Afghanistan

Ohne US-Truppen fühlen sich Afghanen im Stich gelassen

US-Präsident Joe Biden hat bis zum 11. September den kompletten Militärabzug aus Afghanistan angekündigt. Das beunruhigt die Afghanen.
Afghanischer Polizist 2015 mit US-Soldat in Kabul. Jawad Jalali/picture-alliance/dpa Afghanischer Polizist 2015 mit US-Soldat in Kabul.

Seit 20 Jahren sind US-Truppen im Land. 2001 marschierten sie bald nach den Terroranschlägen auf New York und Washington vom 11. September ein. Heute sagt Präsident Biden, die Hoffnung auf ideale Abzugsbedingungen irgendwann rechtfertige nicht den Verbleib in Afghanistan.

Soldaten aus anderen NATO-Ländern unterstützen die US-Politik in Afghanistan. Deren Regierungen wollen ihre Truppen jetzt auch nach Hause holen.

Für Afghanen sind das schlimme Nachrichten. Sie fühlen sich von den Mächten in Stich gelassen, die eine bessere Zukunft mit Wohlstand, Demokratie und Rechtssicherheit versprachen. Es tröstet niemanden, dass Biden solche Ziele für recht unrealistisch hält. In diversen Medien artikulieren Afghanen nun die Sorge, dass der Einfluss der Taliban-Extremisten wachsen dürfte. Deren Regime hatten die US-Truppen 2001 gestürzt. Dass die Taliban an die Macht zurückwollen, ist offensichtlich.

Es stimmt: Die internationalen Truppen haben nicht erreicht, was sie sollten. Die Kritiker sagen zu Recht, dass es kaum aussichtsreich erscheint, immer weitere militärische, politische und finanzielle Unterstützung zu leisten, wenn zwei Jahrzehnte solcher Unterstützung Afghanistan nicht auf die eigenen Beine zu stellen vermochte. Andererseits hat es zivilen, demokratischen und politischen Fortschritt in Afghanistan gegeben – und das meiste davon dürfte nun zunichtegemacht werden.

Aus Bidens Sicht wurde das Hauptziel erreicht: Von Afghanistan geht keine internationale Terrorgefahr mehr aus. Der Präsident, der 2001 den Einmarsch befahl, hatte freilich mehr beabsichtigt. George W. Bush sagte damals: „Unser Krieg gegen den Terror beginnt mit Al-Qaida, aber es geht um mehr.“ Er werde erst zu Ende sein, wenn jede Terrororganisation mit globaler Reichweite „gefunden, gestoppt und geschlagen“ sei. Keiner der Attentäter von 11. September stammte aus Afghanistan, aber das Taliban-Regime hatte Al-Qaida, der Organisation von Osama bin Laden, Unterschlupf gewährt.

Leider konzentrierte sich Bush auf den Kampf gegen Terroristen und Verbrecher. Das machte die NATO-Präsenz für viele Afghanen zwiespältig. Positiv war, dass Raum für friedlichen Wiederaufbau und konstruktive Entwicklung entstand. Der Preis dafür war aber eine hohe Zahl von Toten, die Sondereinheiten bei der Jagd auf bin Laden und seine Leute zum Opfer fielen. Unschuldige Zivilisten starben, was es den US-Truppen schwermachte, Sympathien zu gewinnen.

Erschwerend kam hinzu, dass Opium Afghanistans wichtigstes Exportgut ist, westliche Konzepte aber nie wirklich darauf eingingen. Selbstverständlich handelt es sich um eine illegale Droge, aber schlichte Verbrechensbekämpfung war keine überzeugende Strategie in einem Umfeld, in dem der Schwarzmarkt vielen Menschen die aussichtsreichsten Erwerbsmöglichkeiten bietet. Es war zudem naiv zu glauben, Korruption ließe sich in einem von Schwarzgeld überfluteten Land wirkungsvoll begrenzen.

Unter Präsident Barack Obama wandelte sich die Politik – vor allem nach bin Ladens Tod in Pakistan. Die US-Generäle legten fortan mehr Wert auf Aufstandsbegrenzung als auf Terroristenjagd. Überzeugende Erfolge blieben aber aus. Schließlich startete Präsident Donald Trump Verhandlungen mit den Taliban, und nun will Biden die Truppen abziehen.

In Afghanistan herrscht seit 40 Jahren Krieg. Nur die Hälfte der Zeit war die NATO involviert. Dennoch wurde es der längste Krieg, an dem die USA je beteiligt waren. Biden will das nun beenden. Aber ob der Krieg auch in Afghanistan enden wird, weiß niemand.

Die historische Erfahrung spricht gegen Optimismus. Als die sowjetischen Truppen Ende der achtziger Jahre abzogen, eskalierte der Bürgerkrieg mit vielen neu entstandenen Milizen. Niemand sollte jetzt Wunder erwarten. Biden nimmt andere globale Herausforderungen in den Blick – Chinas Aufrüstung, Russlands aggressives Verhalten und Irans Atomprogramm. Es kann aber schrecklich schiefgehen. Möglicherweise muss er schon bald wieder Truppen nach Afghanistan schicken. Das wurde im Irak nötig, als nach dem Abzug der USA der Isis-Terrorismus eskalierte.


Nawid Paigham ist Politikwissenschaftler und bereitet an der Berliner Humboldt Universität seine Doktorarbeit vor.
npeigham@gmail.com

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