Interview

„Das war Hilfe zur Selbsthilfe“

Bacharuddin Jusuf Habibie moderierte als Präsident Indonesiens von Mai 1998 an die Demokratisierung seines Landes. Sein Vor­gänger Suharto, der das Land seit 1965 autoritär regiert hatte, war angesichts einer breiten Protestbewegung zurückgetreten. Im Gespräch erläuterte Habibie nun Hans Dembowski seine Erfahrungen, die sich für arabische Länder wie Ägypten als wertvoll erweisen könnten.


Interview mit Bacharuddin Jusuf Habibie

Stehen Sie heute in Kontakt mit arabischen Regierungen?
Ja, im Juni war ich Gast einer Konferenz in Kairo, die das UNDP mit der ägyptischen Regierung organisiert hatte. Die Veranstaltung wurde auch im Internet übertragen. Nachher zeigte die Auswertung der Daten aus den sozialen Netzwerken, dass mein Beitrag mit 85 Prozent das meiste Echo ausgelöst hat.

Was raten Sie den Ägyptern?
Ich rate ihnen, nicht den schnellen revolutionären Weg zu gehen. Die wichtigen Entscheidungen müssen im Parlament fallen, nicht auf der Straße. Dafür ist Zeit nötig. Es gibt neue, junge Kräfte im Land, und die müssen sich erst einmal organisieren. Ägypten braucht jetzt eine Führungspersönlichkeit für den Übergang, von der klar ist, dass sie sich nicht auf Dauer an die Macht klammert, sondern den Boden für etwas Neues bereitet.

War Ihnen denn vor 13 Jahren in Indonesien klar, dass Sie ein Präsident des Übergangs sein würden?
Man muss realistisch sein. Ich war zwei Jahrzehnte lang Regierungsmitglied gewesen. Ich stand selbst zwar nicht im Zentrum der Kritik, aber Suharto, der Präsident, unter dem ich Minister und später Vizepräsident war, musste zurücktreten – und laut Verfassung war ich als Vizepräsident sein Nachfolger. Ich habe sofort gehandelt und Presse- und Versammlungsfreiheit eingeführt. Von sofort an durften alle sagen und veröffentlichen, was sie wollten. Auch alle Demonstrationen waren erlaubt, solange sie friedlich blieben und nicht gewalttätig wurden.

Aber es gab doch auch Druck, weil die Protestbewegung schnellen Wandel forderte.
Ja, den gab es. An meinem zweiten Tag im Amt besuchte mich eine Delegation von Honoratioren, die der Opposition angehörten. Es waren sieben Männer, der bekannteste von ihnen war Amien Rais, der später die Nationale Mandatspartei gründete. Diese Delegationsmitglieder sagten, sie wollten schnell Neuwahlen, um eine demokratische Regierung zu bekommen. Das habe ich aber abgelehnt. Ich sagte ihnen, wenn wir schnell wählen, dann gewinne ich. Ich hatte nämlich als einziger eine gut organisierte Partei, die im ganzen Land präsent war. Mir war klar, dass der Übergang moderiert werden muss. Wir brauchten eine gesellschaftliche Verständigung darüber, was geschehen sollte. Ich habe dann Freunde wie den früheren US-Präsidenten Jimmy Carter gebeten, nach Indonesien zu kommen und mit den Menschen zu diskutieren, damit sie verstehen, was möglich und sinnvoll ist.

Knapp zehn Jahre vor dem Umbruch in Indonesien war die DDR kollabiert. Hatten Sie das Vorbild der friedlichen Revolution mit den konsens­orientierten, pluralistischen „Runden Tischen“ und der späteren Wiedervereinigung Deutschlands vor Augen?
Selbstverständlich war mir bewusst, was in Deutschland passiert war. Ich habe ja in Aachen studiert, Deutschland ist meine geistige Heimat. Aber ich habe darüber nicht viel geredet. Es hieß ja ohnehin schon über mich: „Der ist ein Deutscher.“ Das war Unsinn, ich bin Indonesier, und es war mir immer völlig klar, dass wir für indonesische Probleme auch indonesische Lösungen brauchen.

