Mangelernährung

Mexiko kämpft mit einer Übergewicht- und Adipositas-Epidemie

Mexiko kämpft mit einer Übergewicht- und Adipositas-Epidemie. Landesweit sind sieben von zehn Erwachsenen, zwei von fünf Jugendlichen und etwa 37 Prozent der Kinder im Schulalter adipös oder übergewichtig. Mehrere Faktoren sind für das Ausmaß des Problems verantwortlich – nicht zuletzt niedrige Einkommen.
Ein Straßenhändler verkauft frittierte Snacks und Softdrinks in Mexiko-Stadt. picture-alliance/AP Photo/lmazoch|File|Filed|7/6/2016 2\32\47 PM, Eduardo Verdugo Ein Straßenhändler verkauft frittierte Snacks und Softdrinks in Mexiko-Stadt.

Der Konsum von stark verarbeiteten Lebensmitteln und zuckerhaltigen Getränken hat in Mexiko deutlich zugenommen. Gleichzeitig haben viele Menschen keinen Zugang zu gesunden Lebensmitteln und Orten für körperliche Betätigung. Hinzu kommen ein sitzender Lebensstil und der Einfluss von Werbung für ungesunde Lebensmittel.

Mexiko kämpft seit Jahrzehnten mit verschiedenen Formen der Mangelernährung. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) umfasst Mangelernährung Unterernährung, Mikronährstoffmangel (an Vitaminen oder Mineralien) sowie Übergewicht, Adipositas und die damit verbundenen Komplikationen.

Eine aktuelle Studie des Nationalen Instituts für öffentliche Gesundheit (Instituto Nacional de Salud Pública – INSP) untersuchte Veränderungen in Ernährung und Gesundheit der Mexikaner*innen in den letzten 120 Jahren. Von 1890 bis 1950 kämpfte das Land mit schwerer Unterernährung bei Kindern unter fünf Jahren und einer wenig abwechslungsreichen Ernährung mit geringer Nährstoffaufnahme. Laut INSP und der Nationalen Akademie für Medizin (Academia Nacional de Medicina – ANM) sind bis heute schätzungsweise 1,3 Millionen Kinder unter fünf Jahren chronisch unterernährt.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts nahm die extreme Armut ab, und steigende Einkommen führten zum gegenteiligen Problem: Ab den 1970er Jahren breitete sich die bis heute anhaltende Adipositas-Epidemie aus.

Eine höhere Kalorienzufuhr bedeutet jedoch nicht, dass die Menschen in Mexiko jetzt wohlhabend sind. Viele geben nicht zuletzt deshalb mehr Geld für kalorienreiche und nährstoffarme Lebensmittel aus, weil diese leicht zugänglich und günstig sind. Infolgedessen liegt der Verzehr von Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten und Ölsaaten weit unter den empfohlenen Werten. Laut Studien der Autonomen Universität von Mexiko (UNAM) und des INSP stammen etwa 30 Prozent der Kalorienzufuhr in Mexiko aus stark verarbeiteten Produkten.

In den letzten 30 Jahren hat Adipositas bei Kindern und Jugendlichen um 120 Prozent zugenommen, wie eine Studie für die World Obesity Federation zeigt. Laut INSP und ANM gibt es in Mexiko schätzungsweise 14 Millionen Kinder und Jugendliche, die übergewichtig (Body-Mass-Index von mindestens 25 laut WHO) oder adipös (Body-Mass-Index von mindestens 30) sind. Eine Studie zur Prävention und Reduktion von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen in Mexiko schätzt, dass die Bewältigung dieser und anderer Gesundheits- und Ernährungsprobleme im Laufe eines Lebens durchschnittlich 1,8 Billionen Dollar kostet, was 30 Milliarden Dollar jährlich entspricht. Neben den Gesundheitskosten entstehen dabei auch indirekte Kosten aufgrund von Produktivitätseinbußen und Lebenszeitverlusten.

Ernährungsumfelder und Einkommens­ungleichheit

Adipositas und Übergewicht sind in allen sozialen Schichten in Mexiko weit verbreitet. Offiziellen Schätzungen zufolge sind über 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung adipös oder übergewichtig, mit nur geringen Unterschieden zwischen ärmeren und reicheren Gruppen. Junkfood ist überall verfügbar und sein Konsum weitgehend normalisiert.

