Humanitäre Logistik

Bessere Hilfseinsätze

Der Erfolg einer humanitären Intervention hängt maßgeblich davon ab, ob benötigte Güter schnell genug in die betroffenen Gebiete transportiert werden können – ein klassisches Aufgabengebiet der Logistik. Effizienz ist dabei auch finanziell von großer Bedeutung: Bis zu 80 Prozent der Kosten eines Hilfseinsatzes werden für Logistik verwendet. Von Helmut Baumgarten und Hendrik Blome
Afrikas Straßen sind schlecht ausgebaut: Lastwagen in Tansania 2010. TU Berlin Afrikas Straßen sind schlecht ausgebaut: Lastwagen in Tansania 2010.

Die humanitäre Logistik umfasst „alle Prozesse, die mit der Planung, Durchführung und Kontrolle der Versorgung mit Hilfsgütern, -mitteln und -personal verbunden sind“ (Baumgarten et al. 2010). Dazu gehört, Nahrungsmittel, Wasser, Sanitäranlagen und provisorische Unterkünfte bereitzustellen sowie nötige Informations- und Finanzströme zu gewährleisten.

Es macht einen bedeutenden Unterschied, ob Logistik akute humanitäre Notlagen oder permanente Katastrophen lindern soll. Bei der akuten Nothilfe geht es vor allem darum, Hilfe schnell in das betroffene Gebiet zu bringen. Außerdem muss die Versorgung flexibel gehandhabt werden. Davon hängt der Erfolg des Einsatzes wesentlich ab. Kostenreduzierung spielt eine nachgeordnete Rolle, so dass auch teure Einsätze wie der Abwurf von Hilfsgütern per Flugzeug durchgeführt werden.

Bei längerfristigen Hilfseinsätzen verschieben sich diese Prioritäten. Schnelligkeit ist weiterhin von Bedeutung, aber auch die Zuverlässigkeit der Lieferanten, die Liefergenauigkeit und die Sicherung der Versorgungskette sind von zunehmender Relevanz. Auch das Thema Kos­teneffizienz spielt bei permanenten Hilfs­einsätzen eine wesentliche Rolle, da mit dem eingesparten Geld mehr in anderen Bereichen ausgegeben werden kann. Die langsam einsetzenden, permanenten Katastrophen wie Hunger und Armut erfahren weit weniger Aufmerksamkeit als plötzliche Katastrophen. Hauptaufgabe der Helfer ist es, die Hilfsgüter rechtzeitig und in ausreichenden Mengen zu beschaffen und zu verteilen. Es sind abgestimmte Programme der Hilfs- und Regierungs­organisationen erforderlich, eine adäquate Infrastruktur, sowie Lager, Umschlag- und Transportknoten, einschließlich funktionierender Kühlketten.

Eine Forschergruppe der Technischen Universität (TU) Berlin arbeitet daran, wie man die Logistik für die längerfristige Versorgung von Hungerregionen in Afrika verbessern kann.


Fehlende ­Infrastruktur

Insbesondere in Subsahara-Afrika scheitert die Logistik an einer fehlenden Infrastruktur. Afrika ist mit Straßen wesentlich schlechter erschlossen als wirtschaftlich vergleichbare Weltregionen in Südostasien oder Lateinamerika (Foster et al. 2009). In einigen Ländern Zentralafrikas leben 80 Prozent der Bevölkerung mehrere Kilometer von einer ganzjährig befahrbaren Straße entfernt.

Eisenbahnverbindungen sind im Regelfall Punkt-zu-Punkt-Verbindungen von der Küste ins Hinterland; größere, grenz­überschreitende Eisenbahnnetze gibt es nur sehr vereinzelt. Die für den Transport von Nahrungsmitteln und Medikamenten wichtigen Kühlketten können auf dem Kontinent nicht gewährleistet werden und es gibt keine ausreichende Stromversorgung. Insbesondere die Bevölkerung in ländlichen Gebieten ist auf der „letzten Meile“ für Transporte von Hilfsgütern nur schwer erreichbar.


Neben den infrastrukturellen Herausforderungen erfahren die Logistiker auch regulatorische Hürden. So ist bereits der Zugang in Einsatzländer nicht immer klar geregelt. Größere Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz oder das UN-Welternährungsprogramm (WFP) haben in vielen Ländern Sonderzugangsrechte. Kleinere Organisationen genießen diese Vorteile jedoch häufig nicht und müssen in der Folge oftmals zunächst mit Touristenvisa einreisen, deren Verlängerung mitunter problematisch ist.

Ebenso gibt es Einfuhrbarrieren und Zollauflagen beim Import von Hilfsgütern. Zudem kommt es auch zu verzögerten Annahmen von Hilfsgütern aus Nationalstolz oder politischen Überzeugungen. Auch bestehende Beschaffungs- und Transport­bedingungen, Tied Aid, erschwert die Hilfsgüterlogistik. So muss Nahrungsmittelhilfe der USA größtenteils im eigenen Land beschafft werden, und primär von amerikanischen Transportdienstleitern in die Region des Hilfseinsatzes transportiert werden. Dies führt sehr oft zu längeren Beschaffungszeiten und – je nach Lage des Katastrophengebietes – zu einer Missallokation von Ressourcen.


Fehlendes Wissen

Eine unzureichende Aus- und Weiterbildung in der Logistik ist ein weiterer, wesentlicher Grund für die Versorgungsprobleme in Subsahara-Afrika. Nur an etwa 60 Institutionen in 23 von 49 Ländern Subsahara-Afrikas gibt es überhaupt ein Studienangebot mit logistischen Inhalten – zum Vergleich: bereits 2008 gab es ein akademisches Lehrangebot in Logistik an mehr als 100 Einrichtungen allein in Deutschland.

