Wasser

Schlummerndes Wissen

In unter Wasserknappheit leidenden arabischen Ländern könnten Religions­gelehrte mehr tun, um die Menschen für das Thema zu sensibilisieren. In den heiligen Schriften gibt es einschlägige Hinweise, warum und wie Wasser gespart werden soll. Leider interessieren sich muslimische Prediger dafür kaum.
Wasserverschwendung ist nach religiöser Auffassung falsch („Fassad”): ein undichter Tanklaster in Jordanien. Dembowski Wasserverschwendung ist nach religiöser Auffassung falsch („Fassad”): ein undichter Tanklaster in Jordanien.

Die arabischen Länder erleben ernste Wasserkrisen. Ihr Verbrauch übersteigt ihre Grundwasservorräte bei Weitem.

Menschliches Verhalten wird von Werten geleitet, die oft an Glauben geknüpft sind. In muslimischen Gesellschaften hat der Heilige Koran sehr große Bedeutung für Individuen und religiöse Führungspersönlichkeiten. Als Jordanien 2010 eine besonders harte Dürre erlitt, forderten selbst staatliche Stellen, ein öffentliches Massengebet für Regen – das Salat al-Istisqaa’– zu veranstalten.

Die Ansichten muslimischer Gelehrter haben in der arabischen Welt Gewicht. Um zu erfahren, was an der Fakultät für islamisches Recht (Sharia’ah) der Zarqa-Universität in Jordanien diesbezüglich gelehrt wurde, befragten im Jahr 2012 junge Experten von der FH Köln und der University of Jordan 140 Studierende.  

Den meisten der angehenden Sharia’ah-Gelehrten (87 Prozent) war klar, dass Jordanien unter Wasserknappheit leidet. Über Gründe, Wirkungen, Konzepte und Lösungen wussten jedoch die wenigsten Bescheid.

Die Mehrheit (58 Prozent) glaubte, Industrie und Privathaushalte verbrauchten das meiste Wasser. Sie wussten nicht, dass die Landwirtschaft den Löwenanteil bekommt. Folglich vertraten sie kontraproduktive Konzepte. Fast drei Viertel der Befragten hielten es für wichtiger, zu Hause Wasser zu sparen als Landwirtschaft effizienter zu betreiben. Ein knappes Drittel meinte, Wasser solle vorzugsweise der Bewässerung dienen. Etwa 40 Prozent befürworteten das Bohren von Brunnen – ihnen war nicht klar, dass das wegen der Überausbeutung der Grundwasservorräte die Probleme verschärft.

Mehr als 40 Prozent der Befragten hielten die Wasserpreise in Jordanien für sehr hoch, dabei subventioniert die Regierung den Sektor bereits massiv – insbesondere die Abwasserentsorgung. Eine große Mehrheit war dafür, dass öffentliche Wasserversorger nur die Lieferkosten in Rechnung stellen sollen. Dass es auch Geld kostet, Wasserressourcen zu verwalten, ignorierten sie völlig. Nur 15 Prozent wollten Kunden den vollen Wasserpreis zahlen lassen (inklusive Kapital- und Betriebskosten). Den meisten war dagegen nicht bewusst, dass Versorgungsunternehmen nicht nachhaltig arbeiten können, wenn nicht alle Kosten gedeckt werden.

Die Studierenden von heute sind die Sharia’a-Gelehrten und Prediger von morgen. Sie werden Menschen in Stadt und Land beeinflussen. Sie sind Multiplikatoren, an deren Äußerungen sich andere orientieren werden. Die meisten der Befragten (75 Prozent) hielten Aufklärungskampagnen für den besten Weg, auf die Wasserkrise zu reagieren. Predigen hielten 42 Prozent dabei für das beste Mittel – noch vor Fernsehen und Internet.  


