Fachliteratur

An die nächste Generation denken

Studien aus aller Welt betonen, wie wichtig es ist, junge Menschen besser auf dem Weg ins Erwachsenenleben zu begleiten. Investitionen in die Jugend sind nachweislich zentral für ökonomisches Wachstum und soziales Wohlbefinden. Die Politik sollte ihr Handeln an den empirischen Befunden ausrichten.


[ Von Kevin Hempel ]

Die Rolle Jugendlicher für Entwicklung wird international hitzig debattiert. Manche Beobachter sehen vor allem die Gefahren – und korrelieren zum Beispiel die Anzahl der Jugendlichen in einer Gesellschaft mit der Wahrscheinlichkeit eines gewaltsamen Konflikts. Andere erkennen in den jungen Menschen eine Chance für den Entwicklungsprozess. Eine differenziertere Sicht ist nötig, um diesem vielschichtigen Thema gerecht zu werden (Abbink und van Kessel, 2005, Honwana und de Boeck, 2005).

Jugendliche sind unbedingt als eigenständige soziale und demografische Gruppe zu betrachten. Der von Cynthia B. Lloyd herausgegebene „Growing up Global”-Report von 2005 unterstreicht, dass „die Herausforderungen für junge Menschen beim Erwachsenwerden heute größer sind als je zuvor“. In einer Welt, die sich demografisch, technologisch, wirtschaftlich und kulturell rapide wandelt, werden Länder, Gemeinschaften und Individuen zunehmend miteinander verknüpft.

Auf Heranwachsende hat das erheblichen Einfluss, wie Lloyds Bericht zeigt: Der zeitliche Abstand zwischen Kindheit und Übernahme der Erwachsenenrolle vergrößert sich in vielen Ländern. Zugleich werden althergebrachte Erwartungen, was Beschäftigung oder Lebenserfahrung betrifft, hinfällig. Verglichen mit älteren Generationen kommt die heutige Jugend früher und gesünder in die Pubertät. Junge Menschen gehen auch mit hoher Wahrscheinlichkeit länger zur Schule – und zögern nicht nur den Eintritt ins Arbeitsleben, sondern auch das Heiraten und Kinderkriegen hinaus.

Natürlich sind die Umstände in den verschiedenen Weltregionen sehr unterschiedlich – wie auch die Auswirkungen der Globalisierung auf junge Menschen. Eine aktuelle Studie des British Council (2009) etwa sagt Pakistan ein „demografisches Desaster” voraus, wenn das Land sich nicht um die Belange seiner Jugend kümmert.

In Lateinamerika und der Karibik besteht Experten zufolge bei mehr als der Hälfte der jungen Menschen die Gefahr, sich negativ zu entwickeln (Cunningham et al., 2008a). Im Nahen Osten sehen Fachleute den Sozialvertrag gefährdet, da immer mehr junge Arbeiter ohne sicheren Job oder staatliche Hilfen auskommen müssen. Navtej Dhillon und Tarik Yousef (2009) schreiben, dass diese Region kaum in der Lage sein dürfte, jungen Menschen ökonomische und soziale Chancen zu verschaffen, „die ihrer Bildung und ihren Erwartungen entsprechen”.

Mädchen sind wichtig – Jungs aber auch

Dass Mädchen und Frauen eine bedeutende Rolle für Entwicklung spielen, weiß man seit den 70er Jahren. Das Washingtoner Zentrum für globale Entwicklung (Levine, 2008) empfiehlt überzeugend, in Mädchen zu investieren, indem:
– man zeigt, dass ihre Rolle in der Gesellschaft für die wirtschaftliche und soziale Entwick­lung entscheidend ist,
– man die Mängel bei der Befriedigung ihrer Bedürfnisse feststellt und
– man eine Agenda für mehr Investition und Chancengleichheit definiert.

Das Schicksal von Jungen hingegen interessierte in den letzten Jahrzehnten kaum; erst jetzt beginnt sich das wieder zu ändern. Eine Weltbank-Veröffentlichung von Bannon und Correia von 2006 hebt diese Seite der Gender-Debatte hervor. Sie verdeutlicht, dass Konzepte von Männlichkeit den Entwick­lungsprozess beeinflussen. Die Hauptaus­sage war aber nicht, nun alle Aufmerksamkeit von Mädchen und Frauen auf Jungen und Männer zu verlagern, sondern beide Geschlechter entsprechend ihrer besonderen Rolle und ihren besonderen Bedürfnissen zu berücksichtigen.

