Personentransport

Mobilität neu denken

Der Bedarf an Mobilität in den Städten der Schwellen- und Entwicklungsländer wird immer größer. Während es in Ländern des globalen Nordens darum geht, den Autoverkehr zu minimieren und sauberer zu machen, stehen viele Länder des globalen Südens vor ganz anderen Problemen. Dort gibt es meist noch keinen massenhaften Autoverkehr, und es fehlt an einem guten öffentlichen Verkehrssystem. Experten diskutieren über zukunftsfähige und nachhaltige Lösungen.
Die Städte in Entwicklungs- und Schwellenländern brauchen neue Mobilitätslösungen: Verkehr in Neu-Delhi. sb Die Städte in Entwicklungs- und Schwellenländern brauchen neue Mobilitätslösungen: Verkehr in Neu-Delhi.

In den Industrieländern geht es darum, die Menschen weg vom Pendeln mit dem Auto zu bewegen und den öffentlichen Verkehr auszubauen und zu verbessern. Es wird viel über die Möglichkeiten von e-Mobilität, also emissionsfreien Autos oder Bussen mit Elektromotor, diskutiert. Eine weitere Ideen, um die Blechlawinen auf den Straßen einzudämmen, ist die gemeinschaftliche Nutzung von Autos, organisiert über Unternehmen wie Uber oder Zipcar.

Der globale Süden steht vor ganz anderen Herausforderungen, verdeutlicht Shreya Gadepalli vom Institute for Transportation and Development Policy (ITDP), einer globalen NGO, die weltweit an Design und Umsetzung von nachhaltigen Transportsystemen arbeitet. Die am meisten genutzten Transportmittel in Indien seien beispielsweise „die Füße oder das Fahrrad“. Und das nicht, weil die Inder so umweltbewusst sind, sondern weil es schlichtweg keine Alternative gibt. Ein öffentlicher Verkehr ist laut Gadepalli in Indien noch kaum vorhanden: Nur zwei Prozent der Fahrten würden mit der Metro, neun Prozent mit der Bahn und 18 Prozent mit Bussen getätigt. Alles sonst laufe über informelle Wege wie private Minibusse oder Rikschas.

Gadepalli spricht sich vehement dagegen aus, den Autoverkehr auszubauen. Es sei ein umweltschädliches und nicht nachhaltiges Fortbewegungsmittel und eine Form von Konsum. „Wir müssen Straßen zum Gehen bauen.“ Ihrer Meinung nach müssen kluge Verkehrskonzepte erstellt werden, die sich hauptsächlich auf ein umfangreiches Busnetz stützen. Der Busverkehr muss subventioniert werden, forderte sie auf dem Development Finance Forum (DFF), das die KfW Entwicklungsbank Ende Dezember in Frankfurt organisierte.

ITDP hat schon einiges erreicht, erklärt Gadepalli. Sie beriet beispielsweise die indischen Städte Pune und Chennai. Dort gab es vor zehn Jahren überhaupt keine Gehwege. ITDP machte deutlich, dass Gehwege die Sicherheit auf den Straßen verbessern, und jetzt seien bereits 100 Kilometer Gehwege vorhanden.

Matthew Baldwin, Mobilitätsexperte der Europäischen Kommission, warnt, dass in Schwellen- und Entwicklungsländern die Gefahr bestehe, dass es eine Entwicklung wie im globalen Norden geben könne: „Früher, als wir arm waren, sind wir zu Fuß gegangen oder Rad gefahren. Als wir reicher wurden, haben wir uns alle Autos gekauft.“ Jetzt sei die Frage, wie man wieder von den Autos wegkomme und in Schwellen- und Entwicklungsländern erst gar nicht darauf setze.

Gadepalli hat darauf vor allem eine Antwort: das Autofahren teuer machen und den Busverkehr billig, am besten kostenlos. Am Ende sei immer das Geld entscheidend.

Der US-Thinktank World Resources Institute (WRI) arbeitet an Konzepten, wie Städte und Mobilität in allen Weltregionen in Zukunft aussehen sollten. Aniruddha Dasgupta vom WRI ist überzeugt davon, dass eine Mobilitätswende vonnöten ist, damit die Städte lebenswert bleiben.

Er stellte seine Thesen beim DFF in Frankfurt vor:

  • Nicht nur an Mobilität, sondern auch an Erreichbarkeit und Anschluss denken. Die Verkehrsplanung muss „inklusiv“ sein, das heißt, alle Verkehrsteilnehmer sollten mit allen Transportmitteln Anschluss bekommen. Das beinhaltet zum Beispiel, dass zu Bus- und Bahnstationen Fuß- und Radwege führen und Park-and-Ride-Plätze vorhanden sind. An Bahn- und Busstationen sollte es Anschlussverbindungen geben.
  • Der Massentransport darf nicht vergessen werden. Strecken, die viele Menschen fahren, sollten mit Stadtbahnen ausgestattet werden. Dabei spielt die Finanzierung natürlich eine entscheidende Rolle, betont Dasgupta. Diese Aufgabe müssen Staat, Entwicklungsbanken und Privatunternehmen gemeinsam übernehmen (siehe Kasten). Ein Beispiel ist der Metrobau im indischen Nagpur, den die KfW mit einem Förderkredit unterstützt (siehe Tribüne in E+Z/D+C e-Paper 2019/01).
  • Daten sind die Zukunft und müssen als Infrastruktur betrachtet werden. Anhand von Daten können Mobilitätsbedarf und -ströme erkannt, organisiert und optimiert werden. Dasgupta kritisiert, dass die meisten Daten wie zum Beispiel Google Maps in Händen von Privatunternehmen sind, und plädiert dafür, dass diese Daten in die öffentliche Hand gelangen. Ein Beispiel, wie Daten zur Verbesserung genutzt werden können, bietet WhereIsMyTransport. Das US-Unternehmen erfasst in afrikanischen und lateinamerikanischen Städten Routen, Zeitpläne und Art der informellen Transportmittel. Diese Daten werden von Organisationen wie der Weltbank, der GIZ, KfW oder Kommunen angefordert. Ein Ziel ist etwa, informelle Busunternehmer dabei zu unterstützen, ein formales Unternehmen zu gründen.

Dasgupta plädiert für Kreativität bei einer sich ändernden Nachfrage und sieht die Aussichten für eine neue Mobilität positiv: „Ein technologischer Wandel ist möglich – auch in sehr kurzer Zeit.“

Relevante Artikel

Gendergerechtigkeit

Um Gleichberechtigung der Geschlechter zu erreichen, gilt es, Frauen und Mädchen zu stärken.