Sicherheit

Nachkriegs­wehen

Nach anderthalb Jahrzehnten des Bürgerkriegs ist der Ruf der Sicherheitskräfte in Liberia schlecht. Man hat sich zwar darum bemüht, die Polizei zu reformieren – aber wenn das gelingen soll, müssen die Gehälter besser werden.

Von Samwar Fallah

Die Sicherheitslage in Liberia ist immer noch fragil. Die Nachkriegs-­Nation ist extrem abhängig von der UN-Friedensmission. Inzwischen gibt es zwar deutlich weniger UN-Kräfte als noch bei ihrem ersten Einsatz im Jahr 2003, aber immer noch sind sie es, die für ­Sicherheit sorgen in dem über 3,5-Millionen-Einwohner-Land, das an die Elfenbeinküste, Guinea und Sierra Leone grenzt.

Liberia ist eine traumatisierte Nation. Die meisten Menschen haben Gewalt erfahren, und viele vertrauen den UN-Truppen immer noch mehr als den eigenen ­Sicherheitsagenturen, die wieder aufgebaut wurden. Zur Abzugsstrategie der UN und anderer internationaler Partner gehört die Ausbildung einer neuen liberianischen Polizei.

Das Misstrauen der Menschen ist begründet. Die Staatspolizei (LNP) ist dafür bekannt, dass ihre Offiziere nicht dem eigenen Volk gegenüber loyal sind, sondern jeweils demjenigen, der gerade an der Macht ist – ihre Verpflichtung den Bürgern gegenüber ist ihnen dabei egal.

Liberia ist gezeichnet von 15 Jahren Bürgerkrieg; er begann 1989 und endete 2003 mit einer Übergangsregierung. Der Sicherheitssektor brach zusammen, die Polizei schloss sich Schurkentruppen an.

Im Zuge der ersten kämpferischen Auseinandersetzungen wurde Rebellenführer Charles Taylor im Jahr 1996 Präsident. Derzeit muss er sich wegen Kriegsverbrechen in Sierra Leone vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten. Während seiner Präsidentschaft stützte sich Taylor auf Kampfeinheiten der ehemaligen National Patriotic Front of Liberia (NPFL) – seine Rebellen-Milizen – und machte sie zu seiner Polizei.

Unter Taylors Regime, von 1997 bis 2002, erwarb die Polizei den Ruf, mit Gewalt gegen die Zivilbevölkerung vorzugehen. Bürgerrechtler bringen sie auch in Zusammenhang mit nicht offiziell in Auftrag gegebenen Tötungen. Besonders die Sondereinheit SOD war für ihr brutales Vorgehen bekannt – ihre Leute wurden nur noch als „Söhne des Teufels“ bezeichnet.

Nach Taylors Abtritt begann die Folgeregierung – National Transitional Government of Liberia (NTGL) –, die Polizei aus­zubilden. Die NTGL startete ein Reformprogramm für den Sicherheitssektor (SSR). Seither arbeitet die staatliche Polizei LNP eng mit den UN zusammen, um wieder Recht und Ordnung in Monrovia und anderen Teilen des Landes herzustellen.

Direkt nach den demokratischen Wahlen im Jahr 2005, in deren Folge die derzeitige Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf ins Amt kam, wurde ein neuer Sicherheits- und Rekrutierungsprozess eingeleitet. Die UN und internationale Partner wie die USA und Großbritannien unterstützten das Land dabei. Auch Nigeria, Deutschland, Norwegen, Schweden, China und weitere Länder haben auf verschiedene Weise zum Polizeitraining beigetragen, sei es durch technische, logistische oder ­finanzielle Hilfe.

Die Regierung versucht, die Polizei „sauber“ zu halten. Einige Offiziere wurden wegen unprofessionellen Verhaltens entlassen, andere wurden beschuldigt, Kriminellen zu helfen und sie zu schützen. Kommandant James Hallowanger, der die Ausbildung von 75 Prozent der derzeitigen Truppe beaufsichtigte, wurde wegen angeblicher Korruption entlassen. Probleme bestehen dennoch weiter.

