Wachstumsstrategie

Inkohärente Politik

Pakistans Ausfuhren stagnieren seit einem Jahrzehnt und gehen nun sogar zurück. Dabei haben nacheinander verschiedene Regierungen exportgestützte Entwicklung angestrebt. Finanzminister Ishaq Dar verspricht nun neue Anreize für Unternehmen, aber Beobachter bezweifeln, dass seine auf schnelle Erfolge angelegte Politik viel bringt.
Gerberei-Arbeiter in Lahore. Pacific Press Agency/picture-alliance Gerberei-Arbeiter in Lahore.

Von Juli 2015 bis April 2016 – in den ersten zehn Monaten des vergangenen Finanzjahres – hat Pakistan Waren im Wert von 18 Milliarden Dollar exportiert. Das waren 6 Milliarden weniger als angestrebt. Wie seine Vorgänger es zu tun pflegten, fand auch Dar Gründe für den Misserfolg jenseits der heimischen Grenzen. Er nannte die niedrigen Weltmarktpreise für Rohstoffe und den Abschwung in China.

Dar zitiert schnell jedwede Quelle, die irgendwo auf der Welt Positives über Pakistans Wirtschaft zu sagen hat. Er scheint selbst aber nicht zu verfolgen, was in anderen Ländern passiert. Jedenfalls hat er öffentlich nicht dazu Stellung genommen, dass Vietnam oder Bangladesch in Sachen Exportwachstum bessere Zahlen vorweisen.

Dar präsentierte seinen aktuellen Haushaltsplan im Juni. Das neue Budget enthält Anreize für die Exportwirtschaft und wird vom Parlament voraussichtlich angenommen werden. Ziel ist, den Trend im laufenden Finanzjahr (bis Ende Juni 2017) umzukehren und die Ausfuhren um zehn Prozent zu steigern.

Bemerkenswerterweise hat die Regierung kein kohärentes Gesamtkonzept. Im März hatte Wirtschaftsminister Khurram Dastgir Khan den „Strategic Trade Policy Framework 2015–18“ verkündet, dem zufolge Pakistans jährliche Exporte von derzeit etwa 20 Milliarden Dollar bis 2018 auf 35 Milliarden anwachsen sollen. Das entspräche einem Zuwachs von 75 Prozent in drei Jahren. Dars Ehrgeiz, zehn Prozent im Jahr zu schaffen, wirkt dagegen recht bescheiden.

Dass der Finanzminister sich zu der Diskrepanz nicht äußert, wundert niemanden, der sich mit pakistanischer Politik auskennt. Er richtet sich nun mal nicht nach den anderen Kabinettsmitgliedern, sondern erwartet, dass diese sich seiner Politik anpassen. Ein Insider, der den Prozess der Haushaltsaufstellung gut kennt, sagt, Dar halte sich für den „De-facto-Regierungschef, wenn nicht mehr“. Dar wurde wohl darauf aufmerksam gemacht, dass seine Ziele unter denen des Strategic Trade Policy Framework liegen, worauf er nur kurz genickt haben soll, ohne weiter darauf einzugehen.

Diese inkonsistente Politik ist zutiefst irritierend, denn eine ganze Abfolge von Regierungen betont seit Jahrzehnten, die Integration Pakistans in den Welthandel sei für die Entwicklung des Landes wichtig. Gewählte Regierungen sagten das ebenso wie solche, die das Militär an die Macht brachte. Seit 30 Jahren sollen Exporte Pakistans Wachstum antreiben.


Paradigmenwechsel unter Zia ul Haq

Nach der Unabhängigkeit vom britischen Kolonialreich betrieben pakistanische Regierungen zunächst eine Politik der Nationalisierung und der Importsubstitution. Das änderte sich unter der Herrschaft von General Zia ul Haq, der von der Idee eines islamischen Sozialismus abrückte und auf Privatisierung, Deregulierung und freie Märkte setzte. Seither verfolgen alle Regierungen diesen Ansatz und versprechen, den Raum, den Staatsbetriebe in verschiedenen Branchen einnehmen, für private Unternehmen zu öffnen und die Volkswirtschaft für den globalen Wettbewerb fit zu machen.

