Afghanistan

„Eine alte Krankheit der Entwicklungspolitik“

Die internationale Hilfe für Afghanistan hat bislang weniger gebracht als erhofft. Kritiker bemängeln, dass die Geber sich nicht genug abstimmen. Der Polizeiaufbau kommt nur langsam voran, der Drogenanbau erreicht Rekordhöhen.

Die internationale Hilfe für Afghanistan hat bislang weniger gebracht als erhofft. Kritiker bemängeln, dass die Geber sich nicht genug abstimmen. Der Polizeiaufbau kommt nur langsam voran, der Drogenanbau erreicht Rekordhöhen.

Im Präsidentenpalast in Kabul lagen die Nerven offenbar blank. Die Staatengemeinschaft verfüge über keine kohärente Strategie gegen den Drogenanbau in seinem Land, wetterte Präsident Hamid Karsai Ende August vor internationalen Journalisten. Die Geberländer koordinierten sich nur unzureichend untereinander. Und sie missachteten Vorschläge seiner Regierung zur Bekämpfung der Opiumproduktion. „Wo immer die Regierung präsent ist, da ist der Kampf gegen die Drogen erfolgreich. Wo sie in den Schatten gestellt wird, ist er nicht erfolgreich“, sagte Karsai laut Financial Times.

Anlass für den Ausbruch waren die neuesten Zahlen zum Opiumanbau in Afghanistan, die das UN-Büro für Drogen und Kriminalität (UNODC) kurz zuvor vorgelegt hatte. Und die stimmen in der Tat bedenklich: Laut UNODC ist die Anbaufläche für Schlafmohn in diesem Jahr um 17 Prozent auf 193 000 Hektar gewachsen. Das ist eine größere Fläche als alle Kokafelder Lateinamerikas zusammen. Die afghanische Opiumernte ist gegenüber 2006 um ein Drittel auf 8200 Tonnen gestiegen; in den vergangenen zwei Jahren hat sie sich verdoppelt. Seit China im 19. Jahrhundert hat kein anderes Land in so großem Stil Rauschgift angebaut wie Afghanistan, heißt es im UNODC-Bericht.

Die Lage sei aber „noch nicht hoffnungslos“, erklärte UNODC-Chef Antonio Maria Costa. Die gute Nachricht sei, dass die Zahl der drogenfreien Provinzen sich in diesem Jahr von sechs auf dreizehn verdoppelt habe. Tatsächlich liegt ein Großteil der Felder in nur wenigen Provinzen vor allem im Süden und Osten des Landes. Allein auf die südliche Provinz Helmand entfällt laut UNODC dieses Jahr mit über 100 000 Hekt­ar mehr als die Hälfte der landesweiten Anbaufläche. Die Provinz produziert damit mehr Rauschgift als Kolumbien oder Myanmar. So wie Karsai sieht Costa den Hauptgrund für das Nord-Süd-Gefälle darin, dass der Süden wesentlich schwächer von Kabul kontrolliert wird als der Norden. „Das Opium gedeiht dort, wo die Feinde der Regierung herrschen“, sagte der UNODC-Chef.

Probleme beim Polizeiaufbau

In den an Pakistan angrenzenden Regionen hat Kabul wenig zu melden; die afghanischen Sicherheitskräfte sind zu schwach. Der Aufbau von Polizei und Militär kommt nur schleppend voran, neue Studien der International Crisis Group (ICG) und der Afghan Research and Evaluation Unit (AREU), eines international besetzten Forschungsinstituts in Kabul, nennen die Gründe. Zum einen fehlt es an einem abgestimmten Vorgehen der Geber: Im Juni übernahm die Europäische Union zwar die Federführung beim Polizeiaufbau, aber die USA steuern dieses Jahr mit 2,5 Milliarden Dollar mit Abstand das meiste Geld bei. Washington setzt vor allem auf die schnelle Rekrutierung von Hilfspolizisten, die sich für Einsätze gegen Drogenanbau und Aufständische eignen. Die EU-Mission EUPOL dagegen knüpft an das deutsche Polizei-Konzept an: gut ausgebildete und menschenrechtlich geschulte Beamte, die sich weniger als Kämpfer und mehr als Dienstleister des Bürgers verstehen.

