Soziale Schichtung

Reiche Dienstmädchen

Die Oberschichtsfamilien Brasiliens zahlen viel für eine gute Haushaltshilfe. Sie wollen ihre Villen geputzt, die Gärten gepflegt und die Kinder gut versorgt wissen. Für viele arme Frauen ist das eine große Chance: In reichen Haushalten verdienen sie mehr als manche Akademiker, berichtet Wanda Steindorf aus Rio de Janeiro. Politische Reformen haben die Situation von Haushaltshilfen in den letzten Jahren deutlich verbessert.


Interview mit Wanda Steindorf

Sie geben Kochunterricht für Angestellte in brasilianischen Privathaushalten. Was bedeutet das?
Ich bin studierte Küchenchefin und biete seit acht Jahren Kurse für private Köchinnen an. Darin lernen sie, gesund zu kochen, also fett- und zuckerarm. Die Kursteilnehmerinnen arbeiten meist für sehr reiche Familien, die sich besser ernähren wollen und bereit sind, dafür die Fortbildung ihrer Köchin zu bezahlen. Das Konzept ist sehr erfolgreich. Die meisten Teilnehmerinnen machen die Kurse gerne. Ich bin auch schon in einer Fernsehsendung über gesunde Ernährung und Sport aufgetreten und habe ein Rezeptbuch veröffentlicht.

Die Frauen, die Ihre Kurse besuchen – also private Köchinnen –, aus welchem Umfeld kommen sie?
Viele kommen aus dem Norden Brasiliens – aus Recife, Paraiba oder Bahia –, wo es kaum Arbeit gibt, und wenn, dann höchstens schlecht bezahlte Jobs. Die anderen stammen aus den Favelas, den brasilianischen Slums. Rio de Janeiro ist voller Favelas, direkt hinter meinem Büro zum Beispiel beginnt ein riesiges Gebiet. Es sind Frauen mit wenig Bildung, die arbeiten müssen, um zu überleben.

Ist es normal für diese Frauen, arbeiten zu gehen?
In ihrem Umfeld ist es völlig selbstverständlich, dass sie genau wie Männer Geld verdienen müssen. Die Männer arbeiten meist auch in gering qualifizierten Jobs, beispielsweise als Fahrer, dann bringen sie höchstens 600 Euro nach Hause. Zudem ist es üblich, dass auch die Kinder ab dem 15. oder 16. Lebensjahr zum Familieneinkommen beitragen. Viele Frauen sind aber alleinstehend und müssen sich und ihre Kinder ganz alleine ernähren.

Die Arbeitsbedingungen von Hausangestellten sind in vielen Regionen Lateinamerikas unmenschlich. Unter welchen Bedingungen arbeiten Ihre Kursteilnehmerinnen?
Die Frauen, die zu mir kommen, arbeiten bei sehr reichen Familien. Diese haben meist eine Köchin, eine Putz- und Waschfrau sowie ein Kindermädchen pro Kind. Dort verdienen die Frauen auch entsprechend gut. In der Regel arbeiten sie fünf Tage die Woche im Haushalt und fahren am Wochenende nach Hause. Ihre Kinder müssen sie unter der Woche bei den Großeltern oder bei der Schwiegermutter unterbringen.

Die Frauen können also die ganze Woche über nicht nach Hause – das ist hart.
Trotzdem haben sie so oft ein besseres Leben. Die Frauen arbeiten unter der Woche rund 12 Stunden am Tag. Das hört sich sehr viel an, aber zuhause müssen sie häufig noch viel länger arbeiten. Außerdem haben sie dort meist nur ein schlechtes Bett und müssen sich eine kleine Wohnung mit der gesamten Großfamilie teilen. In den reichen Haushalten dagegen gibt es immer ein oder zwei Dienstmädchenzimmer, die mit einem großen Bett und einem guten Fernseher ausgestattet sind, und auch in der Küche stehen oft ein TV und ein Radio. So können sie abends die beliebten Novelas (brasilianische Soap-Operas) sehen, wofür sie zuhause keine Zeit hätten. Manchmal nimmt die Familie, für die sie arbeiten, sie sogar mit auf Reisen – nach Disneyland, in ihr Fe­rienhaus in Miami oder nach Europa. Natürlich gilt das nur für die Oberschicht, die Mittelschichtshäuser sind spärlicher ausgestattet und auch luxuriöse Reisen treten sie nicht an.

Wie sieht dagegen die Arbeitswelt der Haus­besitzerinnen aus?
Es sind gebildete Frauen, die gut verdienen. Eine meiner Kundinnen ist Architektin, eine andere Zahnärztin, wieder eine andere Managerin einer Firma. Eine besitzt sogar ein eigenes Geschäft für Kinderspielzeug. Manchmal wenden sich auch Männer an mich, die allein leben oder geschieden sind und deshalb auf eine gute Haushaltshilfe angewiesen sind.

