Radikalisierung verhindern

Integration als Schutz vor Extremismus

Der islamistische Terror der ISIS in Syrien und im Irak sind eine ferne Bedrohung für die meisten Deutschen – allerdings rekrutieren islamistische Fundamentalisten zunehmend Kämpfer aus Europa. Experten sind sich einig, dass die Radikalisierung junger Leute verhindert werden muss.
Der Islam ist ein Teil von Deutschland: Moschee und Fernsehturm in Köln. Allgöwer/picture-alliance/dpa Der Islam ist ein Teil von Deutschland: Moschee und Fernsehturm in Köln.

Düzen Tekkal ist eine deutsche Journalistin und gläubige Jesidin. Sie betont, dass heutzutage viele islamistische Terroristen europäische Staatsbürger sind. Extremistische Gruppierungen rekrutieren junge Muslime, die auf Propagandamaterialien und Videos im Internet reagieren und sich angesprochen fühlen. Zudem wirkt die Propaganda auch auf nicht-Muslime ansprechend, die schließlich konvertieren und sich radikalisieren.

Hunderte deutsche Staatsbürger ziehen jährlich in den sogenannten Heiligen Krieg nach Syrien oder in den Irak, um sich ISIS anzuschließen. Laut Bundeskriminalamt (BKA) hat sich die Zahl der Deutschen, die in den Dschihad ziehen seit Beginn dieses Jahres mehr als verdoppelt.

Muslime in Deutschland erfahren Diskriminierung und haben kaum Perspektiven. Diese Erfahrungen machen junge Muslime empfänglich für extremistische Hetzen. Tekkal begleitete ein Jahr lang Jugendliche aus Migrantenfamilien in Bonn. Sie sagt, dass Stigmatisierung diese jungen Menschen für radikales Gedankengut anfällig macht.

Deutsche, die aus Kampfgebieten des Nahen Ostens zurückkehren, sind traumatisiert. Im schlimmsten Fall sind sie noch radikalisierter als vor ihrer Abreise. Sicherheitsexperten warnen vor künftigen Terroranschlägen in Deutschland.

Die Journalistin Tekkal findet, es sei die Aufgabe des Staates, die Integration von Migranten zu fördern, da sonst die Demokratie im Land  gefährdet sei. Tekkal sieht aber auch die Muslime in der Pflicht und fordert, dass sie sich weltweit von der radikalen Ideologie der ISIS und verwandter Gruppierungen distanzieren sollen: „Wir müssen uns erheben und zeigen, dass wir nichts damit zu tun haben wollen!“


Religiöse Bildung

Necla Kelek, eine Soziologin, fordert ebenfalls, dass vor allem die deutschen Islamverbände sich von religiösem Fanatismus distanzieren müssen. Die Glaubensgemeinschaften dürften Gewalttaten im Namen des Islam nicht leugnen und sollten den friedlichen Umgang mit dem Glauben fördern. Kontroverse Suren im Koran müssten schon früh im Koranunterricht hinterfragt und bewertet werden, damit junge Muslime ein fundiertes Verständnis über die Religion bekämen. „Wo kann ein friedlicher Islam gelehrt werden, wenn nicht in der Religionsgemeinschaft selbst?“ fragt die Soziologin.

Der Islam sei eine Rechtsreligion, mit der Scharia als eigenem im Koran formulierten Recht. Dieses müsse aber klar vom Glauben getrennt werden, findet Kelek. Und die Scharia dürfe das deutsche Recht nicht in Frage stellen. „Wir wollen den Glauben in unserem Herzen leben“, sagt sie. Sie plädiert dafür, die Gründe für die zunehmende Radikalisierung junger Gläubiger zu erforschen, so dass präventiv dagegen angegangen werden kann. Der Einfluss fundamentalistischer Gruppen müsste unterbunden und Salafisten sollten verboten werden, fordert Kelek.

