Geber und Nehmer

Systemische Fehler

Anstelle von Selbsthilfe schafft die internationale Entwicklungshilfe noch immer vielerorts Unselbstständigkeit und Abhängigkeit. Zum Beispiel in Äthiopien, wo viele Menschen jahrzehntelanger Entwicklungshilfe und großer Fruchtbarkeit des Landes zum Trotz nach wie vor unter Armut und Hunger leiden. Die Empfängerländer tragen allerdings eine Mitverantwortung.
Kiros Abeselom erklärt Studenten des Tegbare-id TVET College in Addis Abeba die Einsatzmöglichkeiten von Solaranlagen. privat Kiros Abeselom erklärt Studenten des Tegbare-id TVET College in Addis Abeba die Einsatzmöglichkeiten von Solaranlagen.

„Gib einem hungernden Menschen keinen Fisch, sondern lehre ihn zu fischen.“ Diese jahrhundertealte chinesische Weisheit gehört schon seit langer Zeit zu den Leitmotiven internationaler Entwicklungshilfe. Hilfe zur Selbsthilfe wird stets propagiert, Nachhaltigkeit gilt als eins der Hauptziele. Offiziell geht es um hehre Ziele wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Bildung, Gesundheit und Gleichberechtigung.

Doch Entwicklungshilfe ist selten rein altruistisch – eigene Interessen der Geber sind involviert. So will beispielsweise das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung explizit auch Wirtschaftskontakte zu den Partnerländern aufbauen. Das kann zur Armutsbekämpfung beitragen, tut es aber nicht immer.

Hilfe zur Selbsthilfe würde zum Beispiel beinhalten, dass Entwicklungsländer ihre agrarischen und mineralischen Rohstoffe selbst weiterverarbeiten. In der Realität sind jedoch zahlreiche Industrieländer von diesen Rohstoffen abhängig. Ihre Unternehmen haben ein Interesse daran, Produktion beziehungsweise Abbau oder Förderung, Export und Weiterverarbeitung zu kontrollieren. Äthiopien zum Beispiel verfügt über viele Ressourcen, die es zum Teil in Industrieländer exportiert, wie Kaffeebohnen, Baumwolle und Gold. Es wäre sinnvoll, die Rohstoffe im Land weiterzuverarbeiten und dann wertvollere Produkte zu exportieren. Das geschieht aber so gut wie nicht. Hilfe zur Selbsthilfe könnte zum Beispiel in Äthiopien dazu führen, dass die zahlreichen Seen und Flüsse des Landes für die Bewässerung der Landwirtschaft und für Fischerei genutzt würden. Oder dazu, dass von 74 Millionen Hektar für Landwirtschaft geeignete Fläche mehr als die bisherigen 15 Millionen Hektar verwendet würden.

Dass das nicht geschieht, liegt nicht nur an den Geberländern. Häufig verhindern auch die Interessen einzelner Akteure in den Empfängerländern eine erfolgreiche Umsetzung von Entwicklungsprojekten. So scheiterte beispielsweise vor einigen Jahren der Versuch, solarbetriebene Pumpen in der Bewässerung einzusetzen und Dörfer mit Hilfe von Solarenergie zu elektrifizieren, am Widerstand äthiopischer Behörden. Um derlei zu vermeiden, sollten Kampagnen ein Bewusstsein für Innovationen schaffen. Mittlerweile haben Techniken erneuerbarer Energie Einzug in dem ostafrikanischen Land gehalten.

 

Technik und Capacity Building

Im Bereich der Infrastruktur hat Äthiopien noch immer großen Bedarf: Die Versorgung mit Strom, Wasser und Telefon beziehungsweise Internet funktioniert vielerorts schlecht. Das hemmt die Entwicklung. Fachleute von außen sowie Kredite könnten helfen – nötig ist aber auch Capacity Building vor Ort, um neben den technischen auch menschliche Ursachen der Probleme anzugehen.

