Erziehung

Nehmt Kindern die Angst vor der Prügelstrafe

In Uganda halten Lehrer ihre riesigen Klassen häufig durch körperliche Züchtigung im Zaum. Wenn ausreichend Lehrer oder Aushilfen zur Verfügung stehen, hält ein Lehrer den Unterricht, während die anderen mit Stöcken durch die Reihen gehen und an unaufmerksame Schüler Hiebe austeilen. Die Nicht­regierungsorganisation (NGO) Joy for Children (JFC) setzt sich für eine Änderung der Disziplinarmaßnahmen ein.
In Uganda benutzen Lehrer den Zeigestock oft für die körperliche Züchtigung. Jorgen Schytte/Lineair In Uganda benutzen Lehrer den Zeigestock oft für die körperliche Züchtigung.

Im Klassenzimmer ist es laut und stickig. Rund 200 Mädchen und Jungen haben sich versammelt, um die Sozialarbeiter von Joy for Children zu sehen. Jeden zweiten Freitag werden Kinder in der Kivulu-Grundschule (Name geändert) in Kampala über ihre Rechte aufgeklärt. Die angewendete Lehrmethode ist neu für sie: partizipatives Unterrichten. Schüler in Uganda sind Frontalunterricht gewohnt: der Lehrer steht vor der Klasse und die Kinder müssen wiederholen, was er sagt. Die Sozialarbeiter von JFC dagegen setzen auf Gruppenarbeit und ermuntern die Schüler, Fragen zu stellen. Es ist nicht leicht, so große Klassen in den Griff zu bekommen. Aber die Schüler sind sehr gespannt auf das neue Thema und haben Lust, sich zu beteiligen.

Die Kivulu-Grundschule liegt in einem der Slums von Kampala. Der Schulhof ist staubig, die Gebäude heruntergekommen, aber bunte Bilder schmücken die Wände. Wie an den meisten Schulen in Uganda bemüht sich die Schulleitung, mit wenig Geld den Betrieb aufrecht zu erhalten. Lehrer verdienen ein Monatsgehalt von umgerechnet 80 Euro. Man kann sich vorstellen, wie schwer es ist, als Lehrer motiviert zu sein, wenn das Gehalt kaum reicht, um die eigenen Kinder zu ernähren.

Dennoch sind einige Lehrer offen für neue Lehrmethoden und Erziehungsmaßnahmen, darunter der Schulleiter der Kivulu-Schule. Er und mehrere Kollegen freuen sich über die Zusammenarbeit mit JFC und die Anregung zu „positiven“ Methoden der Disziplinierung.

Jeder Jugendliche in Uganda hat seine eigenen Erfahrungen mit körperlicher Züchtigung gemacht. So erzählt ein Student: „Ich war ein sehr dickköpfiges Kind und habe mir nicht mal etwas daraus gemacht, wenn mich die Lehrer mit dem Stock verprügelt haben. Einmal haben sie mich so heftig geschlagen, dass ich danach nicht mehr stehen konnte.“ „Dickköpfig“ ist in Uganda eine gängige Beschreibung für ein Kind, das nicht gehorchen will. Ein anderer Jugendlicher sagt: „Ich hatte so viel Angst vor dem Rohrstock, dass ich in der Klasse immer ganz still war – so wurde ich während meiner ganzen Grundschulzeit nicht einmal geschlagen.“

Mit dem Sprichwort „Wer mit der Rute spart, verzieht das Kind“ wird in Uganda gerne körperliche Züchtigung gerechtfertigt. Seit 2016 ist die Prügelstrafe in Schulen – aber nicht im privaten Bereich – gesetzlich verboten. Das Gesetz besagt, dass jedes Kind das Recht hat, vor allen Formen der Gewalt, also auch physischer und psychischer Misshandlung, geschützt zu werden. Es ist nicht der erste Versuch, Gewalt an Schulen zu unterbinden. Im August 2015 verhängte das Bildungsministerium ein „Verbot aller Arten von Gewalt gegen Kinder in Schulen, Instituten und Colleges“ und verwies dabei auf die Verfassung und verschiedene bestehende Gesetze. Das Ministerium wies die Schulen an, ihre Regularien anzupassen und die körperliche Züchtigung durch positive Sanktionen zu ersetzen.

Aber das Problem in Uganda ist nicht das Fehlen von Gesetzen, sondern deren Durchsetzung. Viele Lehrer, vor allem in ländlichen Regionen, wissen nicht, dass sie gegen Gesetze verstoßen, wenn sie ein Kind schlagen. Andere haben davon gehört, aber können sich sicher sein, dass sie beim Verstoß gegen das Gesetz nicht bestraft werden. Und die Kinder sind über ihre Rechte nicht aufgeklärt. Deshalb arbeiten NGOs eng mit Schulen zusammen. Sie erläutern den Schülern ihre Rechte und trainieren Lehrer im gewaltfreien Umgang mit ihren Schützlingen.

Dabei zeigt sich immer wieder, wie ungewohnt es für ugandische Schüler ist, vor Erwachsenen ihre Meinung zu sagen. Zunächst sind sie sehr schüchtern, doch sobald sie merken, dass niemand sie bestraft oder über sie lacht, wenn sie ihre Gedanken mitteilen, ist es wunderbar zu sehen, wie lebhaft diese zuvor so eingeschüchterten Kinder werden. Und es ist meist sehr interessant, ihren Ideen zuzuhören. An der Kivulu-Grundschule war körperliche Züchtigung offenbar an der Tagesordnung und für die Kinder völlig normal, weder falsch noch angsteinflößend.

