Kommentar

Revolutionäre Ideen

Patentschutz behindert nach wie vor die Behandlung von HIV/Aids-Patienten in Entwicklungsländern. Nötig wäre eine Reform der Regeln des weltweiten Pharmageschäfts.


[ Von Tobias Luppe ]

Seit 2005 müssen die zumeist indischen Generikahersteller das WTO-Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum (TRIPS) einhalten und die darin festgeschriebenen Patentmonopole für neue Wirkstoffe anerkennen. Folglich dürfen sie Mittel, die dem neuesten Stand der Forschung entsprechen, nicht mehr herstellen. Viele Entwick­lungsländer stützen aber die Behandlung ihrer Aids-Patienten auf indische Generika. Viele Kranke benötigen wegen schwerer Nebenwirkungen und Resistenzen die neue­sten Präparate, aber für die nationalen Gesundheitssysteme der armen Länder sind diese praktisch unerschwinglich.

Das Beispiel Südafrika verdeutlicht das Problem: Die meisten Patienten erhalten eine Standardkombination von Medikamenten, die den patentfreien Wirkstoff Stavudine enthält. Wegen seiner Nebenwirkungen wird er in reichen Ländern kaum noch eingesetzt. Studien zufolge leidet in Südafrika jeder fünfte Aidspatient an Nebenwirkungen – manche sogar an lebensbedrohlichen.

Die beste Alternative – das Medikament Tenofovir – ist verträglicher und muss nur einmal pro Tag eingenommen werden. In reichen Ländern gehört es daher zur Standardbehandlung. In Südafrika und anderen Entwicklungsländern nicht. Kaum ein Patient kann darauf umgestellt werden, geschweige denn die Therapie direkt damit beginnen.

Das Problem ist bekannt: Aus patentrechtlichen Gründen ist Gilead Sciences durch seinen Partner Aspen Pharmacare der einzige Anbieter von Tenofovir in Südafrika. Da es keinen Wettbewerb mit Generikaherstellern gibt, ist das Medikament zu teuer, um es standardmäßig im nationalen Behandlungsprogramm einzusetzen: Ein Stavudine-basierter Pillencocktail kostet im Jahr 77 Dollar, Tenofovir allein kostet drei Mal so viel – und muss mit weiteren Mitteln ergänzt werden. Die Ärzte verschreiben also – zwangsläufig – minderwertige Medizin. 14 Jahre nach der Apart-heid gibt es in Südafrika wieder Menschen zweiter Klasse.

Um das Problem zu lösen, müssen die Regeln des internationalen Pharmageschäfts geändert werden. Und es gibt Hoffnung: Verschiedene Entwicklungen im Jahr 2008 werden Medikamentenzugang und Aidstherapie in Südafrika und anderen Ländern beeinflussen.

So ist man sich mittlerweile einig darüb­er, dass Patentmonopole in der Vergangenheit inflationär gewährt wurden. Ursprünglich zur Förderung neuen Wissens gedacht, werden inzwischen oft nur marginale Änderungen zur weiteren Monopolisierung längst bestehenden Wissens missbraucht.

Deshalb zogen US-Behörden unlängst vier Schlüsselpatente auf Tenofovir zurück, weil die Substanz zum Zeitpunkt der Antragsstellung nicht mehr das Kriterium der Neuheit erfüllte. Sollten die indischen Behörden ähnlich entscheiden, wäre der Weg frei für die generische Produktion von Tenofovir. Zudem wird zunehmend erkannt, dass multinationale Konzerne aus öffentlich subventionierter Forschung gewonnene Erkenntnisse nutzen.

Öffentliche Interessen und die von Patienten bleiben unberücksichtigt. Im weltgrößten Pharmastandort USA haben Forscher und Unis unlängst gefordert, von Hochschulen entwickelte Erfindungen für Entwicklungsländer zugänglich zu machen.

Seit November 2008 arbeitet die BUKO Pharmakampagne mit der Berliner Charité und der Uni Bremen zum Thema Patentrechte zusammen. Sie untersuchen, inwieweit die Pharmaindustrie universitäre Forschungsergebnisse nutzt, und wollen Modelllizenzvereinbarungen zum Medikamentenzugang in Entwicklungsländern entwickeln. Tenofovir wurde maßgeblich an tschechischen und belgischen Unis entwickelt.

Und schließlich verabschiedete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kürzlich einen globalen Aktionsplan zu öffentlicher Gesundheit, Innovation und geistigen Eigentumsrechten. Er fordert neue Mechanismen, um Pharmaprodukte auf die Bedürfnisse der ärmeren Länder hin zu erforschen und zugänglich zu machen – jenseits von Patenten. Diese Ideen sind revolutionär. Die WHO übernimmt damit endlich eine Führungsrolle und erklärt Pharmaforschung wieder zur Kernaufgabe öffentlicher Verantwortung.

Es liegt nun an Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Politik und Industrie, diese Prozesse voranzutreiben. Im Mittelpunkt muss dabei immer der Medikamentenzugang für Menschen in ärmeren Ländern stehen.

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