Relevante Lehren

Religiöse Lehrpläne gehen trotz der schwindenden Wasserressourcen in Jordanien nicht oder nur am Rande auf Wasser ein. Dabei gibt es islamische Doktrinen, die dazu taugen, relevante Dinge wie Nutzungsgebühren, Ressourcenschutz und Eigentumsrechte zu vermitteln. Aber die Verbindung zwischen sozioökonomischen Herausforderungen und spirituellen Werten wird nicht hergestellt. Die schlichte Wahrheit ist, dass Wasser für islamische Gelehrsamkeit keine Rolle spielt.

Führende Sharia’ah-Schulen sollten sich klarmachen, dass Verhaltensänderungen Wasserressourcen schützen würden und dass Religionsgelehrte das entsprechende Umdenken fördern können. Es wäre gut, wenn die Menschen die wichtigsten religiösen Lehren kennen würden. Wasser ist im Koran weit mehr als ein öffentliches Gut – es steht immer im Zusammenhang mit Gottes Strafe oder Barmherzigkeit. Die Verfügbarkeit von Wasser ist Teil des göttlichen Willens und damit heilig. In der Sure Al-Mu’minun heißt es unmissverständlich: „Wir senden ausreichend Wasser vom Himmel und lassen es in den Boden sickern – ihr sollt wissen, dass Wir es jederzeit wieder fortnehmen können, wenn Uns danach ist.“ Im Koran steht, dass Gott die Brunnen volllaufen lässt, die Flüsse zum Fließen bringt und das Grundwasser wieder auffüllt.

Die entsprechenden Suren sind unterschiedlich interpretierbar. Ihre Betonung des Werts von Wasser kann verstanden werden:  

  • als Appell, sorgfältig damit umzugehen, oder
  • als Absolution der Menschen von jeglicher Verantwortung, weil Wasser Gottes Angelegenheit ist.

Die zweite Lesart wird Wasserknappheit in der arabischen Welt nur verschlimmern. Zahllose islamische Konzepte können dagegen dafür herangezogen werden, zu erklären, warum und wie Wasser zu schützen und zu bewahren ist (siehe Kasten unten).

In Jordanien wurden zwei Workshops durchgeführt, um das Bewusstsein der Studierenden für diese Dinge zu schärfen. Einige von ihnen gründeten danach einen formal registrierten Umweltverein und starteten eine Social-Media-Gruppe. Die meisten waren dafür, die Wasserrelevanz islamischer Regeln in den Lehrplan aufzunehmen.


Der Weg voran

Es bleibt noch viel zu tun. Theologen sollten sich intensiver mit Wasser befassen, und die Politik sollte prüfen, welche islamischen Lehren Entwicklungs­zwecken dienen können. In Jordanien fiele das beispielsweise in die Zuständigkeit des Ministeriums für Reli­gionsangelegenheiten. Studenten können an ihren Hochschulen Umweltclubs gründen, um sich für die Ausarbeitung islamischer Doktrinen bezüglich Wasser und Umwelt im Allgemeinen einzusetzen.

Verschiedene Entwicklungsorganisationen und die UN haben Bewusstseinsbildung zur höchsten Priorität erklärt, um das Millenniumsziel für Wasser und Abwasser zu erreichen. Allerdings meiden Geberinstitutionen religiöse Fragen gern. Das ist unsinnig, denn religiöse Führungspersönlichkeiten sind sehr einflussreich. Aufklärungskampagnen sind falsch konzipiert, wenn sie einen Bogen um wichtige Multiplikatoren in muslimischen Gesellschaften machen.

 

Romuald Bolliger arbeitet derzeit als Experte für Öffentlichkeitsarbeit im Dienste des amerikanischen Water- ­Culture Institute in Ägypten. Er ist der Hauptautor dieses Aufsatzes und hat das Junior Professional Program in integriertem  Wasserressourcenmanagement der FH Köln und der University of Amman absolviert. Der Essay basiert auf einer Semesterarbeit, die er mit Abdulkhaleq Q. Alwan, Asma’a al Waaji und Hana Baddad verfasst hat.
r.bolliger@hotmail.com

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