Trotzdem hatten die Schüler viele alternative Ideen für Disziplinierungsmaßnahmen, etwa das Schreiben eines Entschuldigungsbriefes oder körperliche Arbeit. Manchen Schülern waren allerdings Stockhiebe lieber als Toilettenputzen – was beim Zustand der meisten Schultoiletten nicht überraschend ist. Es stellt sich die Frage, ob Stockhiebe überhaupt ihren Zweck erfüllen, wenn sie den Schülern fast gleichgültig sind.

Die Lehrer auszubilden ist ebenso wichtig wie den Schülern zuzuhören. Die Lehrer der Kivulu-Grundschule sind froh über das Angebot von Joy for Children. Viele räumten ein, dass auch sie ihre Schüler körperlich züchtigten. Einigen fehlte es einfach an Ideen für Alternativen – andere dagegen wollten aus Überzeugung an der Methode festhalten. Sie äußerten die Befürchtung, dass ihnen ohne den Rohrstock die Kontrolle über ihre riesigen Schulklassen mit oftmals mehr als 100 Kindern entgleitet.

In der Zusammenarbeit mit mehr als 80 Schulen haben JFC-Mitarbeiter vielfältige Erfahrungen mit der Einführung positiver Disziplinarmaßnahmen gesammelt. Viele Schüler sind begeistert von der Idee einer gewaltfreien Schule. Einige Lehrer dagegen beklagen, dass die Schüler ihnen nun mit der Polizei drohten, wenn sie sie weiterhin schlagen, und dass ältere Schüler arrogant geworden seien. Die Lehrer fühlen sich plötzlich machtlos.

Dabei bedeutet die Abschaffung der körperlichen Züchtigung nicht, dass es bei Fehlverhalten keinerlei Disziplinarmaßnahmen gibt. Kinderrechte sind nur die eine Seite der Medaille, Verantwortung ist die andere. Die Sozialarbeiter betonen, wie wichtig es ist, den Kindern zu erklären, was verboten ist und warum. Anstatt die Schüler zu bestrafen, wenn sie ihre Meinung äußern oder schlechte Noten schreiben, sollten die Kinder lernen, was sie besser machen können.

Für viele Schüler ist es eine größere Herausforderung, einen Entschuldigungsbrief zu schreiben, als ein paar Stockhiebe über sich ergehen zu lassen – dabei allerdings lernen sie etwas, zum Beispiel fehlerfrei zu schreiben. Genau das ist gemeint mit „positiver Disziplinierung“. Eine weitere Methode, durch die Kinder lernen und gleichzeitig an Entscheidungsprozessen beteiligt werden, ist die Bildung von Schülerkomitees. Diese Komitees setzen sich aus Kindern zusammen, die von Lehrern und Mitschülern gewählt wurden und stellen eine Art Kinder-Gericht dar, das über den Umgang mit Schülern entscheidet, die regelmäßig durch Fehlverhalten auffallen. Solche Komitees wurden an jeder der Schulen gegründet, mit denen JFC zusammen arbeitet. Natürlich hängt der Erfolg dieser Gremien von der Unterstützung der Lehrer ab.

Es ist schön zu sehen, wie Schulen sich verändern, wenn die Schüler ihre Rechte kennen und die Lehrer neue Erziehungsmethoden anwenden. Eine Evaluierung von JFC hat ergeben, dass sich das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern dadurch deutlich verbessert. Vertrauen in Lehrer zu haben, ist besonders wichtig für die verletzlichsten Kinder, die häufiger Gefahr laufen, die Schule vorzeitig abzubrechen, oft schon vor Ende der Grundschulzeit. Die Abschaffung der körperlichen Züchtigung hat in den mit JFC kooperierenden Schulen, auch die Zahl der Schulabbrecher verringert.

Dennoch ist es noch ein weiter Weg, bis das neue Gesetz vollständig umgesetzt wird. Zudem reicht es nicht, körperliche Züchtigung nur an Schulen zu verbieten. Viele Lehrer sagen, solange Eltern ihre Kinder schlagen, werde sich nichts ändern. In Familien mit teilweise einem Dutzend Kindern ist es für die Eltern schwer, jedem Kind zu erklären, warum es welche Regeln einhalten muss. Für überforderte Eltern ist die Prügelstrafe der einfachste Weg. Mit einer Geburtenrate von 5,8 im Jahr 2016 (Quelle: CIA World Factbook) zählt Uganda zu den Ländern mit dem höchsten Bevölkerungswachstum weltweit.

Es kommt nun darauf an, das Momentum zu nutzen und die Bemühungen um ein Ende der körperlichen Züchtigung zu verstärken – sowohl in Schulen als auch zu Hause. Uganda braucht mehr Vorbilder wie den Grundschuldirektor aus Kampala. Je sichtbarer die positiven Auswirkungen alternativer Disziplinarmaßnahmen werden, desto wahrscheinlicher wird ein Ende der Prügelstrafe.


Moses Ntenga ist Geschäftsführer der Organisation Joy for Children Uganda in Kampala.
http://www.joyforchildren.org

Angelina Henrich ist Sozialarbeitern und arbeitet ehrenamtlich bei Joy for Children Uganda.

Link
Global Initiative to End All Corporal Punishment of Children:
http://www.endcorporalpunishment.org/
 

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