Kein förderliches Umfeld

Der Welt-Jugend-Bericht der UN von 2007 zeigt eine regionale Übersicht über Probleme und Chancen der weltweit rund 1,2 Milliarden 15- bis 24-Jährigen. Die frappierendste Aussage ist, dass das Umfeld für Jugendliche überall auf der Welt ähnlich schwierig ist: „Ungenügende Investitionen in Bildung, hohe private Kosten für gute Erziehung und Gesundheitsversorgung sowie schrumpfende Arbeitsmärkte – wo die Jugendlichen oft seltener als andere angeheuert, aber schneller gefeuert werden –, all das sind enorme Hürden für junge Menschen, sinnvoll zur Entwicklung ihrer Gemeinschaft beizutragen.”

Auch der World Development Report der Weltbank (WDR) von 2007 behandelt dieses Thema. Er unterteilt die Probleme des Erwachsenwerdens in verschiedene Entwick­lungsabschnitte und fordert, damit entsprechend umzugehen, und zwar unter Berück­sichtigung folgender Bereiche:
– Lernen für Leben und Arbeit,
– Arbeitstätigkeit,
– Gesundes Aufwachsen,
– Familiengründung sowie
– Leben als Bürger.

Der Bericht betont, wie wichtig es ist, jungen Menschen zu ermöglichen, ihre Fähigkeiten zu entwickeln, ihre Entscheidungsfähigkeit zu stärken und denjenigen eine zweite Chance zu geben, die auf dem ersten Weg gescheitert sind.

Interessanterweise gesteht der WDR ein, dass aufgrund schlechter Koordination der verschiedenen Politikfelder und eines geringen Verantwortlichkeitsgefühls der Regierungen den Jugendlichen gegenüber die Jugend-Politik vieler Länder in der Vergangenheit oft nur bescheidenen Erfolg hatte. Entsprechend fordert der Bericht eine sektorübergreifende Politik, welche die Bedürfnisse junger Menschen berücksichtigt.

Vor allem bedarf es mehr Forschung. Es ist immer noch zu wenig darüber bekannt, wie Jugendpolitik funktioniert. Glücklicherweise sind aber Fortschritte zu erkennen: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlichte 2006 einen überzeugenden Bericht über HIV/Aids-Prävention, und die GTZ brachte 2009 ebenfalls eine solide Studie zum Vorgehen gegen Gewaltverhalten in Lateinamerika heraus.

Als Risikofaktoren für Jugendliche gelten Arbeitslosigkeit, vorzeitiges Verlassen der Schule, gefährliches Sexualverhalten, Kriminalität, Gewalt und Drogenmissbrauch. Laut Wendy Cunningham et al. (2008b) waren in diesem Zusammenhang weltweit 22 Politiken wirksam. Die Autoren nennen sechs Kernbereiche, die benachteiligte Kinder und Jugendliche nachweislich vor riskantem Verhalten schützen können. Wichtig sind folgende Punkte:
– ein Fokus auf die ersten fünf Lebensjahre,
– der Abschluss der Sekundarschule,
– Information über Risiko-Prävention in der Schule,
– Angebote zu reproduktiver Gesundheit, wel­che die speziellen Bedürfnisse junger Menschen berücksichtigen,
– Aufklärung für junge Menschen in den Massenmedien und
– Förderung von gutem Elternverhalten.
Die Autoren betonen, dass viele der üblichen „get-tough”- oder „abstinence-only”-Ansätze nicht nur oft versagen, sondern Risikoverhalten sogar provozieren können. Die Autoren schlagen daher vor, die knappen öffentlichen Mittel umzuverteilen. Es ist nicht sinnvoll, dysfunktionale Programme zu finanzieren, statt Geld für wirksame Politik zu verwenden.

Die jüngste Literatur lässt keinen Zweifel an der Dringlichkeit, Jugendliche zu fördern. Es ist offensichtlich, dass Länder, die in ihre Ju­gend investieren, davon profitieren: Es gibt dort mehr Wachstum und bessere Voraussetzungen für kommende Generationen. Re­gie­rungen und Geber sollten das ernst nehmen.

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