Geringe Bildung

Anfangs war eine höhere Schulbildung Voraussetzung dafür, der neuen Polizeieinheit beizutreten. Da es jedoch zu wenige Anwärter gab, wurde der Standard gesenkt. Das führte dazu, dass sich besonders junge Menschen mit geringer Bildung angezogen fühlen.

Eigentlich sollten 20 Prozent der Offiziere weiblich sein. Es bewarben sich aber kaum Frauen, weshalb dieses Ziel bislang noch nicht erreicht ist – und das trotz eines achtmonatigen Kurzzeitprogramms für Frauen, die trotz geringer Bildung zur Polizei wollen. Derzeit ist ein Sechstel der etwa 3600 Offiziere weiblich.

„Die Polizei ist gut ausgebildet. Wir vertrauen der Truppe und erfüllen unseren Auftrag“, sagt der stellvertretende Polizeipräsident für öffentliche Angelegenheiten, George Bardue. „Die Öffentlichkeit hat Vertrauen in die Polizei, das zeigt sich auch daran, dass die Kriminalitätsrate gesunken ist.“ Laut Bardue wurden einige ­Offiziere im Ausland ausgebildet, etwa in Nigeria und China. Auch andere Führungskräfte der Polizei drücken ihr Vertrauen in die Truppe aus. Trotzdem wird immer wieder über polizeiliche Gewalt in einigen Landesteilen und über ineffektive Einsätze berichtet.

Eines der größten Probleme ist die Bezahlung. Das Durchschnittsgehalt eines Polizeibeamten beträgt nur 90 Dollar im Monat. Das ist in einem Land, in dem die Lebenshaltungskosten sehr hoch sind und wo es keine Preisbindung gibt, schlicht zu wenig. Täglich kann man Polizisten dabei beobachten, wie sie Schmiergeld von Lasterfahrern, Motorradfahrern und Autobesitzern einfordern. Viele Verkehrsdelikte werden den Polizeidienststellen nie gemeldet, weil die Beamten die Gelder, die sie als Strafen einsacken, selbst einbehalten.

Viele junge Liberianer schrecken die niedrigen Löhne davon ab, zur Polizei zu gehen. Außerdem wollen sie sich keiner Truppe mit fragwürdigem Image anschließen. Ein Mann sagte: „Warum sollte ich einer Einheit beitreten, wo man lediglich 90 Dollar verdient, um dann von Schmiergeld abhängig zu sein?“ Eine junge Frau stimmte zu: „Ich sehe keinen Grund, bei der Polizei zu arbeiten, wenn man nur dann davon leben kann, indem man Autofahrern das Geld abknöpft.“

Klagen wie diese gibt es zur Genüge. Gravierender aber sind die Berichte über Polizisten, die erst eingreifen, wenn sie geschmiert wurden. Ein Mann erzählt, dass er zur Polizei ging, als sein Auto gestohlen worden war. Aber die Beamten forderten literweise Benzin und 1000 Dollar von ihm – sonst würden sie nicht eingreifen.

Der Polizist Anthony Gray hält das alles für Gerede. Seiner Meinung nach ist die Polizei nicht korrupt: „Die Leute sprechen einfach gerne schlecht über die Beamten. Nicht alle Polizisten knüpfen Autofahrern Geld ab oder verlangen etwas, ehe sie jemanden festnehmen.“

Augustine Toe, Leiter der Katholischen Rechts- und Friedenskommission von Liberia (JPC), hält die Polizei für korrupt und ineffizient: „Wie kann eine korrupte Einheit Kriminalität bekämpfen? Sie agiert nicht im Sinne der liberianischen Bevölkerung.“ In einem kürzlich veröffentlichten Bericht schrieb die JPC, dass die Polizei die Bevölkerung nicht schütze, und forderte eine Reform.

Wie viele andere Liberianer sagt auch eine 31-jährige Slumbewohnerin, dass sie der Polizei nicht traue: „Wir sind auf Gottes Gnade angewiesen. Wenn es bewaffnete Überfälle gibt, dauert es so lange, bis die Polizei kommt, dass die Banditen bis dahin längst weg sind.“

Manche Liberianer führen die lahme Reaktion der Beamten auch auf mangelnde Logistik zurück. Viele Stadtteile von Monrovia beschäftigen inzwischen Wachleute, die nachts patrouillieren, weil sie von der Polizei nichts erwarten.

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