Historisch bedingt ist die Wahrnehmung von Logistik als mögliches Studienfach in Afrika nur sehr schwach ausgeprägt. Ein systematischer Aufbau von Wissen im Transportsektor fand in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit zahlreicher Länder Afrikas in den 1960er Jahren nicht statt. Die Folgen sind bis heute in allen Bereichen der Logistik zu spüren. Es fehlt an qualifiziertem Lehrpersonal und erfahrenen Logistikexperten aus der Praxis, die ihre Erfahrungen an Studierende weitergeben können.

Folglich kommt es in der Logistik- und Transportbranche zu Fehlinvestitionen und Fehleinschätzungen. Das bedeutet zum Beispiel schlechtes Management von Fuhrparks oder ineffiziente Tourenplanung. Fehlende Fach- und Fremdsprachenkenntnisse erschweren zudem das Lesen von Bedienungsanleitungen und führen zu falscher Handhabung und erhöhtem Wartungsaufwand. Es ist schwer, neue Lehrprogramme zu erstellen, denn es sind nicht genug Lehrräume und -materialien vorhanden. Die einzelnen Ausbildungsinstitutionen kooperieren kaum miteinander und sie sind nicht vernetzt. Dies gilt auch für kommerzielle Logistikunternehmen, für die es keine Plattform gibt, auf der Entscheidungsträger aktuelle Entwicklungen diskutieren können. Da es keinen Kontakt zwischen Hochschulen und Praktikern gibt, werden die Bedürfnisse der Praxis in der Ausbildung nicht berücksichtigt.

Eine Verbesserung der Ausbildungs­situation in der Logistik würde die Leis­tungsfähigkeit afrikanischer Versorgungs­systeme mittel- und langfristig erhöhen und dem Ziel der Hilfe zur Selbsthilfe einen wesentlichen Schritt näher bringen. Ein verstärkter Wissens- und Technologietransfer aus dem kommerziellen Sektor wäre hilfreich. Von besser ausgebildetem Fachpersonal würden auch die Hilfsorganisationen profitieren.


Ein weiterer Stellhebel für die Verbesserung der Logistik in Afrika wäre beispielsweise auch ein verstärkter Wissens- und Technologietransfer aus dem kommerziellen Sektor. Die humanitäre Hilfe könnte durch Erfahrungen, Expertise und Technologie aus dem kommerziellen Bereich effizienter und effektiver gestaltet werden.

In einem Projekt untersuchten die Wissenschaftler der TU Berlin dazu 57 nationale und internationale Logistikdienstleister, Spediteure und Reedereien. Dreißig davon engagieren sich im humanitären Bereich, 16 befinden sich in einer Partnerschaft mit einer humanitären Organisation. Zweiundzwanzig Organisationen sind nur im akuten Katastrophenfall aktiv, vor allem indem sie Hilfsgüter kostenlos oder vergünstigt in die betroffenen Regionen transportieren. Nur vereinzelt engagieren sich Logis­tikunternehmen längerfristig in permanenten Krisenregionen. Dieses grundsätzlich positive Engagement vieler Logistikunternehmen zu fördern und zu verbessern ist eines der Ziele der Berliner Forscher. Denn es wird gebraucht. Nur wenige große Hilfsorganisationen sind in der Lage, selbst Personal für die Planung und Durchführung logistischer Strukturen und Abläufe vorzuhalten.

Für die Hilfsorganisationen ist viel zu gewinnen, insbesondere, wenn sie kommerzielle Unternehmen nicht nur als zusätzliche Geldquelle verstehen, sondern als Partner, von dem sie lernen können. Strategien und Konzepte der kommerziellen Logistik können zwar nicht direkt auf die Situation der humanitären Logistik übertragen werden. Doch es gibt viel Wissen, von dem Hilfsorganisationen profitieren können.

Dies kann umgesetzt werden, indem kommerzielle Logistikkonzepte sowie Transport- und Kommunikationsprogramme an die Anforderungen des humanitären Bereichs angepasst werden. Es gilt außerdem eine interdisziplinäre, logis­tische Aus- und Weiterbildung im sekundären und tertiären Bereich voranzutreiben sowie die Akteure zu vernetzen. Letzteres wird in Deutschland durch ein Netzwerk aus Wissenschaft, Hilfsorganisationen und Unternehmen sowie durch einen Arbeitskreis der Bundesvereinigung Logistik unterstützt.

Die Wissenschaftler der TU Berlin haben in Bezug auf die genannten Probleme verschiedene Lösungsoptionen entwickelt. Sie arbeiten beispielsweise – gemeinsam mit afrikanischen Universitäten und weiteren Ausbildungseinrichtungen – an der Erstellung von Curricula für angepasstes Wissen. Außerdem untersuchen die Berliner, wie afrikanische Staaten ihre Infrastruktur verbessern können und wie internationale Logistikunternehmen ihr Wissen dabei einbringen können. Wichtig ist für alle neuen Vorschläge und Maßnahmen, dass sie traditionelle Versorgungsstrukturen nicht verdrängen, das bedeutet, sie dürfen den Anreiz der lokalen Bevölkerung zur Selbstversorgung nicht zerstören.

 

Helmut Baumgarten ist Gründer des Bereichs Logistik der Technischen Universität (TU) Berlin und leitet das Forschungsprojekt „Humanitäre Logistik“. baumgarten@logistik.tu-berlin.de

Hendrik Blome forscht zum gleichen Thema an der TU Berlin. blome@logistik.tu-berlin.de

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