Sozialversicherung

Krankenversicherung für alle

Wenn die internationale Staatengemeinschaft ernsthaft Ungleichheit angehen will, darf sie das Gesundheitswesen nicht Marktkräften überlassen. Solidarische Finanzierung ist notwendig. Wie eine Sozialversicherung in einem armen Land funktionieren kann, zeigt in Bangladesch die zivilgesellschaftliche Organisation Gonoshasthaya Kendra (GK).
Routineuntersuchung einer schwangeren Frau in einem Dorf im Umland von Dhaka. dem Routineuntersuchung einer schwangeren Frau in einem Dorf im Umland von Dhaka.

Bei GK wissen wir, wie eine umfassende Krankenversicherung für Textilarbeiterinnen möglich wäre. In Zusammenarbeit mit der niederländischen Botschaft und medico international haben wir Pilotprojekte in Fabriken durchgeführt. Pro Person würde ein jährlicher Beitrag von 1200 Taka (etwa 14 Euro) reichen. Wir finden, Arbeitgeber und Belegschaftsmitglieder sollten davon je ein Viertel und die internationalen Auftraggeber die Hälfte zahlen.

Für individuelle Gesundheitsdienstleistungen müssten die Arbeitnehmer dann weitere kleine Beiträge zahlen. Unsere Erfahrung lehrt, dass nicht wertgeschätzt wird, was nichts kostet. Selbstverständlich müssen die Preise aber erschwinglich sein, damit niemand ausgegrenzt wird.

Die Pilotprojekte haben uns einiges gelehrt. Wir wissen nun, dass wir Krankengymnastik vorsehen müssen, weil Textilarbeiterinnen oft Nacken-, Schulter- und Rückenschmerzen kriegen. 

GK arbeitet seit über 40 Jahren in Bangladesch. Wir haben eine Sozialversicherung eingerichtet und gewährleisten auf Dauer die Gesundheitsversorgung von 1,1 bis 1,2 Millionen Menschen. Wir berechnen die Beiträge nicht nach den individuellen Risiken, wie das eine private Krankenversicherung täte, sondern richten uns nach dem Einkommen. Unser Tarifsystem hat sechs Kategorien: sehr Arme, Arme, untere Mittelschicht, Mittelschicht, obere Mittelschicht und Reiche. Haushalte, die zur selben Kategorie gehören, zahlen dieselben Beiträge. Im Gegenzug bekommen alle Angehörigen bei Bedarf erschwingliche Gesundheitsversorgung. Sehr arme und arme Familien müssen für einen Kaiserschnitt zum Beispiel 3000 Taka zahlen – reiche Familien dagegen 10 000 Taka. 

GK will beweisen, dass kostengünstige Gesundheitsversorgung für alle möglich ist. Auf dieser Grundlage soll dann der Staat eine gesetzliche Krankenversicherung für die gesamte Nation schaffen.

Alle wohlhabenden Nationen haben solch eine soziale Krankenversicherung in irgendeiner Variante. Das Vorbild war die Sozialversicherung, die Otto von Bismarck in Deutschland im späten 19.  Jahrhundert schuf. Sie diente ihm dazu, den Sozialismus zu bekämpfen – aber sein Verbot der Sozialdemokraten hielt nicht lange. Die Krankenversicherung funktioniert aber bis heute und wird mit Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen finanziert.

Solche Strukturen ermöglichen Gesundheitsversorgung für alle. Unregulierte Marktdynamik schafft dagegen Versicherungsschutz nur für Bessergestellte. Entwicklungsländer brauchen aber universelle Versorgung für alle, denn Krankheiten und Unfälle stürzen allzu viele Familien in die Armut.

Als armes Land kann Bangladesch nicht so viele Ärzte beschäftigen wie das reiche Deutschland. Deshalb stützt sich GK auf ausgebildete Fachkräfte (Paramedics), die sich in den Dörfern um Patienten kümmern. Wenn Komplikationen sie überfordern, wenden sie sich an Ärzte in unseren dezentralen Gesundheitszentren. In Notfällen überweisen diese schwierige Fälle dann an unsere oder staatliche Krankenhäuser. 

Das GK-System funktioniert gut. Wir sind kurz davor, für unsere Versicherten das Nachhaltigkeits-Entwicklungsziel zur Reduktion von Müttersterblichkeit zu erreichen, das die UN für 2030 beschlossen haben. Wir sind stolz darauf, dass für Bangladesch das entsprechende Millenniums-Entwicklungsziel in Reichweite ist. Unsere Arbeit hat den Weg dorthin geebnet. Nun beweisen wir, dass wir die Müttersterblichkeit noch weiter senken können. 

Wenn die internationale Staaten­gemeinschaft es mit der Bekämpfung von Ungleichheit ernst meint, sind soziale ­Krankenversicherungen unabdinglich. Ohne solidarische Finanzierung ist Gesundheitsversorgung nicht für alle möglich. Daraus ergeben sich Aufgaben für die Gesetzgeber.


Rezaul Haque ist Arzt und arbeitet im Management von Gonoshasthaya Kendra, einer zivilgesellschaftlichen Organisation in Bangladesh.
rezaulgk50@gmail.com

 

Korrektur: Wegen eines redkationellen Fehlers stand in einer früheren Version dieses Beitrags, Bangladesh habe das MDG zu Müttersterblichkeit erreicht. Das stimmt leider nicht. Das Land hat die Müttersterblichkeit von 1990 bis 2015 um fast zwei Drittel reduziert. Das MDG war eine Reduktion on drei Viertel. Wir bitten um Entschuldigung.

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