Kommunalpolitik

„Gemeinsame Ziele“

Vorbilder aus Deutschland lassen sich in Asien, Afrika und Lateinamerika nicht einfach kopieren. Dennoch gibt es ein reges Interesse am Austausch in kommunalen Partnerschaften. Sie können oft mehr bewegen als Beratung durch kompetente Consultants.

Interview mit Anita Reddy

Warum sind Kommunalpolitiker aus Entwicklungsländern an Partnerschaften mit deutschen Städten und Gemeinden interessiert?
Sie suchen nach guten Beispielen, um Probleme zu lösen. Das hat oft eine wissenschaftlich-technische Komponente, aber sie brauchen auch Ansprechpartner, die ihnen das entsprechende Wissen vermitteln können. Deshalb sind Kommunalverwaltungen für sie attraktive Adressaten.

Aber lassen sich deutsche Erfahrungen so einfach übertragen? Was kann zum Beispiel eine schnell wachsende Metropole wie ­Guangdong mit mittlerweile fast 12 Millionen Einwohnern von seiner Partnerstadt Frankfurt am Main mit nicht einmal 700 000 lernen?
Der Größenunterschied ist gar nicht so gravierend. Worauf es wirklich ankommt, ist die praktische Erfahrung. Und es geht sicherlich auch um Pres­tige. Deutschland hat den Ruf eines modernen, hochentwickelten und effizienten Landes, an dem man sich ein Vorbild nehmen kann. Und es ist ja auch wirklich so, dass eine Müllverbrennungsanlage in einer Stadt mit ein paar 100 000 Einwohnern nicht anders funktioniert als in einer Megastadt von mehr als zehn Millionen. Entscheidend ist bei jeder Partnerschaft die konstruktive Auseinandersetzung miteinander. So entstehen wertvolle Anregungen. Oft gibt es im Rahmen von Städtepartnerschaften Delegationsreisen. Dann besichtigen die Leute Wasserwerke, Abfalldeponien, Grundschulen, Busse und so weiter. Das bringt die Besucher auf Ideen.

Wäre Rat von kompetenten Consultants nicht trotzdem wertvoller?
Nein, in vielen Fällen nicht. Die Partner aus Asien, Afrika oder Lateinamerika schätzen es, dass sie mit Kollegen zu tun haben, die ihre Arbeitssituation auf Augenhöhe verstehen. Wer einen Kollegen in einer Partnerkommune besucht oder von dort Besuch bekommt, kann viel leichter Probleme ansprechen, die er sonst vielleicht eher verbergen würde. Es fällt dann nicht schwer zu fragen: „Wie macht ihr das?“ Oder: „Habt ihr das Problem auch?“

Aber sind teure Hightech-Lösungen aus Deutschland in Entwicklungsländern überhaupt erschwinglich?
Manchmal vermutlich nicht, in anderen Fällen vielleicht doch. Aber es geht gar nicht primär darum, den Partnern fertige Lösungen zu verkaufen, sondern voneinander zu lernen. Kommunen in Deutschland und anderen europäischen Ländern haben ja eine lange historische Entwicklung hinter sich, so dass sie viele Probleme aus der eigenen Geschichte kennen, mit denen Partner heute ringen.

Was haben denn die deutschen Gebietskörperschaften von Partnerschaften mit Entwicklungs- oder Schwellenländern?
Es ist immer interessant, die eigene Praxis mal in neuem, ungewohntem Licht zu sehen. Aber das ist nicht das einzige Motiv. Viele kommunale Entscheidungsträger in Deutschland wissen, dass interkulturelle Kompetenz im Zeitalter der Globalisierung ständig an Bedeutung gewinnt. Zum einen kommen Migranten nach Deutschland, aber andererseits – und darauf kommt es mindestens so sehr an – braucht Deutschland Kontakte im Ausland. Internationaler Austausch ist also für die Personalentwicklung der deutschen Kommunen sinnvoll. Und dann gibt es auch noch einen Imagegewinn gegenüber den eigenen Bürgern: Seht her, wir kümmern uns um das Weltgeschehen.