Nach dem Fall der Berliner Mauer begann die deutsche Entwicklungspolitik, Themen wie Demokratie und Menschenrechte zu betonen. Hat das auf Indonesien Einfluss gehabt?
Nein, diese Art von Nachhilfeunterricht haben wir nicht gebraucht. Demokratie und Menschenrechte stehen in unserer eigenen Verfassung, die älter ist als die Vereinten Nationen. Wir waren eine kolonialisierte Nation, wir kennen Unterdrückung. Im Kern geht es um universelle Freiheitswerte, die überall gleich sind. Aber wie sie in einem Land verwirklicht werden, hängt von dessen Kultur und Geschichte ab. Ich bin Ingenieur und weiß, dass sich die Grundgesetze der Natur nicht ändern lassen. Aber man kann sie intelligent nutzen. Das ist mit Demokratie und Menschenrechten ähnlich. Die Grundregeln stehen fest, aber es kommt darauf an, aus Ideen Praxis werden zu lassen.

Konnten Ihnen denn deutsche Partner dabei helfen?
Ja, das haben sie getan und das war sehr gut. Die asiatische Finanzkrise machte uns damals zu schaffen. Da habe ich Bundeskanzler Helmut Kohl angerufen und ihm gesagt, ich brauche jemanden, der mir in der Zentralbank hilft. Da sagte Kohl, mit dem ich mich duze: „Ich schicke dir Schlesinger.“ Kurze Zeit später war Helmut Schlesinger, der pensionierte Bundesbankpräsident, in Jakarta und hat unsere Zentralbank beraten. Er hat höchstens fünf Prozent der Entscheidungen getroffen, die Hauptarbeit haben indonesische Fachleute geleistet. Wir haben ja auch gut ausgebildete Leute. Aber Schlesinger hat darauf geachtet, dass die Richtung stimmt.

War er ein Einzelfall?
Nein, überhaupt nicht. Als ich Rat bezüglich der Wettbewerbspolitik brauchte, rief ich wieder Kohl an. Kurz darauf kam Wolfgang Kartte, der frühere Präsident des Bundeskartellamts, nach Jakarta. Als ich Unterstützung für die Sanierung der Banken brauchte – wir haben vier angeschlagene Finanzhäuser zu einem einzigen fusioniert – habe ich aber nicht Kohl angerufen, sondern Josef Ackermann, den heutigen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank. Er war damals ein junger Mann, der in dieser Bank meinem Freund Ulrich Cartellieri zuarbeitete. Ich bat ihn Freitagnachmittag Londoner Zeit – dort arbeitete er – nach Jakarta zu kommen, und Montag früh war er da. Diese Art von Beistand war sehr schnell, zuverlässig und wertvoll, weil wir so Fehler vermeiden konnten. Das war echte Hilfe – wohingegen mich der Internationale Währungsfonds enttäuscht hat.

Weshalb?
Sein Engagement war doppelbödig. Er sollte sich um die Makroökonomie kümmern, mischte sich aber auch in die Mikroökonomie ein. Der IWF hat Indonesiens staatseigene strategische Industrie kaputt gemacht. Wir waren zum Beispiel kurz davor, ein marktfähiges Flugzeug herzustellen, aber dann kam die Krise und der IWF teilte mit, wenn dieses Programm nicht eingestellt werde, gebe es kein Geld. Wir durften nicht einmal mit privatwirtschaftlichen Mitteln weitermachen. Die Firma war eine staatliche Ak­tiengesellschaft mit mehreren tausend Mitarbeitern. Ich wollte das alles an die Börse bringen, aber ich durfte das nicht. So streng wie mit uns ist der IWF jetzt in der globalen Finanzkrise mit den Indus­trienationen nicht umgegangen. Das ist ein Fall von Doppelmoral.

Deutschland hat Indonesien auch in den Jahrzehnten vor dem demokratischen Wandel Entwicklungshilfe geleistet. Wie beurteilen Sie das im Rückblick?
Das war sehr gut, denn es hat unter anderem dazu beigetragen, dass in Indonesien Straßen entstanden sind und das Gesundheits- und Bildungswesen dauerhaft gestärkt wurde.

Indonesien hat tatsächlich aus der Entwicklungshilfe etwas gemacht. Vielen anderen Ländern ist das nicht gelungen.
Warum etwas anderswo nicht funktioniert hat, kann ich Ihnen nicht erklären. Was ich weiß, ist, dass Indonesien den Austausch mit Deutschland und anderen reichen Partnerländern immer als Chance gesehen hat. Für uns war das Hilfe zur Selbsthilfe – und so soll es ja auch sein.

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