Westliche Regierungen und internationale Institutionen wie die Weltbank, der Internationale Währungsfonds oder die Asiatische Entwicklungsbank unterstützen diesen Kurs. Sie bieten nicht nur Rat an, sondern unterstützen Pakistans Wirtschaftspolitik auch finanziell (Entwicklungshilfe, Zuschüsse und vergünstigte Kredite).

Allerdings erfüllen jegliche Bemühungen, die Ausfuhren zu steigern, bislang die Erwartungen nicht. Trotz diverser Handelsabkommen und vergünstigten Marktzugangs in verschiedenen Ländern stagniert Pakistans Exportvolumen seit einiger Zeit zwischen 20 Milliarden und 24 Milliarden Dollar und fiel im vergangenen Finanzjahr sogar unter 20 Milliarden. Dass die EU Pakistan 2015 den begehrten Status „GSP Plus“ in ihrem allgemeinen Präferenzsystem (GSP – General Scheme of Preferences) gewährte, hatte keine nennenswerten Folgen.

Zur Verteidigung der Spitzenpolitiker lässt sich allerdings sagen, dass sie mit riesigen Problemen ringen. Die Sicherheitslage ist angespannt und erfordert hohe Aufmerksamkeit. Jahrzehntelange Kriege und Konflikte in Afghanistan haben das Land in Mitleidenschaft gezogen. Es gibt auch kaum Chancen, den regionalen Handel mit den Nachbarn Indien, China, Afghanistan und Iran auszubauen. Zu allem Überfluss wird Pakistan obendrein immer wieder von innenpolitischen Krisen erschüttert (siehe Kasten).


Neuer Anlauf

Das aktuelle Konzept des Finanzministers entspricht dem Hang pakistanischer Regierungen zur Suche nach schnellen Lösungen. Dem aktuellen Haushaltsentwurf zufolge sollen fünf Wirtschaftszweige – Textilien, Leder, Sportartikel, Teppiche und einfache medizinische Güter – von exportfördernden Maßnahmen profitieren. Alle fünf sind Niedriglohn-Branchen, die wenig Fachkenntnisse erfordern. Pakistan hat in den vergangenen Jahrzehnten versäumt, eine technologisch anspruchsvolle Branche aufzubauen.

Dar plant Steuerbefreiungen für die fünf genannten Branchen und verspricht ihnen Steuererleichterung auf die Beschaffung von Rohstoffen, Energie (Strom und Treibstoff) und Vorprodukten. Alle ausstehenden Steuererstattungen sollen zudem schnell erfolgen.

Paradoxerweise sehen Pakistans Großunternehmen aber zunehmend Chancen im eigenen Land. Über 180 Millionen Einwohner machen Pakistan zu dem zweitbevölkerungsreichsten Land Südasiens, und die heimische Nachfrage ist entsprechend groß. Offenkundig blüht auch der informelle Sektor, der Verbraucherwünsche erfüllt. Derweil erfreut sich auch Markenware aus dem Ausland wachsender Beliebtheit.

Viele Spitzenmanager in Pakistan scheinen sich derzeit entsprechend umzuorientieren. Ihr Interesse am Binnenmarkt wächst, ob sie nun für die Produktion von Textilien, Zement oder Lebensmitteln verantwortlich sind. Bekannte Firmen wie Engro, Gul Ahmed, Nishat, Al karam, Khadi, Lucky Cement, K&N, 14th Street Pizza und andere arbeiten derzeit alle an Strategien für heimische Expansion.

Wenn viele Manager sich so orientieren, muss das profitträchtig sein. Ob es der Entwicklung des Landes dient, steht auf einem anderen Blatt. Es ist schwer zu sehen, wie solche Geschäftsmodelle zu internationaler Wettbewerbsfähigkeit führen sollen.


Afshan Subohi ist eine pakistanische Wirtschaftsjournalistin und arbeitet für die große Tageszeitung Dawn.
asubohi@hotmail.com

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