Der Zugang zu gesunden Lebensmitteln und einer abwechslungsreichen Ernährung variiert jedoch je nach Einkommen und sozioökonomischem Status. Ernährungswissenschaftler*innen sprechen von „Lebensmitteloasen“ (food oases) oder „Lebensmittelsümpfen“ (food swamps). Lebensmitteloasen bieten eine vielfältige und nahrhafte Auswahl an Produkten, einschließlich Biolebensmitteln. In Mexiko gibt es sie vor allem in wohlhabenden Vierteln. Im Gegensatz dazu sind Lebensmittelsümpfe Umgebungen, die kaum Zugang zu gesünderen Lebensmitteln bieten und wo sich die Menschen diese mangels finanzieller Mittel auch nicht leisten können.

Eine zwischen 2010 und 2020 in ärmeren Stadtvierteln im Großraum Valle de México durchgeführte Studie ergab, dass die Verbreitung von Convenience-Stores zum Anstieg der Lebensmittelsümpfe beiträgt. Die meisten Convenience-Stores in Mexiko bieten nährstoffarme, kalorienreiche und billige Lebensmittel an. Ein besorgniserregender Trend ist, dass auch Schulen zunehmend zu Lebensmittelsümpfen werden.

Dieselbe Studie fand heraus, dass Haushalte mit niedrigen Einkommen einen größeren Anteil ihres Gesamteinkommens für Lebensmittel ausgeben, aber nicht unbedingt für eine gesündere Ernährung. Haushalte mit höheren Einkommen investieren mehr in gesunde Ernährung, geben aber einen geringeren Teil ihres Gesamtbudgets für Lebensmittel aus. Laut Daten des National Survey of Seasonal Household Income and Expenditure 2022 und der mexikanischen Gesellschaft für Markt- und Meinungsforschung hatten Haushalte mit niedrigen Einkommen ein durchschnittliches Monatseinkommen von rund 260 Dollar und gaben zwischen 42 und 52 Prozent davon für Lebensmittel aus. Im Gegensatz dazu hatten die reichsten Haushalte ein durchschnittliches Monatseinkommen von rund 3800 Dollar und gaben etwa 28 Prozent davon für Lebensmittel aus.

Eine kollektive Verantwortung

Schätzungen des Nationalen Rates zur Bewertung der Sozialentwicklungspolitik (CONEVAL) zufolge hatten im ersten Quartal 2024 fast 36 Prozent der Mexikaner*innen nicht genug Einkommen, um ihren Grundbedarf an Lebensmitteln zu decken. Die Kosten für Grundnahrungsmittel liegen in den Städten bei rund 126 Dollar pro Person und auf dem Land bei rund 98 Dollar. Entsprechend braucht eine vierköpfige Familie in der Stadt rund 507 Dollar pro Monat, um ihren Lebensmittelbedarf zu decken, eine Familie auf dem Land etwa 390 Dollar pro Monat. Die globale Inflation verschlimmert die Situation.

Ernährungssicherheit betrifft nicht nur die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, sondern auch deren Qualität. Laut Weltbank bedeutet Ernährungssicherheit, dass alle Menschen physischen, sozialen und wirtschaftlichen Zugang zu ausreichenden, sicheren und nährstoffreichen Nahrungsmitteln haben, die ihren täglichen Ernährungsbedürfnissen und -vorlieben entsprechen, um ein gesundes und aktives Leben führen zu können. In diesem Sinne steht Mexiko im Bereich der Ernährungssicherheit vor ernsthaften Herausforderungen. Obwohl bereits Programme zur Änderung von Gewohnheiten und Lebensstilen existieren, ist es entscheidend, dass Regierung und Gesellschaft gemeinsam die Verantwortung übernehmen, das Recht auf Gesundheit zu sichern. Dazu gehört, die Preise für gesunde Lebensmittel zu regulieren und genügend Einkommensmöglichkeiten zu schaffen, damit jeder sich diese leisten kann.

Pamela Cruz Special Project Coordinator bei Comunalia, einem Netzwerk von Bürgerstiftungen in Mexiko, und strategische Beraterin bei MY World Mexico. 
pamela.cruzm@gmail.com

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