Editorial

Kleinbäuerliche Produktivität

Dass heute viele Menschen nicht genug zu essen haben, liegt nicht daran, dass es zu wenig Nahrungsmittel gäbe. Die Landwirtschaft produziert weltweit eigentlich genug. Aber viele Menschen sind zu arm, um sich Lebensmittel zu kaufen. So sind denn auch steigende Brotpreise in vielen Ländern politischer Sprengstoff. Geradezu beispielhaft löste solche Inflation um den Jahreswechsel die Proteste aus, die zum Sturz der Diktatoren von Tunesien und Ägypten führten.

Ohne Zweifel wären die Verteilungskämpfe noch heftiger, wenn weltweit zu wenig Nahrung produziert würde. Das globale Bevölkerungswachstum macht solche Engpässe wahrscheinlicher. In 40 Jahren werden rund neun Milliarden Menschen auf der Erde leben. Das sind etwa zwei Milliarden oder rund 30 Prozent mehr als heute. Danach wird die Gesamtzahl wieder schrumpfen, denn die demographische Wende ist ein globales Phänomen. Neun Milliarden Menschen mit Nahrung zu versorgen ist eine riesige Herausforderung, aber nicht unmöglich. Zum Vergleich: In den vergangenen 40 Jahren hat sich die Menschheit von 3,7 Milliarden auf sieben Milliarden fast verdoppelt. Ende der 60er Jahre hieß ein wissenschaftlicher Bestseller „The Population Bomb“. Damals erschien es utopisch, dass es heute Hunger nicht wegen absoluten Mangels an Lebensmitteln, sondern wegen ungenügender Verteilung geben könnte. Die Zahl der Unversorgten schwankt über die Jahre, ist aber mit knapp einer Milliarde Menschen in den vergangenen 40 Jahren deprimierend stabil geblieben.

Langfristig für genug Nahrungsmittel zu sorgen, ist eine vielschichtige Aufgabe. Zu den relevanten Faktoren gehören unter anderem:
– Infrastruktur – in armen Ländern verrotten heute viele Lebensmittel, weil Ernten nicht sachgerecht gelagert werden können und der Transport nicht funktioniert.
– Bildung – viele Bauern in armen Ländern sind nie zur Schule gegangen und nicht in der Lage, sich selbständig Information darüber zu beschaffen, wie sie ihre Erträge steigern könnten.
– Ernährungsgewohnheiten – je mehr Fleisch gegessen wird, desto mehr Getreide wird als Futtermittel gebraucht und steht für Menschen nicht zur Verfügung.
– Energiepreise – teures Öl bedeutet unter anderem teuren Dünger.
– Agrarsprit – Ernten, die in Kraftstoff verwandelt werden, ernähren niemanden.
– Biotechnologie und Artenvielfalt – Hochertragssorten steigern zwar das Erntevolumen, ihre Erzeuger sind aber auf genetische Vielfalt angewiesen, um die gewünschten Erbeigenschaften einkreuzen zu können.

Heute wird fast alles agrarisch nutzbare Land tatsächlich genutzt. Also kommt es künftig darauf an, die Erträge pro Fläche zu optimieren. Während winzige Höfe ökonomisch kaum lebensfähig sind, sind Großplantagen ökologisch besonders problematisch. Landreformen, bei denen Böden umverteilt werden, sind politisch nur sehr schwer durchzusetzen und laufen in der Regel den Vorstellungen der Geberländer zuwider. Deshalb wird es in Zukunft vor allem darauf ankommen, die Produktivität der Kleinbauern zu steigern.

Nötig sind dafür Investitionen in Infrastruktur und Bildung, aber auch leichterer Zugang zu Märkten und Kredit. Das ist eine anspruchsvolle politische Agenda. Sie wird aber wenig bringen, wenn immer wieder Extremwetterlagen Ernten vernichten und Bauern wie Agrarpolitikern einen Strich durch die Rechnung machen. Klimaschutz ist deshalb vermutlich die wichtigste Voraussetzung dafür, dass in 40 Jahren neun Milliarden Menschen zuverlässig versorgt werden können.

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