Landwirtschaft

Herausforderung Supermarkt

Große Ladenketten erobern zunehmend den Lebensmittelhandel in Entwicklungsländern. Die Folgen für den Agrarsektor werden gravierend sein, weil traditionelle Produktions- und Handelsverfahren in Frage gestellt werden. Auf Bauern, die nicht mitkommen, wird keine Rücksicht genommen.

[ Von Rudolf Buntzel ]

Zwei Trends sind derzeit im Agrarhandel zu beobachten. Beide werden sich auf die Zukunft der Landwirte in armen Ländern entscheidend auswirken.

Erstens boomt der Export von hochwertigen und frischen Produkten wie Obst, Gemüse, Nüssen, Blumen und Gewürzen so­wie von Meerestieren und Fisch aus Entwicklungsländern. Dabei lösen zunehmend qualitativ hochwertige Waren undifferenzierte Rohstofflieferungen ab. Die Kontrolle der Wertschöpfungskette vom Acker bis zur Theke wird zugleich immer strenger.

Zweitens expandieren Ladenketten für Lebensmittel in Entwicklungsländern. Schon lange kauft nicht mehr nur die verwöhnte Ober- und Mittelschicht in Supermärkten; inzwischen gibt es Filialen auch in Armenvierteln, Kleinstädten und auf dem Land. Dieser Wandel, bei dem internationale Ketten eine wachsende Rolle spielen, verändert die Vermarktungsstrukturen radikal.

Früher beschäftigte der Handel einen sehr großen Teil der Bevölkerung von Entwicklungsländern. Diesem – oft informell organisierten – Warenaustausch machen nun neue Supermärkte Konkurrenz. Denn gegen die Attraktivität des Warenangebots der Supermärkte und ihre vergleichsweise niedrigen Preise kommen die Kleinsthändler kaum an. Die Schattenseiten des Fortschritts: Grob geschätzt ersetzt ein Arbeitsplatz in einem Supermarkt sieben Arbeitsplätze auf herkömmlichen Märkten, für die schneller Ersatz nicht zu finden ist.

Bisher lieferten Bauern ihre Erzeugnisse meist zu sehr niedrigen Preisen an lokale Zwischenhändler, die ihrerseits Straßenmärkte, Kleinhändler und Großmärkte in den Städten versorgten. Weil dieses Sys­tem recht ineffizient ist, fällt es Supermarktketten leicht, sich in der Inlandsversorgung zu etablieren. Damit einher geht eine Veränderung der Versorgungswege: Supermarktfilialen beziehen ihre Ware nicht von einem Großmarkt, sondern ausschließlich über eigene Versorgungsnetze, organisiert durch Agenten. Mit dem Argument, dass größte Effizienz und höchste Qualitätsstandards Verbraucherwünsche bedienen, kontrollieren Handelsriesen jeden Schritt in der Wertschöpfungskette.

Die Weltbank betont in ihrem Weltentwicklungsbericht 2008 vor allem die positiven Seiten dieser Veränderung. Sie sieht Chancen vor allem darin, dass die Kosten der Vermarktung sinken und folglich die Versorgung breiter Bevölkerungsschichten mit preiswerten Lebensmitteln gewährleistet werden könne. Nach ihrer Meinung werden auch die Bauern von ihrer Integration in das Marktgeschehen finanziell profitieren. Beispielsweise bekämen sie über die Vertragslandwirtschaft Zugang zu Beratung, Schulung und Betriebsmitteln – Vorteile, die sie früher nicht hatten. Laut Weltbank bieten gesicherte Absatzwege Investitionsanreize. Auch böten Supermärkte meist bessere hygienische Voraussetzungen und praktisch portionierte und verbraucherfreundliche Verpackung.


Schwierigkeiten für traditionelle Bauern

Das Supermarktsystem ist aber in vieler Hinsicht inkompatibel mit der herkömmlichen Arbeitsweise der meisten Bauern. Dabei spielen Bildungsniveau, Ausgangskapital und diverse Infrastrukturen wichtige Rollen. Vor allem überfordert der hohe bürokratische Aufwand, den Supermärkte betreiben, Kleinbauern, die oft allenfalls mit Mühe lesen und schreiben können. Dabei geht es nicht nur um die verbindlichen Verträge über Liefermengen und -termine, auf denen Supermärkte bestehen. Hinzu kommen vielfältige Auflagen, Dokumentationspflichten und Lieferbedingungen. Derlei Auflagen können nur gut ausgebildete Landwirte und gut ausgestattete Betriebe erbringen . Decken diese sog. „progressive farmers“ bereits den Bedarf der Supermärkte für ein bestimmtes Produkt, haben die kleinen einheimischen Bauernbetriebe keine Chance mehr.