Für die Frauen der Oberschicht scheint es selbstverständlich zu sein, arbeiten zu gehen und ihr Heim fremden Händen zu überlassen.
Ja natürlich, schließlich sind sie gut ausgebildet und arbeiten oft sogar besser als Männer. Im Durchschnitt schließen sie mit 23 Jahren das Studium ab, danach machen sie häufig noch einen Master und fangen mit 26 oder 27 Jahren an zu arbeiten. Früher hatten Frauen manchmal Probleme, wenn sie einer bezahlten Arbeit nachgehen wollten, aber heute sind sie im Prinzip gleichberechtigt.

Die Frauen, die in den Haushalten aufeinandertreffen – Arbeitgeberin und Angestellte –, kommen aus sehr unterschiedlichen Lebenswelten. Kennen sie das Leben der jeweils anderen?
Die Dienstmädchen wissen nicht immer genau, wie der Job ihrer Arbeitgeberin aussieht. Aber sie wissen, dass es wichtige Arbeit ist. Die Hausbesitzerin weiß natürlich ungefähr, was ihre Bedienstete macht. Privat sind sich einige sehr nah, andere haben so gut wie keinen Kontakt. Die meisten pflegen ein nettes und freundliches Verhältnis, aber keine Freundschaft.

Die Wohnsituation der Dienstmädchen scheint relativ komfortabel zu sein. Werden sie auch entsprechend bezahlt?
Eine Köchin bekommt in einem reichen Haushalt rund 600 Euro im Monat, und wenn sie gut ist, können es sogar bis zu 1000 Euro sein. Das ist ein sehr guter Lohn für die Frauen, die meist keinerlei Ausbildung haben und oft sogar Analphabetinnen sind. Gerade Kindermädchen sind gut bezahlt und haben zudem eine angenehme Arbeit, denn sie sind häufig zu mehreren in einem Haushalt und können gemeinsam auf die Kinder aufpassen. In der Mittelklasse ist das anders. Da muss das Dienstmädchen alle Arbeiten machen, die im Haushalt anfallen, und es verdient nur 300 bis 400 Euro im Monat.

Ist dieses Einkommen für Brasilien eher hoch oder niedrig?
Nehmen wir als Vergleich meine Tochter: Sie ist Desi­gnerin mit Universitätsabschluss und spricht vier Sprachen. Für ihre Arbeit, der sie sechs Tage die Woche je acht bis neun Stunden nachgeht, verdient sie 250 Euro im Monat. Der Mindestlohn für Hausangestellte liegt im Moment bei 200 Euro, also nur geringfügig niedriger. Hausangestellte zu sein ist wirklich kein schlechter Job!

Wird dieser hohe Mindestlohn denn auch gezahlt?
Früher waren die Arbeitsbedingungen für Dienstmädchen sehr schlecht, aber seit einigen Jahren gibt es in Brasilien ein Gesetz für Hausangestellte. Sie haben Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt, einen Monat bezahlten Urlaub und eine Krankenversicherung. In einem Arbeitsbuch halten sie Gehalt und Versicherung fest. Wenn nicht bezahlt wurde, kann die Angestellte mit dem Buch vor Gericht gehen und ihre Arbeitgeber verklagen. Deshalb zahlen wirklich fast alle Arbeitgeber diese Leistungen.

Viele Dienstmädchen sind Analphabeten, doch sie verdienen relativ gutes Geld. Ist ihnen die Ausbildung ihrer Kinder wichtig?
Sie legen hohen Wert darauf, dass ihre Kinder zur Schule gehen, obwohl die Unterrichtsqualität an den öffentlichen Schulen wirklich schlecht ist und den Schülern nicht unbedingt einen guten Job ermöglicht. Meine eigene Hausangestellte zum Beispiel hat nur zwei Jahre lang die Schule besucht und kann kaum lesen und schreiben. Ihr Sohn hat eine viel bessere Ausbildung: Er ist jetzt 15 Jahre alt und ist immer zur Schule gegangen. Trotzdem wird er wahrscheinlich weniger verdienen als sie.

Ist Ausbildung so wenig wert?
Nun, es gibt auch positive Beispiele: Eine Kursteilnehmerin von mir hat kürzlich die Aufnahmeprüfung zum Jurastudium bestanden und geht jetzt neben der Arbeit zur Universität. Sie möchte Rechtsanwältin werden und würde in dem Beruf sicher mehr verdienen. Ihre Arbeitgeberin unterstützt sie dabei.

Die Fragen stellte Eva-Maria Verfürth.

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