Woran erkennen Sie eine gute Partnerschaft – an regelmäßigem Schüleraustausch oder Kulturveranstaltungen?
Nein, so etwas ist eher das Grundrauschen. Es ist wichtig, weil Menschen sich begegnen und kennen lernen, und wenn es gut läuft, bereitet es auch Freude. Was eine gute Partnerschaft vor allem auszeichnet, ist aber die rege Auseinandersetzung miteinander, gerade auf fachlicher Ebene. Das kann phasenweise auch über das Internet geschehen. Wenn es zu gemeinsamen Projekten mit gemeinsamen Zielen führt, läuft die Sache gut – und zwar ganz besonders, wenn dann auch noch Fördermittel aufgetan werden.

Bitte nennen Sie ein Beispiel.
Interessant ist zum Beispiel die Klimapartnerschaft von Bonn und Ulan Bator, der Hauptstadt der Mongolei. Da geht es darum, gemeinsam zu prüfen: Wie können wir den Treibhauseffekt eindämmen, und wie können wir uns auf seine Folgen einstellen? Das sind wichtige und anspruchsvolle Fragen. Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützt diese Arbeit, und das tut auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Wer sind denn die treibenden Kräfte, die in Deutschland dafür sorgen, dass Städtepartnerschaften eingegangen werden?
Es ist wichtig, den historischen Kontext zu sehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren kommunale Partnerschaften in Europa ein erfolgreiches Instrument der Aussöhnung und des Friedens. Später wurde es auch auf Entwicklungsländer übertragen. Oft geht die Initiative von einer zivilgesellschaftlichen Gruppe aus, die schon Kontakt hat und etwas bewegen will. So sind in den 80er Jahren beispielsweise viele kommunale Partnerschaften mit Nikaragua und anderen Ländern Lateinamerikas entstanden. Sie waren Ausdruck einer Solidaritätsbewegung. Andererseits kommt es aber auch auf die Bürgermeister an, die sich oft selbst stark engagieren. Das Zusammenspiel von Politik und Zivilgesellschaft kann natürlich besonders fruchtbar sein.

In Deutschland hat die kommunale Selbstverwaltung Tradition – und sie hat sicherlich erheblich dazu beigetragen, dass es sich hierzulande recht komfortabel leben lässt. Gibt es Interesse auf Partnerseite, solche Bausteine unserer Demokratie zu übernehmen?
Eins zu eins übertragen lässt sich die deutsche Kommunalverfassung nicht, sie ist ja auch bei uns in jedem Bundesland anders geregelt. Aber es gibt tatsächlich ein großes Interesse daran, zu verstehen, wie die dezentrale Kommunalpolitik in der Bundes­republik funktioniert. Dezentralisierung ist in vielen Entwicklungsländern ein sehr wichtiges Thema. Wenn die nationale Regierung alles von oben entscheidet, laufen die Dinge nicht gut. Deshalb wollen Zentralregierungen oft wissen, wie es besser gehen könnte. Die kommunalen Entscheidungsträger wiederum sind daran interessiert, ihre Autonomie zu stärken. Sie suchen nach Argumenten, die dafür sprechen, ihnen mehr Zuständigkeiten zu über­tragen.

Sollte das Partnerland eine Demokratie sein, damit eine Partnerschaft gelingt?
Nein, das muss nicht sein. Es gibt das Beispiel der langjährigen Partnerschaft von München mit Harare in Simbabwe. Die Münchener haben entschieden, sie mit zivilgesellschaftlichen Gruppen fortzuführen, als die politischen Verhältnisse in Simbabwe immer schwieriger wurden. Es war ihnen wichtig, die Leute nicht im Regen stehen zu lassen. Und gerade für Menschen, die unter autoritären Regimen leben, sind internationale Kontakte sehr wertvoll. Auf der kommunalen Ebene ist viel Austausch im vorpolitischen Feld möglich. Das bringt einen Mehrwert auch in der Auseinandersetzung mit autoritären Regimen.

Gibt es eine Weltregion, an der deutsche Kommunen besonders interessiert sind?
China ist sehr beliebt, was offensichtlich auch mit dem Wunsch zusammenhängt, am ökonomischen Aufschwung dort irgendwie teilzuhaben. Es gibt aber auch den Trend, in Afrika etwas tun zu wollen. Und seit dem Beginn des arabischen Frühlings wächst das Interesse and Nordafrika und dem Mittleren Osten.

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