

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