Zum anderen ist der Polizeiaufbau laut ICG und AREU nicht eingebettet in eine umfassende Justizreform. Das aber wäre notwendig, um die Wirksamkeit der Polizeiarbeit zu erhöhen. Auch hier ist das Problem, das die jeweils federführenden Geber – für die Justiz ist Italien zuständig – sich nur unzureichend abstimmen. Ein weiteres Problem ist Korruption, vor allem im Innenministerium. Das Ministerium sei „notorisch korrupt, in Fraktionen zersplittert und ein zunehmend wichtiger Spieler in Afghanistans illegaler Drogenökonomie“, heißt es in der AREU-Studie.

Zwar seien Ende 2005 Reformen eingeleitet worden, um Polizeiposten stärker nach Befähigung und nicht nach politischen Erwägungen zu vergeben. Aber laut der Crisis Group fehlt der Regierung von Präsident Karsai „noch immer der politische Wille, gegen eine Kultur der Straflosigkeit und gegen politische Einflussnahme auf Stellenbesetzungen und Operationen vorzugehen“. Unter diesen Bedingungen, die anvisierte Stärke der afghanischen Polizei von 62 000 auf 82 000 Mann zu erhöhen, wie es die Geberländer und Kabul beschlossen haben, dürfte laut AREU die Sicherheitslage sogar eher noch verschlechtern.

Neues Konzept der Bundesregierung

Das neue deutsche Afghanistan-Konzept, das die Bundesregierung Anfang September vorlegte, benennt diese und andere Mängel beim Wiederaufbau bemerkenswert offen. Es verweist aber auch auf die Erfolge, die bisher erzielt wurden, vor allem in den Bereichen Bildung, Gesundheitsversorgung und Infrastruktur. Tenor des Papiers: Der zivile Aufbau muss verstärkt werden, bislang war die Aufmerksamkeit zu stark auf militärische Fragen konzentriert.

Die Bundesregierung will deshalb die Mittel für zivile Projekte um ein Viertel auf jährlich 125 Millionen Euro erhöhen. Die Grünen finden auch das noch zu wenig. Die bisherigen 100 Millionen Euro müssten mindestens verdoppelt werden, fordern sie und stützen sich dabei auf eine Analyse der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung. Darin beschreiben Böll-Vorstand Barbara Unmüssig und die grüne Bundestagsabgeordnete Ute Koczy die Lage ähnlich ernüchternd wie die Regierung in ihrem Konzept. Für die beiden Autorinnen kommt in Afghanistan „eine altbekannte Krankheit der internationalen Entwick­lungs­zusammenarbeit“ zum Vorschein: „Geberkoordination erfolgt erst, wenn die Hilfsleistungen angelaufen sind, und sie erfolgt vor Ort, während die politischen Entscheidungen über Ziele und Strategien in den Hauptstädten der Geberländer getroffen werden.“ Diese „angebotsorientierte Entwicklungspolitik“, so die Studie, setze nicht genügend Anreize für afghanische Kräfte, selbst aktiv zu werden.

Die Böll-Stiftung sieht in Afghanistan einen Kreislauf, der typisch sei für Postkonfliktländer: Es fehlen einheimische Kapazitäten, um große Summen Hilfsgelder sinnvoll auszugeben. Also wickeln die Geberagenturen und die vielen ausländischen Hilfsorganisationen die Projekte weitgehend selbst ab. Dadurch entstehen Parallelstrukturen, die wiederum den Aufbau von leistungsfähigen einheimischen Kräften in Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft behindern. (ell)

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