Der Imam Husamuddin Meyer meint, dass die Religion selbst nicht den Radikalismus verursache.  Vielmehr werde sie von Extremisten instrumentalisiert. Er hält regelmäßig Freitagspredigten in verschiedenen deutschen Gefängnissen und betreut täglich muslimische Gefangene in der Justizvollzugsanstalt Wiesbaden. Die meisten muslimischen Häftlinge hätten eine sehr dürftige Islambildung, sagt der Gefangenenseelsorger. Der Geistliche betont, dass Attentäter den Islam als Rechtfertigung für ihre Taten missbrauchten und den Glauben gar nicht überzeugt lebten. Daher sei sein Bestreben in der Betreuung von Häftlingen „ideologische Missverständnisse aufzuklären“.

Die jungen Männer in Gefängnissen seien dankbar, mit dem Imam über ihren Glauben sprechen zu können, sagt Meyer. Ein kompetenter Ansprechpartner sei für die Insassen notwendig, um über das Halbwissen aus Propagandavideos zu diskutieren, betont der Imam. Aufgrund einer inneren Unruhe der Häftlinge, die von Hass und Minderwertigkeitsgefühlen herrühre, identifizieren sie sich leicht mit extremistischen Ideologien. Insassen, die in einem Gefängnis ohne muslimischen Seelsorger lebten, verträten auffallend radikale Ansichten, berichtet Meyer.

Die Prävention einer Radikalisierung von Häftlingen in Gefängnissen sieht auch der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, als notwendig an. Nur durch eine zunehmende Betreuung der muslimischen Gefangenen könnten Radikalisierungsprozesse früh erkannt und verhindert werden. Bei einer Diskussionsveranstaltung, die die Konrad-Adenauer-Stiftung Ende Mai in der Nähe von Mainz veranstaltete, räumte Münch ein, es sei schwer, die Rekrutierung junger Leute über soziale Netzwerke und das Internet zu verhindern. Über das Internet erreichten extremistische Gruppen jeden und überall. Verherrlichung des Märtyrertums und Bilder, die Actionfilmen ähneln, wirkten für viele junge Menschen ansprechend.

Auch BKA-Präsident Münch bestätigt, dass die Zahl rekrutierter ISIS-Kämpfer zunimmt. Laut Daten  seiner Behörde sind  seit 2013 etwa 680 Deutsche in den Heiligen Krieg nach Syrien und in den Irak gereist. Diesem Trend müsse Einhalt geboten werden, fordert Münch. Die Ausreise könne zum Beispiel von den Behörden blockiert werden. Weitere Präventivmaßnahmen seien Informationsveranstaltungen und öffentliche Diskussionen über extremistische Ideologien und Terrorpropaganda.

Extremismusexperten sind sich einig, dass die Radikalisierung junger Leute vermeidbar ist. In Deutschland gilt es, den Islam als Teil der Gesellschaft zu akzeptieren, wie es Bundeskanzlerin Angela Merkel und der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff gefordert haben.

Der Islam darf nicht als eine Religion von Terror und Gewalt missinterpretiert werden. Diese Position  vertritt auch die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), die sich gezielt mit dem Thema Islam und Demokratie auseinandersetzt. Neben der Organisation von Veranstaltung, wie der in der Nähe von Mainz initiierte die KAS kürzlich die Gründung des „Muslimischen Forums Deutschland“. Das Forum setzt sich für ein friedliches Zusammenleben zwischen Muslimen und nicht-Muslimen in Deutschland ein. Ziel ist es, einen „friedlichen und demokratischen Islam in Deutschland“ zu fördern.

In dem Zusammenschluss sind verschiedene muslimische und christliche Glaubensgemeinschaften vertreten. Laut Gründungserklärung gibt das Forum Muslimen, die sich von deutschen Islamverbänden nicht richtig repräsentiert fühlen, die Möglichkeit, ihre Ansichten zu vertreten.

Rebecca Renz


Link:
Gründungserklärung des Muslimischen Forums Deutschland:
http://www.kas.de/wf/de/33.41089/

 

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