Editorial

Wertlose Versprechen

Recep Tayyip Erdogan ist ein trauriges Beispiel populistischer Regierungsführung. Seinetwegen versinkt die Türkei in Gewalt. Er will Verfassungsänderungen, um die Nation als Präsident mit noch mehr Macht zu „retten“. Dabei übte er schon lange mehr Macht aus als jeder andere türkische Politiker in den Jahrzehnten bevor er 2003 als Ministerpräsident seine erste Regierung bildete.
Erdogan mit Anhängern Ende 2016. picture-alliance/AP Photo Erdogan mit Anhängern Ende 2016.

Anfangs schuf er breite Bündnisse und setzte der kemalistisch-undemokratischen Dominanz von Militär, Justiz und Verwaltung ein Ende. Dieser Pluralismus tat dem Land gut. Seit einiger Zeit wendet er sich nun gegen frühere Verbündete, besonders spektakulär gegen die Gülenisten. Er hat den Bürgerkrieg in Kurdistan neu entfacht. Auch ISIS-Terror richtet sich nun gegen die Türkei. Pressefreiheit und Bürgerrechte sind ausgehöhlt; Investoren und Touristen bleiben weg.

Erdogan ist kein gewöhnlicher Populist. Seine autokratischen Neigungen haben sich erst spät auf seine Amtsführung ausgewirkt. Seither eskaliert die Gewalt. In wichtigen Punkten ist Erdogan jetzt auch im streng gefassten Wortsinn „populistisch“. Er behauptet, allein die Nation zu vertreten, behält sich aber vor, selbst zu definieren, wer dazu gehört. Große Versprechen sind unerfüllbar – in seinem Fall, weil sunnitische Dominanz und Frieden in der Türkei unvereinbar sind. Um seine Herrschaft zu rechtfertigen, braucht er Feinde. In gehörigem Maß schafft er selbst den Terrorismus, mit dem das Land ringt.

Heute regieren Populisten eine deprimierend große Zahl von Ländern. Mit Donald Trump im Weißen Haus gehören auch die USA dazu. Populisten beanspruchen, dem Gemeinwohl zu dienen, aber das stimmt nicht. Sie spalten. Sie klagen permanent, ihr Volk werde von irgendjemandem ausgenutzt – von Minderheiten, „Eliten“ oder anderen Ländern. Sie nähren Verschwörungstheorien, weil sie andere dafür verantwortlich machen müssen, dass aus ihren Versprechen nichts wird. Populisten wollen ihre Politik nicht im Detail diskutieren. Das würde den grandiosen Visionen widersprechen. Sie wollen Anweisungen erteilen, nicht debattieren. Zivilgesellschaftliche Organisationen und Medienunternehmen mögen sie nur, wenn sie sie kontrollieren können. Solange sie in der Opposition sind, wittern sie überall Korruption, aber im Amt lehnen sie dann alles ab, was ihre Amtsführung Kontrollen unterwerfen würde.

Diese Haltung kann innen- wie außenpolitisch zu Gewalt führen. Selbst wenn sie das nicht tut, verschärft sie globale Probleme. Klimaschutz, Armutsbekämpfung und viele andere wichtige Anliegen erfordern Kooperation. Es stimmt einfach nicht, dass Vorteile eines Akteurs automatisch anderen Akteuren zum Nachteil gereichen. Manche wichtige Dinge lassen sich nur gemeinsam erreichen – und dazu gehören die Sustainable Development Goals der UN.

Nicht alles ist indessen unerreichbar, was zu einem bestimmten Kontext utopisch klingt. Allgemeiner Zugang zu Gesundheitswesen ist heute in vielen Ländern nicht gegeben. Er ist aber grundsätzlich organisierbar. Es kommt dabei selbstverständlich auf viele Details an. Kosten und wer sie trägt, müssen benannt werden. Interessen sind abzuwägen und Kompromisse zu schließen.

Um Populisten zu bekämpfen, gilt es, über die Details von Politikkonzepten zu diskutieren. Versprechen, dass alles großartig wird, sind wertlos. Außerdem müssen wir auf Pluralismus bestehen, denn in Innen- und Außenpolitik gibt es berechtigte, aber widerstreitende Interessen.

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