Vielen Ländern wäre allein mit fairem und freiem Welthandel mehr geholfen als mit jeder Entwicklungshilfe. Das ist eine Forderung, die sowohl Experten als auch afrikanische Staatschefs wie der ruandische Präsident Paul Kagame seit langem stellen. Doch Protektionismus der Industriestaaten in Form von Zöllen, Subventionen und Importquoten verhindern das – und zwar besonders für Agrarprodukte. Landwirtschaft ist aber typischerweise in Entwicklungsländern die wichtigste Branche.

Anstatt etwa Kleinbauern aus Entwicklungsländern Chancen zu geben, exportieren die USA, Kanada und die Europäische Union ihre Überschüsse an subventionierten Agrarprodukten dorthin und drängen sie – zum Teil unter dem Deckmantel der Nothilfe – auch noch aus den heimischen Märkten.

So ist Getreide aus den USA und der EU etwa der äthiopischen Stadtbevölkerung zwar durchaus willkommen, drückt aber die Preise auf den Märkten. Das Gleiche gilt für Milch und Milchprodukte aus der EU. Kleinbauern gehen deshalb Pleite, und die lokale Produktion sinkt.

Werden Menschen, die unter Armut und Hunger leiden, dauerhaft mit Gratislebensmitteln versorgt,  so führt das zu Unselbstständigkeit und Abhängigkeit. Eigene Initiativen werden dadurch unterdrückt. Die Menschen werden am Leben gehalten, ihnen wird aber keine Lebensgrundlage gegeben. Wenn zum Beispiel Arbeit mit ausländischer Nahrungsmittelhilfe bezahlt wird in einer Region, in der ausreichend Grundnahrungsmittel produziert werden können, ist das widersinnig. Im fruchtbaren Süden Äthiopiens in der Nähe von Dilla ist das geschehen: Bauern wurden im Rahmen eines sogenannten Food-for-Work-Programms für Arbeit im Straßenbau mit Getreide aus dem Ausland versorgt. In der Region wachsen unter anderem Bananen, Papayas, Avocados und Kaffee.

 

Fachkräfte wandern ab

Einen negativen Effekt hat auch der Braindrain. 2014 erhielten allein 5718 gut ausgebildete Äthiopier eine Green Card der USA, unter ihnen viele Ärzte. Während die Zielländer vom Zuzug gut qualifizierter Menschen profitieren, fehlen diese schmerzlich in der Heimat. Der Ärztemangel ist in Äthiopien besonders gravierend, vor allem in ländlichen Regionen. Auch an den Hochschulen fehlen sehr viele Fachkräfte. Zum Ausgleich werden ausländische Dozenten, vor allem aus Indien, angeworben.

Zu den erwähnten Problematiken kommen systemimmanente Eigeninteressen: Die internationale Not- und Entwicklungshilfe selbst ist eine riesige Branche mit vielen Arbeitsplätzen, die am Leben bleiben will. Sich selbst überflüssig zu machen – das mag der Anspruch einzelner Helfer sowie erklärtes Ziel konkreter Projekte sein, nicht aber der Unternehmen und Organisationen im Hintergrund als ganze. So sorgt die Not armer Länder oder, wie im Fall Äthiopiens, ein durch ausländische Politik, Medien und Hilfsorganisationen verbreitetes stereotyp katastrophales Bild für gute Einkommen in der Hilfsindustrie.

Konsequente Entwicklungshilfe würde bedeuten, dass die entwickelten Länder in ihrem Wirtschaftswachstum zugunsten der Entwicklungsländer zurückstecken müssten – und das geht ihnen bei aller Menschenliebe nun doch zu weit. Ebenso wichtig wäre, dass die politisch Verantwortlichen in Entwicklungsländern Hilfe nutzen, um langfristig leistungsfähige Strukturen aufzubauen, statt vor allem auf kurzfristige, individuelle Vorteile zu schielen.

 

Kiros Abeselom ist Dozent für Agrarwirtschaft an der Dilla University.
kirosa@du.edu.et

Link:
Dilla University:
http://www.du.edu.et/

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