Reagieren könnten Landwirte auf die neuen Herausforderungen, indem sie sich zu Erzeugergemeinschaften zusammenschließen, die dann die Supermärkte beliefern. Das wird aber wahrscheinlich nur dort funktionieren, wo Landwirte bereits eine Tradition der genossenschaftlichen Zusammenarbeit haben. Schwer ist solches Vorgehen auch dort, wo die grundlegende Infrastruktur für schnelle Kommunikation fehlt. Einzelne Bauern aber werden künftig kaum noch Möglichkeiten haben, ihre Waren abzusetzen. Sie können sich allenfalls als Landarbeiter auf den Höfen verdingen, die sich erfolgreich in das Supermarktsystem integrieren.

Beschleunigt wird dieser Trend durch den digitalen Datenaustausch zwischen Zulieferern und Einkäufern sowie den steigenden Grad der Automatisierung von Logistik und Bestandsführung im Lebensmitteleinzelhandel. Erdacht, um die Kosten der Supermarktketten zu senken, unterwerfen diese Regeln Zulieferer den technischen Verwaltungssystemen.

Supermarktketten sind nicht alle gleich. Sie unterscheiden sich nach Warensortiment, Entwicklungsstand eines Landes, Konkurrenzsituation Vermarktungsstrategien und Konzernstrukturen. Manche agieren eher dezentral, andere zentralistisch – mit Folgen für die Integrationsfähigkeit der lokalen Bauernschaft oder der kleingewerblichen Ernährungswirtschaft. Ein Knackpunkt ist aber vor allem, ob Supermarktmanager Kleinbauern überhaupt in ihre Lieferketten einbinden wollen oder ob sie wohlmöglich lieber gleich auf Importe zurückgreifen.

Über die Auswirkungen von Supermärkten auf den Ernährungssektor von Entwicklungsländern gibt es bisher kaum Daten. Analysen basieren hauptsächlich auf Erkenntnissen über die Wirkungsweise des Exports von hochwertigen Agrarprodukten an Supermarktsysteme in den reichen Nationen. Diese beiden Szenarien sind aber im Grunde nicht zu vergleichen. Denn die Märke der Industrieländer erfordern Produktstandards, die für den Binnenhandel in Entwicklungsländern nicht gelten.

Deshalb spielt es eine Rolle, ob Supermärkte, die in Entwicklungsländern Fuß fassen, Zweigniederlassungen multinationaler Konzerne sind oder ob sie dank einheimischer Eigentümer im heimischen Markt verankert sind. Relevant ist ferner, ob die Supermärkte nur Lieferanten für den nationalen Markt suchen oder auch für den Export produzieren lassen. Im zweiten Fall gelten nämlich oft spezielle Normen, die lokale Bauern kaum erfüllen können. Der Eurepgap-Standard beispielsweise ist im internationalen Handel mit Obst und Gemüse weit verbreitet. Dabei ist er nur ein privater Geschäftsstandard, den 32 Supermarktketten und Nahrungsmittelkonzerne in Europa und Japan übernommen haben und jetzt voraussetzen. Eine Reihe von Entwicklungsländern hat sich bei der WTO gegen diesen Standard beschwert, weil sie sich dadurch im internationalen Nahrungsmittelhandel diskriminiert fühlen. Es geht auch mitnichten nur um Fragen der Lebensmittelsicherheit: Ob eine Frucht Flecken hat, spielt für ihren Nährwert keine Rolle – für die Supermarktvermarktung aber sehr wohl.


Schlussfolgerung

Manche Bauern werden einen Platz im Supermarktmodell finden. Die meisten aber werden keine Chance haben. Ähnlich wird es vielen kleinen Verarbeitungsbetrieben von Nahrungsmitteln und Händlern gehen. Das liegt daran, dass das Beschaffungssystem der Supermärkte auf Ausschluss angelegt ist: Die Einkäufer der Lebensmittelketten arbeiten lieber mit wenigen zuverlässigen Akteuren, einheitlichen Standards und homogener Ware. Das Wachstum dieses Segments wird sicherlich nicht ausreichen, um die Verdrängungsprozesse, die es auslöst, abzufedern.

Es gibt Alternativen zur Dominanz der Supermärkte. In Indien beispielsweise haben Kleinhändler anfangen, ihre Arbeitsweise zu modernisieren. Wesentlich ist auch, die Arbeitsweise der konventionellen Großmärkte, die nicht von einzelnen Ketten beherrscht werden, zu verbessern. Darauf zielen beispielsweise Anstrengungen der thailändischen Regierung ab.

Moderne Großmärkte können grundsätzlich auch als Einkaufsagenten mit den Supermärkten zusammenarbeiten, ohne deren ganzes Modell zu übernehmen. Nebenbei könnten die Großmärkte dann weiterhin die kleinen Einzelhändler versorgen – denn das tun die eigenen Agenten der Supermärkte nicht. Diese skizzierten Strategien könnten die Versorgungsfunktion übernehmen, ohne traditionelle Absatzwege und Erzeuger auszuschließen.

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